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Klosterkirche Nienburg Klosterkirche Nienburg: Von der ganz großen Liebe

Von Susanne Thon 24.09.2015, 18:28
Klosterkirche Nienburg
Klosterkirche Nienburg MZ Lizenz

Nienburg - Da entfährt selbst Stephan Aniol ein erstauntes „Oh!“ „Portugal“, sagt der Pfarrer der Evangelischen Kirchengemeinde Nienburg, sich durch das Gästebuch blätternd, „die Leute kommen von sonst wo her.“ Und sie machen Station in der Klosterkirche St. Marien und St. Cyprian. Das ist gut. Locker 100 Besuchereinträge sind es, die allein im August zu Buche stehen. Nicht wenige stammen von Radtouristen, die auf dem durch Nienburg führenden Saale- oder dem Europaradweg R1 unterwegs sind. Wie Gerd und Ilona Jamrozinski aus dem Eisleber Ortsteil Hedersleben. Die beiden halten überall an, wo es ihnen gefällt. Ein paar Erinnerungsfotos später und noch voller Eindrücke treten sie schon wieder in die Pedale.

Kloster- statt Schlosskirche

Die Kirche - „im Sprachgebrauch auch Schlosskirche, aber richtig ist eigentlich Klosterkirche, denn als solche wurde sie gebaut und das war sie auch längste Zeit“, sagt Aniol - wurde im Jahr 1004 geweiht. Und erbaut, nachdem Otto II. eine 970 im Harz gegründete Benediktiner-Abtei nur wenig später an die Saale verlegte. Über drei Jahrzehnte dauerten die Umbauarbeiten des dort befindlichen Kastells. Nichtsdestotrotz ist die Klosterkirche in Nienburg, die später in fürstlichen Besitz überging - daher auch die immer noch geläufige Bezeichnung Schlosskirche - die älteste hochgotische Hallenkirche im östlichen „Nieder-Sachsen“.

Und reich an kulturgeschichtlichen Schätzen obendrein. So sind in der einen Ecke die Überreste des romanischen Stuckfußbodens zu sehen, der sich ursprünglich direkt über der nicht mehr existenten Krypta im Vorgängerbau befand. Und in der anderen eine Monatssäule: Auf zwei Ebenen sind Sommer und Winter

symbolisch dargestellt - mit jeweils sechs dem Jahresablauf entsprechenden Figurenbildern. Im 19. Jahrhundert wurde sie bei Fußbodenverlegearbeiten ausgegraben und ist seither im Chorraum aufgestellt. Und über ihr, an der Südwand, hängt ein Gemälde - gute drei Meter hoch, 2,40 breit.

Ein echter Cranach

Ein echter Cranach: das Epitaph, das Totengedächtnisbild, der Fürstin Agnes. Die geborene Gräfin von Barby starb 1569 im Alter von 29 Jahren. Kein Geringerer als Lucas Cranach der Jüngere schuf es nur ein Jahr nach ihrem Tod im Auftrag von Agnes Gatten, dem Fürsten Joachim Ernst von Anhalt. „Es muss die große Liebe gewesen sein“, mutmaßt Aniol. Das Bild zeigt das Paar mit seinen sechs Kindern, die aus der neunjährigen Ehe hervorgegangen sind, in betender Haltung. Links der Fürst mit den beiden Söhnen. Rechts die Verstorbene und ihre vier Töchter. Dazwischen der gekreuzigte Jesus. Und dahinter? Fällt der Blick ins Land. Am Horizont, gerade noch zu sehen, ist Nienburg, und davor die Talstadt Bernburgs, mit Marien- und Nikolaikirche. Nur das Schloss fehlt. An seiner Stelle steht eine Pforte. Man könne sie als Tor zum Paradies deuten, sagt Aniol. Cranach habe damit wohl die tiefe Trauer des Fürsten verbildlichen wollen.

Vielleicht sei es aber auch schon eine Anspielung auf den Umzug der fürstlichen Residenz von Bernburg nach Dessau. „Es ist schon spannend, was man mit Bildern zum Ausdruck bringen kann“, sagt der Pfarrer, der seinerseits auch Zuversicht in das Werk hineininterpretiert. Vis-à-vis des Epitaphs für Agnes hängt mit dem Tafelbild „Christus am Ölberg“ ein weiteres. Wie Aniol erzählt, handele es sich hier aber um kein Original des jüngeren Cranachs - das befinde sich in der Johanniskirche in Dessau -, sondern um eine frühe Kopie, ebenfalls in Auftrag gegeben von Joachim Ernst für seinen Bruder Georg von Anhalt, verstorben 1553.

Im Inneren wurde bereits saniert

Doch mag das alles noch so gut klingen, gibt es auch in der Klosterkirche Ecken, die unbedingt angefasst werden müssten. Im Inneren ist der Chorraum zwar bereits saniert worden, aber eben außen noch nicht. Nötig hätten es auch die Fenster. Wasser läuft herein. Aber das liebe Geld fehlt - „wir wissen nicht, wie wir das jemals realisieren sollen“, sagt Aniol, der sich aus eben jenem Grund auch schon von dem Gedanken verabschiedet hat, die nicht mehr funktionstüchtige Orgel eines Tages in Stand setzen lassen zu können. Man behilft sich mit einem Orgelpositiv. Das muss reichen. Konzerte finden statt in der Kirche, darunter auch das Sommerkonzert des Schubertchores, aber eben nicht alle würden die hohen Erwartungen an die Besucherzahlen erfüllen. Genutzt wird die Kirche zudem für Ausstellungen. Dadurch, dass es anders als in den meisten Kirchen eine lose Bestuhlung anstelle von Bankreihen gebe, sei man recht flexibel.

Und noch etwas ist in Bezug auf die Klosterkirche besonders: Sowohl die evangelischen als auch katholischen Christen halten hier - in Ermangelung einer Heizung - nur in den warmen Monaten jeden Sonntag Gottesdienst und Messe ab. „Das ist nicht üblich und in dieser Qualität auch selten“, weiß Aniol. Und auch das große ehrenamtliche Engagement, das es gebe, die Entfaltung auf so vielfältige Weise, halte er keineswegs für selbstverständlich. Ihren Ausdruck findet sie im Mutter-Kind-Kreis, der sich einmal wöchentlich in ehrenamtlicher Regie trifft, in Kindergottesdiensten, die initiiert werden, und in Kirchenführungen. Ferner gibt es einen Hausbesuchskreis, denn „einer allein kann unmöglich überall hingehen“. Ehrenamtliche Helfer sind es auch, die gewährleisten, dass die Kirchenglocken läuten - „es gibt einen Läuteplan“ - und die Türen so oft wie möglich Besuchern offen stehen. „Manche bringen sich hier schon über Jahre, ja Jahrzehnte ein“, sagt Aniol anerkennend. Die Kirche ist von April bis September montags bis freitags von 10 bis 16 Uhr, samstags, sonn- und feiertags von 14 bis 16 Uhr geöffnet. (mz)

Fürst Joachim Ernst von Anhalt Bernburg hat das Totengedächtnisbild für seine 1569 im Alter von 29 Jahren verstorbene Frau Agnes von keinem Geringeren als Lucas Cranach dem Jüngeren malen lassen. Es zeigt das Fürstenpaar mit seinen zwei Söhnen und vier Töchtern, den gekreuzigten Jesus, die Bernburger Talstadt und eine Pforte - das Tor zum Paradies.
Fürst Joachim Ernst von Anhalt Bernburg hat das Totengedächtnisbild für seine 1569 im Alter von 29 Jahren verstorbene Frau Agnes von keinem Geringeren als Lucas Cranach dem Jüngeren malen lassen. Es zeigt das Fürstenpaar mit seinen zwei Söhnen und vier Töchtern, den gekreuzigten Jesus, die Bernburger Talstadt und eine Pforte - das Tor zum Paradies.
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