Leonora aus Sangerhausen Leonora aus Sangerhausen: TV-Doku: Vater erkennt, dass Tochter Opfer und Täterin ist

Sangerhausen - Die ARD-Dokumentation beginnt mit dem Alltag von Maik Messing, der Hauptfigur des Films. Mitten in der Nacht lädt der Bäckermeister aus Breitenbach die Brötchen in seinen Transporter ein und fährt durch die Dunkelheit.
Allein, mit den Gedanken allerdings rund 2.800 Kilometer entfernt bei seiner Tochter Leonora. Die heute 19-Jährige ist vor viereinhalb Jahren zum Islamischen Staat nach Syrien geflüchtet, keiner in der Familie hatte es geahnt, über Nacht packte sie ihre Koffer.
Täter und Opfer
Und war weg. Der Film von Volkmar Kabisch, Britta von der Heide und Amir Musawy zeigt den 47-Jährigen, seine Gedanken und Gefühle, Sorgen und Hoffnungen. Er begleitet Messing die ganze Zeit und lässt den Zuschauer nah ran.
Eindrucksvoll zeigt der Film die beiden Welten, in denen sich der Vater bewegt. Einerseits ist hier seine Tochter, die er schützen möchte und am liebsten sofort wieder zu sich nach Hause holen würde.
Auf der anderen Seite ist dort die Realität im Islamischen Staat, die Gefahren und auch die bittere Erkenntnis, dass seine Tochter Leonora wohl keinesfalls nur Opfer, sondern auch Täterin ist.
Er zeigt einen Vater, der den Ernst der Lage zu jeder Zeit verstanden hat, den die Sorgen um seine Tochter zerreißen. Auf der anderen Seite steht das Mädchen, das sagt: „Islam war dann so Trend auf Facebook“ und sich auch sonst ziemlich locker bei laufender Kamera äußert.
Flucht-Tipps per WhatsApp
Die Kommunikation der beiden dreht sich um Alltägliches wie Wohnungseinrichtungen oder Essen. Oder um Fluchtpläne, die Messing aus Deutschland heraus steuert. Auch von der Geburt seiner ersten Enkelin erfährt er per Nachricht.
Ganz stark wird der Film, wenn er solche Sprach- und Chatnachrichten einbaut. Dabei geht es um Käse-Lauch-Suppe, Helene-Fischer-Lieder, aber auch um ihren Mann Nihad Abu Yaser, der eigentlich Martin Lemke heißt und den sie wenige Tage nach ihrer Ankunft im syrischen Rakka heiratet, um seine Drittfrau zu werden.
„Meine Fruchtblase ist geplatzt. Paar Minuten später habe ich allein im Auto entbunden“, schreibt Leonora eines Tages im Jahr 2017. Maik antwortet: „Meine kleine Enkelin!!! Wahnsinn!!! Seid ihr in Sicherheit?“ Wenig später in anderem Zusammenhang baut sie ihren Vater auf: „Denk nicht, dass ich mich hier gehen lasse und denke ’dann sterbe ich hier’.
Ich gebe nicht auf“, spricht Leonora per Sprachnachricht. Und wiederum später gibt Maik Messing aus dem fernen Breitenbach Tipps für die Flucht. „Nehmt genug zu trinken mit.“
Der eigenen Schuld bewusst?
Dieser Film zeigt eindrucksvoll, wie Vaterliebe eben doch nicht endet, nur weil die Tochter den möglicherweise größten Fehler ihres Lebens begangen hat.
Als sich Nihad eine jesidische Sklavin kauft - für 800 Dollar - teilt Leonora ihrem Vater sofort ihre Abscheu mit. „Ich dachte mir so: 800 Dollar, das ist nichts“, sagt sie. „Das ist ein Mensch, wie kann man einen Menschen so verkaufen? Ich wusste gar nicht mehr, was ich sagen sollte, weil sie tut mir so leid.“
Später im Interview wird sie sagen, dass ihr Mann Lemke die Frau gekauft habe, um sie mit „Plus“ weiterzuverkaufen. Lemke selbst bestreitet das auf Nachfrage des ARD-Journalisten im direkten Gespräch.
Vorwürfe, ihrem Mann bei der Geheimdienstarbeit geholfen zu haben, bezeichnet Leonora als „lächerlich“. Sie habe aus den Fehlern gelernt und wolle zurück nach Deutschland.
Dass sie möglicherweise den Ernst der Lage doch nicht ganz verstanden hat, zeigt ein Satz, den sie über ihren Vater sagt: „Er hat mir nach langer Zeit ein Foto übers Internet geschickt. Er ist ja so alt geworden“, sagt sie lachend.
Die Dokumentation ist in der ARD-Mediathek bis 9.9. 2020 zu sehen. (mz)
