Köthen Köthen: Start mit Gymnastik für Massen
Köthen/MZ. - 1911 MILITÄRISCHE BRIEFTAUBE
Liest man sich durch die Zeitungen von vor 100 Jahren, dann fällt auf, dass es wettertechnisch offensichtlich einige Parallelen zum Jahr 2011 gibt, zumindest wenn man die ersten Junitage betrachtet. Denn, wie die "Cöthensche Zeitung" am 8. Juni meldet, habe der Pfingstmontag wohl zu den heißesten Tagen des Monats gehört, dies mit einer geradezu sengenden Glut, lähmend auf Mensch und Tier wirkend. Einzelne und glücklicherweise nur leichtere Fälle von Hitzschlag wären gemeldet worden. Über Nacht sei eine leichte Abkühlung eingetreten, man wünsche sich derzeit länger anhaltende Niederschläge.
Derweil hat Rumpfs Hotel in der Weintraubenstraße einen ungewöhnlichen Besucher. Vor einigen Tagen habe man nämlich dort eine in völlig ermattetem Zustand befindliche Militärbrieftaube gefunden. "Dieselbe trägt auf dem rechten Flügel das deutsche Reichswappen und einen Stempel mit der Inschrift Militärdiensttaube Nr. 530." Der Ring am rechten Fuß sei mit der Nummer 04047-477 versehen. Dem Finder wäre viel daran gelegen, dass die Taube dem rechtmäßigen Eigentümer wieder zugestellt werden könne.
Leider auch ein Opfer des Krieges ist wie viele andere Denkmäler das Jahn-Denkmal in Köthen geworden, einst gelegen gegenüber dem Neustädter Platz auf einem Platz vor dem damals noch existierenden Gutshaus Cläppius. Am 10. Juni 1911 befasst sich die Redaktion mit der Bepflanzung des Schmuckplatzes. Man plane einen "stimmungsvollen Platz" mit Begonien, Pelargonien, Agarathum (typische Rabattenpflanze mit blauen Blüten) etc. Auf dem Beet direkt "vor dem Denkmal die Initialen der Deutschen Turnerschaft, das vierfache F durch Zwergagerathum usw. aufgeführt, während im Halbkreis hinter dem Denkmal eine Gruppe aus Evonymus (Spindelstrauchgewächs), Kirschlorbeer usw., und zur Ausfüllung dieser grün- und rotblätterige Cannas". Leider beeinträchtige die unregelmäßige und nicht bei der Einrichtung zu umgehende Form des Platzes nicht nur das Denkmal, sondern auch die Beete. Im nächsten Jahr pflanze man die geplanten Gehölzgruppen, durch diese Schaffung einer stimmungsvollen Umgebung würden die Formen besser zur Geltung kommen.
Den bei der Schaffung des Denkmals und seiner Umgebung beteiligten Personen gebühre das Verdienst, die Stadt um einen Schmuckplatz vermehrt zu haben. "Hoffentlich verfällt das Geschaffene nicht, wie schon so oft an anderen Stellen, der Zerstörungswut gewissenloser Buben; den Hunden ist durch Drahtvergitterung das Handwerk gelegt worden, für die Ersteren gibt es aber kein wirksameres Mittel als die Unterstützung der Aufsichtsorgane und die Beaufsichtigung durch das Publikum und unnachsichtliche Anzeige und Bestrafung der abgefassten Täter."
1936 STAHLMASTEN
VERSCHWINDEN
"Reich" ist wahrlich ein viel gebrauchtes Wort vor 75 Jahren, dies mit durchaus unterschiedlicher Betonung. Da gab es ob des inflationären öffentlichen Gebrauchs vielfältige Scherze bis hin zu zwei Seeoffizieren, die sich den gewagten und fast sehr böse geendeten Witz erlaubten, den sich bei einer Seefahrt übergebenden Hermann Göring den Titel "Reichsfischfüttermeister" zu verleihen. Da es sich hier um die Zeitungsschau handelt und es offiziell im Dritten Reich nur noch gleichgeschaltete Zeitungen gab, kommt hier die zweite und wesentlich häufigere Betonung zum Tragen: die offizielle nämlich.
Und somit wurde vor 75 Jahren, wie die "Köthensche Zeitung" am 8. Juni 1936 mitteilt nicht der Handwerkertag begangen, sondern der Reichshandwerkertag, natürlich eröffnet vom Reichshandwerkermeister Schmidt, "geschmückt" mit einer Rede vom Reichsleiter Alfred Rosenberg. Auch im Lokalteil trägt man dem Ereignis Rechnung, vor allem sticht ein großer Anzeigenteil heraus, in welchem sich Dutzende Handwerker präsentieren. Angefangen vom Malermeister Max Kurth über Schuhmachermeister König aus der Leipziger Straße bis hin zu Mauermeister Hildebrandt in der Halleschen Straße 37 und Bäckermeister Karl Bernstein in der Ludwigstraße 6.
Einen Tag später wird Köthen aus der Sicht als Sitz einer Kreishandwerkerschaft beleuchtet. Die Kreishandwerkerschaft Köthen bilde zusammen mit weiteren vier Kreishandwerkerschaften den Handwerkskammerbezirk Dessau. Sitz in Köthen wäre die Schalaunische Straße 29. Von den im Jahre 1934 im Handwerkskammerbezirk gezählten 9 238 Handwerksbetrieben würden auf das Köthener Stadtgebiet 800 Betriebe entfallen mit insgesamt 4 100 Personen. Dazu zählten beispielsweise 2 100 Arbeiter.
Wie am 11. Juni freudig berichtet wird, habe man nunmehr die bereits vor längerer Zeit unterirdisch verlegten Elektrizitätskabel in Betrieb genommen. "In allen Straßen sieht man die eisernen Masten der früheren Oberleitungen fallen." Es habe sich also doch bewährt, dass man damals gleich sämtliche Kabel verlegt und so die "Buddelarbeiten" mit einem Male erledigt hätte.
1961 KONSUM FÜR DEN HEIDEHOF
Dem Akener ist die Zuordnung von Aken-Heidehof kein Problem, den ortsunkundigen Lesern sei gesagt, dass mit dieser Bezeichnung jene Häuser rechts und links der B 187 a Richtung Köthen gemeint sind, die sich im Umfeld der Abzweigung gen Mennewitz befinden. Die "Freiheit" vom 6. Juni 1961 beschäftigt sich mit Aken-Heidehof und druckt einen erbosten Leserbrief eines Einwohners ab. Seit Jahren würden sich die Einwohner um eine Konsum-Verkaufsstelle bemühen, es habe auch schon einmal eine öffentliche Anfrage über die "Freiheit" gegeben mit dem Ergebnis, dass nichts geschehen wäre. Eine Anfrage an die Stadtverordnetenversammlung im Herbst 1960 hätte Einsicht in die Notwendigkeit seitens des Bürgermeisters und des Rates der Stadt Aken ergeben, nach dortigen Angaben fehle aber ein passender Verkaufsraum und eine Verkaufskraft. Einem neuen Versuch habe man mit den Unterschriften sämtlicher in Aken-Heidehof lebenden 32 Familien mit 122 Personen Nachdruck verliehen. Groß sei die Freude über eine schnelle Zusage gewesen, gefolgt von einer Ortsbesichtigung. Ein Einwohner hätte die Zusage gemacht, einen Raum für die Verkaufsstelle zur Verfügung zu stellen und auch den Verlauf zu übernehmen. Damit wäre alles vorhanden gewesen, um sofort handeln zu können, aber nichts sei geschehen. Eine erneute Anfrage habe man mit dem Versprechen beantwortet, am Freitag, dem 2. Juni 1961, hinauszukommen und das in Ordnung zu bringen. Mittlerweile schreibe man den 5. Juni und eine Verkaufsstelle fehle immer noch. Gedenke denn der Rat der Stadt Aken durch eine solche Arbeitsweise der neuen Ordnung des Staatsrates gerecht zu werden? Wenn jede Eingabe der Bürger jahrelang nicht erledigt würde, wie wolle man dann in Aken mit der Erledigung der Kritiken, Anregungen und Beschwerden durchkommen? Soweit der Leserbrief.
Ungewöhnlich scharf und deutlich auch die Kritik der "Freiheit" in der Anmerkung der Redaktion dazu: Der Brief "zeigt deutlich, wie herzlos sich manche Staatsfunktionäre gegenüber unserer Bevölkerung verhalten". Man fordere vom Rat und der Konsumgenossenschaft Aken noch heute Mitteilung, was sie zu tun gedenken. Offenbar zeigte das Wirkung, denn zwei Tage später teilt die Zeitung mit, dass eine Beratung mit allen Beteiligten vor Ort stattgefunden habe und eine Lösung gefunden sei. Ab 15. Juni werde über einen Agenturvertrag der Verkauf beginnen, zunächst mit einem Sortiment, das "in gewissem Rahmen gehalten" werde. Dabei wolle man den Bedarf prüfen und entsprechend erweitern.
Zwei tragische Todesfälle werden in dieser Woche auch behandelt. So sei der 21-jährige Schlosser Klaus J. aus Aken in der Elbe ertrunken, nachdem er beim Anlegemanöver nach einer Segelboottour mit seinem Vater ins Wasser gestürzt war. "J. wollte an Land schwimmen und geriet dann vermutlich durch die hochwasserführende Elbe in einen Strudel und ertrank." Bis jetzt habe man die Leiche noch nicht gefunden. Beim zweiten Toten handele es sich um den 15-jährigen Rainer K. aus Zehmigkau. Beim Spielen am Elsnigker Teich sei ihm der Ball ins Wasser gefallen und beim Versuch, ihn wieder herauszuholen, sei der des Schwimmens Unkundige ertrunken. Auch hier habe man trotz des aufopfernden Einsatzes der Mitglieder des Wasserrettungsdienstes die Leiche noch nicht gefunden, was seine Ursachen im stark verkrauteten und fünf Meter tiefen Teich begründet liege.
1986 DEFEKTE
DÄCHER
Mit einem Klöppellehrgang sind wir schließlich im Jahr 1986 angekommen. Diejenigen, die die "edle Technik des Klöppelns" würden erlernen wollen, hätten dazu in Kürze Gelegenheit, denn das Kreiskabinett für Kulturarbeit bereite einen solchen Lehrgang vor. Voraussetzung sei allerdings der Besitz einer eigenen Klöppelausstattung sowie etwas Geduld und Freude an kreativer Arbeit.
Die Berichterstattung über die Volkskammerwahlen am 8. Juni prägen die Berichterstattung der Woche, bei einer Wahlbeteiligung von 99,73 Prozent hätten laut der "Freiheit" 99,94 Prozent aller Wähler für den Wahlvorschlag gestimmt. Das hieße bei 7 512 Gegenstimmen insgesamt 12 392 094 Pro-Wähler.
Derweil ist man in Köthen laut einem am 12. Juni veröffentlichten Interview in Spartakiadestimmung. Welcher in der DDR geborene Köthener kann sich nicht an diese Institution erinnern? Entwickelt aus einer 1964 geborenen Idee, einen sportlichen Wettkampf mit möglichst vielen Disziplinen für Kinder und Jugendliche zu organisieren, entwickelten sie sich schnell zu einer Tradition. Im "Freiheit"-Interview spricht dazu der Kreisvorsitzende des DTSB (Deutscher Turn- und Sportbund), Bernd Lasser. Man könne spannende und interessante Wettkämpfe erwarten, die langfristig eingeräumte Vorbereitungszeit sei von den Mädchen und Jungen gut genutzt worden. 4 500 Sportler aus dem Kreis Köthen waren in über 20 Disziplinen dabei. Lediglich die Ruderer hatten ihre Wettkämpfe aus technischen Gründen schon hinter sich. Organisatorisch sei alles im Lot, die Kollegen vom Sportstättenbetrieb würden immer vorbildlich für die Anlagen in ihren Betrieben sorgen.
Am Freitag, dem 13. Juni, werde Herbert Heber, 1. Sekretär der Kreisleitung der SED, die 22. Kreis-Kinder- und Jugendspartakiade während eines Festaktes eröffnen, inklusive natürlich des Anzündens der Spartakiadeflamme. Weiterhin stehe wie immer die Massengymnastik auf dem Programm und die sechs besten Schulen des Vorjahres würden wie jedes Jahr im Staffellauf um den Pokal des Kreisschulrates kämpfen. Beenden werde den Auftakt ein Tagfeuerwerk.
Mit Beschwerden durch den Volkskorrespondent Rudi Kaufmann endet die Zeitungsschau. Die Dächer der einzelnen Bushaltestellen am Busbahnhof in Köthen seien nämlich beschädigt, zum Teil fehlten ganze Dachteile. Somit seien die Köthener Fahrgäste wohl ganz froh über das Ende der Regenperiode. Anscheinend fühle sich Niemand für die Instandsetzung verantwortlich. "Es sei an dieser Stelle noch einmal gesagt, dass die Berufstätigen, die von außerhalb kommen und in den Betrieben fleißige Arbeit leisten, diese Unterstellmöglichkeit täglich nutzen möchten und für eine rasche Beseitigung der Schäden sehr dankbar wären."