Geschichte Geschichte : Der Druck wächst

Wittenberg - Eine stille Mahnwache hatte am Reformationstag das „Bündnis zur Abnahme der Judensau“ vor der Wittenberger Stadtkirche organisiert. Mit dabei waren erneut Vertreterinnen der evangelischen Marienschwesternschaft Darmstadt und der Leipziger Pfarrer und Mitbegründer der Initiative Thomas Piehler.
Ihre Forderung nach der Abnahme des mittelalterlichen antijüdischen Bildmotivs - eine obszöne, demütigende Darstellung - hatten sie in unterschiedlicher Weise auf Transparenten Ausdruck verliehen.
Sie nahmen dabei auch Bezug auf den antisemitischen Terroranschlag von Halle im Oktober. „Nach Halle muss man ganz neu denken“, sagte Piehler zur MZ. Ermutigt sehe sich das Bündnis durch den Antisemitismus-Beauftragten der Bundesregierung, Felix Klein. Dieser hat wie berichtet nach dem Anschlag auf die Synagoge in Halle dafür plädiert, die umstrittene „Judensau“ an der Wittenberger Stadtkirche zu entfernen.
Ähnlich wie Klein so vertritt auch Piehler die Auffassung, dass das Spottbild ins Museum gehöre, wo es erläutert werden sollte. Ansonsten bekräftigt Piehler: „Wir werden keine Ruhe geben. Es gibt kein Weiter so.“
Ablehnung nicht mehr so krass
Erste Mahnwachen hatte das Bündnis um Thomas Piehler und die Darmstädter Marienschwestern im Jahr des Reformationsjubiläums 2017 gehalten. Unterstützung fanden sie damals bei dem Wittenberger Christen Johannes Höhne. Dieser war auch am Donnerstag zur Mahnwache gekommen. Es sei sein Eindruck, so Höhne später zur MZ, „dass Einzelne aus der Stadtkirchengemeinde unser Anliegen nicht mehr so krass ablehnen“. Lange sah das anders aus. Die Kritiker des Bündnisses verwiesen wiederholt auf das Mahnmal, das die Gemeinde 1988 im Pflasterbereich unterhalb der „Judensau“ hatte errichten lassen.
Der Konflikt um die „Judensau“ an der Wittenberger Stadtkirche wird wie berichtet auch vor Gericht ausgetragen. Michael Düllmann, Mitglied der jüdischen Gemeinde in Berlin, will auf diesem Wege erreichen, dass das Schmährelief von der Fassade entfernt wird.
Das Landgericht Dessau-Roßlau entschied in diesem Jahr, dass keine Beleidigung im Sinne des Strafgesetzbuches vorliege, das Schmährelief also hängen bleiben darf. Das bloße Vorhandensein der Plastik könne nicht als Missachtung gegenüber in Deutschland lebenden Juden verstanden werden, hieß es damals. Michael Düllmann lässt es nicht auf sich beruhen und geht in die nächste Instanz, vor das Oberlandesgericht in Naumburg. Als Verhandlungstermin angesetzt ist der 21. Januar.
Nach dem Gottesdienst am Donnerstag hatte sich Jörg Bielig vom Gemeindekirchenrat (GKR) auf den Platz begeben. Gegenüber der MZ äußerte er Verständnis dafür, dass das Bündnis an einem Tag wie dem 31. Oktober nach Wittenberg gekommen ist, mehr noch: „Ich habe eigentlich schon damit gerechnet.“ Bielig erinnerte zugleich daran, dass der GKR den Auftrag hat „zu überlegen, wie wir mit dem Schandmal weiter umgehen“.
Es gebe auch weiterhin Treffen mit Vertretern der jüdischen Gemeinschaft. Was die Äußerungen des Antisemitismus-Beauftragten der Bundesregierung betrifft, so sagte Bielig, dieser „möchte sich bitte auch um ganz Deutschland kümmern, es gibt ja wohl noch mehr Schandmale“.
Johannes Block, Pfarrer an der Stadtkirche St. Marien, bleibt bei seiner Position. Keiner in der Gemeinde sei glücklich mit diesem Erbe: „Ich teile das Entsetzen und den Schmerz über die Verspottung und Verunglimpfung“ des Judentums, sagt er: „Wir sitzen im selben Boot und kämpfen gegen Antisemitismus und Antijudaismus.“ Die Schmähplastik abzunehmen, sei aber zu einfach, der Umgang mit dem Erbe ein komplexes Unterfangen.
Da gehe es um eine historische Ebene ebenso wie um eine memorialgeschichtliche und theologische. Die Plastik sei 700 Jahre alt und habe mit dem Antisemitismus des 19. oder 20. Jahrhunderts wenig zu tun. „Wir brauchen Genauigkeit“, mahnt Block und kündigt eine Publikation an, die über die Geschichte der Schmähplastik und die Komplexität von Gedenkkultur informiert.
Schwieriges Erbe
Höchst problematisch findet der Wittenberger Theologe die immer noch laufende juristische Auseinandersetzung: „Das ist nicht die Ebene, auf der das passieren sollte.“ Zumal die Klage auf Abnahme der „Judensau“ die Gemeinde der Stadtkirche in eine Position rücke, als sei sie Befürworterin der Schmähplastik. Die sei aber vielmehr Erbin eines schwierigen Erbes, „das nicht entsorgt werden, sondern als ein Geschichtszeugnis an Geschichte erinnern und über Geschichte aufklären soll“.
In dem Zusammenhang weist Block darauf hin, dass die Plastik bekanntlich kein Solitär sei, sondern Teil einer Stätte der Mahnung - mit Gedenk- und Hinweistafel sowie einer Zeder als Symbol des Friedens. Und eben auch als Zeichen der Distanzierung.
Dass nach 30 Jahren und einer Generation Zeit sei für eine Überarbeitung, räumt der Pfarrer ein. Der Blick zurück sollte durch den Blick nach vorn, die Stätte der Mahnung durch „eine künstlerisch zu gestaltende Wegmarke der Versöhnung“ ergänzt werden. So ließen sich auch die Fortschritte im jüdisch-christlichen Dialog aufgreifen. (mz)