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Streit um Kitas Aufstand der „Fußabtreter“ in Wittenberg

Nach dem Kindertagesstättenwerk meldet sich nun auch die Arbeiterwohlfahrt zu Wort.

Von Irina Steinmann 23.07.2021, 08:50
In Wittenberg gibt es Streit darum, wer in Zukunft die Kitas betreiben soll.
In Wittenberg gibt es Streit darum, wer in Zukunft die Kitas betreiben soll. (Foto: Jens Büttner/dpa-Zentralbild/ZB)

Wittenberg - Die Kritik an der geplanten Übernahme von Kindertagesstätten durch die Stadt Wittenberg reißt nicht ab. Nach dem Kindertagesstättenwerk meldete sich in dieser Woche jetzt auch die Arbeiterwohlfahrt (Awo) zu Wort und kritisiert die beabsichtigte Rekommunalisierung von Einrichtungen freier Träger.

Wie berichtet will die Stadt durch Kündigung der entsprechenden Mietverträge ab Sommer 2022 zunächst die beiden Kitas „Schnatterinchen“ und „Wortschatzpiraten“ an der Schillerstraße (beide Kindertagesstättenwerk) selbst betreiben, Oberbürgermeister Torsten Zugehör (parteilos) hatte bei der Vorstellung des Vorhabens am 9. Juli allerdings bereits eine nächste Kandidatin benannt, die Kita „Forschergeister“ in Piesteritz.

Damals gebraucht

Diese Kita wird von der Awo betrieben, entsprechend harsch fällt die Stellungnahme von deren Kreisverbandsvorsitzendem Erhard Hellwig-Kühn aus. „Haben die Stadtvorderen eigentlich noch ein Schamgefühl?“, fragt er und konstatiert: „Die freien Träger werden zu Fußabtretern.“ Er erinnert an den schmerzhaften Prozess mit Schließungen und Massenentlassungen Anfang der 1990er Jahre, als die Stadt ihre Kitas loswerden wollte und die freien Träger gerade recht kamen.

„Zwischenzeitlich haben sich die übrig gebliebenen Kitas trägerspezifisch und mit hoher Qualität profiliert und weiterentwickelt. (...) Die Trägervielfalt hat sich bewährt.“ Und weiter: „Zumeist hausen sie allerdings in städtischen Immobilien, die nicht mehr oder gerade eben noch den Mindestanforderungen genügen.“

Hellwig-Kühn verweist auf die Investitionen, die auch die freien Träger selbst in ihre Einrichtungen gesteckt hätten; allein in die Kita „Forschergeister“, so der Awo-Chef auf Nachfrage, sei über die Awo ein hoher sechsstelliger Betrag in das städtische Gebäude geflossen. „Auf diese Immobilien stürzt sich die Stadt zuerst, um so die freien Träger aus der Kinderbetreuung zu jagen und handlungsunfähig zu machen.“

Der Awo-Kreisvorsitzende kritisiert darüber hinaus die Sonderstellung des kommunalen Eigenbetriebs „KommBi“, der, wie er findet, eigentlich nur ein Anbieter unter mehreren sein dürfte, de facto aber Einblick in die Daten aller in Wittenberg agierenden Kita-Träger hat. Auf der anderen Seite sei das Gutachten des Landesinnenministeriums, das die Stadt Wittenberg ihrem umstrittenen Übernahme-Vorstoß zugrunde legt, unter Verschluss.

Wie berichtet war die gesamte Angelegenheit im Stadtrat nichtöffentlich behandelt worden. Zugehör hatte dies auf MZ-Nachfrage mit dem Datenschutz begründet. Dass die Stadt im Kita-Bereich wirtschaftlicher agieren könnte als die freien Träger, zieht wie andere Betroffene auch Hellwig-Kühn in Zweifel.

Zugleich räumt er ein, dass „sicherlich in kleinen Teilbereichen Unwirtschaftlichkeiten bei dem einen oder anderen Träger bestehen“, wobei er die Awo davon auf Nachfrage ausdrücklich ausnimmt. „So etwas kann man aber manierlich miteinander besprechen“, findet Hellwig-Kühn.

Rechtsweg oder Dialog

Sollte die Stadt ihr Vorhaben durchziehen, „werden wir selbstverständlich juristisch dagegen vorgehen“, sagte der Awo-Kreisvorsitzende am Donnerstag der MZ. Er hoffe allerdings, „dass die Stadträte umdenken“ und statt der kalten Übernahme „das Gespräch gesucht wird“. Wie berichtet bedarf jede weitere Kündigung von Mietverträgen über Kita-Gebäude eines eigenen Stadtratsbeschlusses. Als nächstes sind die „Forschergeister“ an der Reihe. (mz)