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Interview mit Rudolf Scholz Interview mit Rudolf Scholz: Brisante Zeitgeschichte sich wie Kriminalroman

03.01.2003, 16:22

Querfurt/MZ. - Sie haben ihrem neuen Buch den Titel "Leipzigs letzter Held" gegeben. Ist er mit dem während der Wende gemachten Vorschlag, der Stadt Leipzig den Ehrentitel einer "Heldenstadt" zu verleihen, in Zusammenhang zu bringen?

Scholz: Nein, Mit besagtem Vorschlag hat der Buch-Titel nichts zu tun. Er nimmt vielmehr Bezug auf den im Jahre 1984 veröffentlichten Roman "Völkerschlachtdenkmal" von Erich Loest, in dem auch die schicksalhaften Ereignisse des Jahres 1968 erinnert werden. In diesem Zusammenhang spricht eine Hauptfigur den Satz aus, dass der damalige, an der Immanuelkirche in Leipzig-Probstheida wirkende Pfarrer Hans-Georg Rausch "unser letzter Held" gewesen sei.

Wer ist dieser Pfarrer Rausch? Was erhebt ihn in den Rang, eine Person von zeitgeschichtlichem Interesse zu sein?

Scholz: Zwei relevante Ereignisse sind es, die sich mit seinem Namen verbinden. Das eine steht im Zusammenhang mit der Sprengung der Alten Universitätskirche. Rauch ist seinerzeit der einzige, der auf der 15. Tagung der Leipziger Stadtverordnetenversammlung am 23. Mai 1968 öffentlich gegen den Sprengungsbeschluss stimmt. Er zieht sich damit den Zorn Paul Fröhlichs, des ersten Sekretärs der Bezirksleitung Leipzig der SED, zu. In seiner eigenen Partei, der CDU, gerät er in den Ruf, ein "unsicherer Kantonist" zu sein.

Für jene Menschen jedoch, die sich gegen die Vernichtung des traditionsreichen Bauwerks zur Wehr setzen, wird er zu einer Art Symbolfigur. Nach der Wende gelangt Rausch zu kurzzeitigem Ruhm. Es gibt sogar Bemühungen, ihm die Ehrenbürgerschaft der Stadt Leipzig zu verleihen und ihn zur Hauptfigur eines "Brunnens der Gerechtigkeit" zu küren. Bis seine jahrzehntelange Zusammenarbeit mit der Staatssicherheit der DDR bekannt wird und dadurch auch seine couragierte Nein-Stimme ihre Denkwürdigkeit verliert.

Und das zweite von Ihnen angesprochene Ereignis?

Scholz: Jenes zweite Ereignis, das sich mit seinem Namen verbindet, betrifft den folgenreichen, mit Schärfe ausgetragenen Konflikt mit der Sächsischen Landeskirche, der sich im Sommer 1955 dramatisch zugespitzt und mit der Verselbstständigung und der Ausrufung des Kirchlichen Notstands der Probstheidaer Kirchgemeinde sowie dem Ausschluss Rauschs aus der Sächsischen Landeskirche seinen Höhepunkt erreicht. Trotz zahlreicher Versuche der Landeskirchenleitung, den Konflikt im Interesse der zerrissenen Kirchgemeinde einvernehmlich zu lösen, dauert diese Trennung achtundzwanzig Jahre an, von Rausch als Kampf gegen die landeskirchliche Hierarchie deklariert und öffentlichkeitswirksam instrumentalisiert. Beschämenderweise hat auch hier die Staatssicherheit von Anfang an ihre Hände mit im Spiel.

Warum haben Sie sich der Mühe unterzogen, in mehrjähriger Arbeit diese konfliktreiche Entwicklung zu recherchieren und sie literarisch so darzustellen, dass sie streckenweise wie ein Kriminalroman liest?

Scholz: Es war ein Stück brisanter Zeitgeschichte, von dem ich mich in die Pflicht genommen sah. Insofern reichte das Dargestellte weit über den "Fall Probstheida" hinaus. Als gleichsam prägnanter Punkt und übergreifender gedanklicher Aspekt bewegte mich die Frage, wie Menschen, die dieselbe Konfession und derselbe Glaubensauftrag verbindet, in einen so schwerwiegenden Konflikt miteinander geraten können, in einen Konflikt, der sowohl hierarchische Strukturen als auch charaktervolle Standhaftigkeit und persönliches Schuldigwerden und auch noch schmählichsten Verrat einschließt.

Sie haben für Ihr umfangreiches Buch die Form des "biographischen Essays" gewählt. Warum?

Scholz: Der Begriff "Essay" wird definiert als "Versuch" beziehungsweise Abhandlung, die einen scharf umgrenzten Gegenstand folgerichtig und allgemeinverständlich zur Anschauung bringt. Besonders diese offene, zur Strenge des Urteils verpflichtende Form der Darstellung schien mir sehr geeignet, die widerspruchsvolle Vielfalt des zeitgeschichtlichen Konflikts, die ich um die Person des Pfarrers Rauch konzentriert sah, auch sichtbar zu machen.