Ein halbes Leben danach Ein halbes Leben danach: Erinnerungen an die Schuhfabrik "Banner des Friedens"

Weißenfels - Manche der Frauen hatten sich jahrzehntelang nicht gesehen. Einige haben sich dann auch beim jetzigen Treffen im Weißenfelser Restaurant „Schumanns Garten“ gar nicht wiedererkannt. Das Hallo war jedenfalls groß bei den 18 Ehemaligen der Jugendbrigade „Minna Warthold“ aus der Schuhfabrik „Banner des Friedens“.
Von der steht in der Markwerbener Straße der Saalestadt kaum noch etwas. Da kamen damals ganz junge Frauen wie Kathrin Waldenburger (51) hin, die nach der Ausbildung in der alten Werkhalle arbeitete. Andere, wie Ilse Huhn (95), hatten zur Wende das Rentenalter schon erreicht.
„Da hatten wir die Idee, uns mal im größeren Rahmen zu treffen“
Tamara Voigt (57) gehört zu den Frauen, die im Frühjahr bei einem kleineren Treffen erstmals in Erinnerungen schwelgten. „Da hatten wir die Idee, uns mal im größeren Rahmen zu treffen“, erzählt sie. Am Ende sei es vor allem sie gewesen, die Erkundigungen eingeholt und viele Telefonate geführt habe.
Meisterin war damals die inzwischen verstorbene Ruth Bittner, Tamara Voigt die Sekretärin der Freien Deutschen Jugend der Brigade. Sie lässt Bilder herumgehen, die sie mit einigen anderen in Berlin auf dem Weg zum Palast der Republik zeigen, wo man als hervorragendes Jugendkollektiv ausgezeichnet wurde. Es war aber auch jene Zeit, als man einsparen wollte und aus zwei Schichten durch Zusammenlegung des Personals eine machen wollte. Allerdings wäre das wegen des Schichtzuschlages mit finanziellen Einbußen der Beschäftigten verbunden gewesen. „Am Ende einigten wir uns auf eine Woche Früh- und eine Woche Spätschicht im Wechsel, so dass sich im Prinzip nichts änderte“, erzählt Tamara Voigt.
Norm von rund 5.000 Paar Schuhen musste natürlich geschafft werden
Die Norm von rund 5.000 Paar Schuhen musste natürlich geschafft werden und auch sonnabends wurde mitunter gearbeitet. Manchmal stellten sie auch Byzanz-Sandalen mit noch weniger Schnickschnack als üblich her. „Hauptsache, die Stückzahl stimmte“, so Voigt. Außerdem habe man oft als Brigade zusammen gefeiert.
Laut der 57-Jährigen war es für die meisten eine gute Zeit, wie sie zumindest sagten. Die Zeit nach der Wende bezeichnet sie als schwierig. Da sperrten tausende Schuharbeiter wegen des Personalabbaus die Große Brücke. Was folgte, waren Kurzarbeit null und das Aus. Sie selbst hat noch einige Jahre in kleineren Schuhbetrieben gearbeitet, zur Floristin umgeschult und ist jetzt beim Reha-Sportverein beschäftigt.
„Etwas anderes zu finden, war fast unmöglich“
Kathrin Waldenburger traf es ganz hart. Sie war 1990 schwanger und ging ins Babyjahr. Als sie zurückkommen wollte, sollte sie in Schichten gehen, was sie wegen des Kindes nicht konnte. Sie wurde entlassen. „Etwas anderes zu finden, war fast unmöglich“, berichtet sie. So landete sie bei der Beschäftigungsgesellschaft KöSa - wo sie bei der Wege- und Parkgestaltung in Rössuln mit Hand anlegte.
Trotz des wenigen Geldes habe es Spaß gemacht und war das Wetter schlecht, konnte man sich in einen Bauwagen setzen. Danach war auch sie in einer kleinen Schuhfabrik tätig und bekennt, dass man auf Ehemalige angewiesen war, wenn man einen Job finden wollte. Glück hatte sie auch vor einigen Jahren. „Denn ich habe jetzt Arbeit, die Spaß macht“, erzählt sie. Hart sei diese dennoch.
Ausbildung als Krankenschwester nicht zu kriegen
Angelika Messerer (64) hatte die weiteste Anreise aus Fuchsstadt bei Bad Kissingen. Verwandte brachten sie in einer Firma unter, wo Durchlauferhitzer gebaut wurden. Im „Banner“ war sie als junge Frau gelandet, weil eine Ausbildung als Krankenschwester nicht zu kriegen war. Dennoch habe sie dort auch ihren Spaß gehabt, betont aber in Anspielung auf die Jugendbrigade: „Ich war mit Vielem nicht einverstanden und wollte mit Politik nichts zu tun haben.“
Und so ging sie bald nach der Wende in die alten Bundesländer. Nach einer Umschulung konnte sie sich später auch ihren Traum von einem sozialen Beruf erfüllen und in einem Altenheim arbeiten. In Weißenfels ist sie dennoch oft. Allein schon wegen der hier lebenden Geschwister. Sie sagt: „Hier hat sich viel entwickelt.“ Zum Positiven, wie sie hinzusetzt.
„Was sollte ich auch zu Hause machen?“
Ilse Huhn war in der Wendezeit mit 65 die Älteste in der Jugendbrigade. 1952 kam sie wegen ihres Mannes nach Weißenfels und hat in Heimarbeit Mokassins geflochten. Es war viel Arbeit für wenig Geld. Ihr Mann verstarb früh und sie arbeitete trotz ihres Rentenalters weiter. „Was sollte ich auch zu Hause machen?“ Was für einen Wunsch sie noch hat?
„Ich will 100 werden“, sagt die 95-Jährige. Und wann trifft sich die alte Brigade wieder? Tamara Voigt hebt angesichts des Aufwandes erst mal die Hände. Aber in fünf Jahren könnte sie sich schon vorstellen, Ilse Huhn zum 100. Geburtstag zu gratulieren. mz)
