Kreis Wittenberg Kreis Wittenberg: Flüchtlings-Heim in Möhlau wird geschlossen
MÖHLAU/VOCKERODE/MZ. - Das Möhlauer Asylbewerberheim ist Geschichte. 170 Menschen warten am Donnerstag mit Koffern und Taschen auf den Umzug, laden alte Fernseher oder Fahrräder in zwei Lkw. "Wenn Sie fertig sind, gehen Sie bitte zum Bus", sagt Ute Helmchen. Die Beauftragte des Landkreises Wittenberg weiß sich zu verständigen. Immerhin kommen die Männer - die meisten Familien haben die Gemeinschaftsunterkünfte bereits vorher verlassen - aus 30 Nationen.
Die 170 Asylbewerber sind vorbereitet auf die Sonderfahrt - so steht es an den beiden Bussen - nach Vockerode. Sie verlassen ein Heim, das laut Flüchtlingssprecher Salomon Wantchoucou "zu den schlimmsten Einrichtungen in Deutschland" zählte. Der Mann aus dem Benin hat in zahlreichen Protestkundgebungen auf dem Wittenberger Markt immer wieder die Schließung gefordert. Vor allem die sanitären Bedingungen seien eine Katastrophe.
Auch deshalb hatte das Landesverwaltungsamt den Kreis aufgefordert, das Heim zu schließen. Tatsächlich sieht das Objekt alles andere als einladend aus: Die ehemalige Kaserne der russischen Streitkräfte liegt im Wald, weitab vom Schuss. Die Geräte auf dem Kinderspielplatz benötigen dringend ein bisschen Farbe. Und der Ball rollt wohl seit Ewigkeiten nicht mehr auf dem Fußballplatz.
Das freilich war nicht immer so. 1992 setzte die Politik noch auf zentrale Lösungen. Möhlau wird zum Vorzeigeobjekt mit Kinosaal, einem Geschäft, einer Arztstelle und einer vorbildlichen Kinderbetreuung. Doch diese Zeiten sind lange vorbei. Vertreter der Flüchtlingsinitiative rollen vor dem Zaun ein Transparent aus: "Für eine menschenwürdige Unterbringung" .
Ob in Vockerode alles viel besser wird, bezweifelt Dramaue Tourre. "Uns ging es hier wirklich ganz, ganz schlecht", sagt der Mann aus Burkina Faso kurz vor der Abreise. Das größte Problem sei die Isolation. In Möhlau, in dem Ort lebt der Afrikaner seit 15 Jahren, gebe es keinen Supermarkt, keinen Bahnhof und die Busanbindungen seien schlecht. Und in Vockerode sei dies keinen Deut anders. Er habe sich den Ort bereits angeschaut. "Wir wollen in Wohnungen in Wittenberg untergebracht werden", so der 45-Jährige, der davon überzeugt ist, dass es den Behörden nicht um Integration, sondern nur "um Abschiebung, Abschiebung und nochmals Abschiebung" gehe.
Die einzige Möglichkeit?
Auch das Landesverwaltungsamt empfiehlt eine dezentrale Unterbringung - und findet damit in der Kreisverwaltung keinen Partner. "Vockerode ist nicht die leichteste, sondern die einzige Möglichkeit", sagt der stellvertretende Landrat Klaus Hajek (SPD). Er habe sich um Alternativen in anderen Orten bemüht - aber vergebens.
Und so rollen die Busse am Donnerstag eben ausschließlich in die ehemalige Kraftwerksgemeinde. Nach 24 Kilometern und 28 Minuten ist das Ziel erreicht. Hier steht für die Flüchtlinge wieder ein typischer DDR-Wohnblock zur Verfügung. Allerdings ist der erste Eindruck deutlich besser. In den 44 Wohnungen wurden in den vergangenen Tagen Tapeten und Fußböden ausgebessert, außerdem sind die Zimmer spärlich möbliert.
Das alles interessiert Salomon Drame nicht sonderlich, als er aus dem Bus steigt. "Ich wäre lieber weitergefahren", betont der 34-Jährige aus Gambia - in eine größere Stadt, in der man sich nicht so isoliert fühle. Dramaue Tourre dagegen findet nach dem ersten Blick die Zimmer "schon toll".
Hans-Joachim Schurade lebt seit 20 Jahren in dem Wohnblock, zuletzt als einer von nur noch ganz wenigen Mietern. Auch er hat von der Kreisverwaltung das Angebot bekommen, dort wegzuziehen. Offenbar um die Wohnblocks leer zu ziehen. Vielleicht auch, weil man Angst vor Konflikten mit den neuen Nachbarn hatte. Doch Schurade sieht keinen Grund für einen Umzug: "Mal schauen, wie sich die jungen Männer benehmen". Größere Sorgen müsse er sich nicht machen, versichert Marcus Benedix. "In den vergangenen drei Jahren führten uns insgesamt 13 Einsätze ins Möhlauer Heim", so Wittenbergs Polizeichef. Das sei praktisch gar nichts.
Dass das Zusammenleben in Vockerode funktioniert, hofft auch Sascha Schmidt. "Es könnte hier etwas besser sein", sagt der Mann von der Flüchtlingsinitiative, der seit Jahren die Schließung der Möhlauer Einrichtung gefordert hat. Triumphgefühle habe er jetzt aber nicht. "Das kann nur ein Zwischenschritt sein", sagt Schmidt. Zwar sei das Gebäude "nicht so verfallen", aber die Flüchtlinge würden weiter an einer Stelle konzentriert. In Wittenberg und Gräfenhainichen gebe es genügend leer stehende Wohnungen. Dort könnten sich Flüchtlinge ein eigenes Leben aufbauen. Das sei die beste Voraussetzung für die Erteilung einer Arbeitserlaubnis. Darüber hinaus müsste der Kreis verstärkt Deutschkurse anbieten. Nur so können sich die Asylbewerber aus der Isolation befreien.
"Das Objekt steht leer"
In Möhlau blieben die Asylbewerber immer ein Fremdkörper. "Wir haben darauf hingewiesen, dass die Menschen abseits im Wald leben müssen. Und das gehört ja zu den jetzigen Kritikpunkten und Schließungsgründen" sagt Ortschaftsrätin Gudrun Wirth (parteilos), die einst in einer Bürgerinitiative die Einrichtung verhindern wollte. Was mit der einstigen Kaserne wird, ist noch unklar. "Das Objekt steht ab dem 1. Januar leer", so der Eigentümer gegenüber der MZ.
Anzahl der Asylanträge in Deutschland (Erstanträge) | Create infographics