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Sonderschau für Kunststifter Sonderschau für Kunststifter: Bankgeheimnis Hochkultur

Von Detlef Färber 20.11.2017, 10:59
Marktplatz 19, Eckhaus Kleinschmieden: Hier, im Bankhaus Steckner, ist das Geld verdient worden, ohne das die Moritzburg heute kaum vorstellbar wäre.
Marktplatz 19, Eckhaus Kleinschmieden: Hier, im Bankhaus Steckner, ist das Geld verdient worden, ohne das die Moritzburg heute kaum vorstellbar wäre. Repro/Holger John

Halle (Saale) - Längst hätte dieses Stück hallesche Geschichte mal erzählt werden müssen. Auch weil es ein Paradebeispiel dafür ist, was wir heute „bürgerschaftliches Engagement“ zu nennen uns angewöhnt haben - oft ohne zu wissen, dass es sich aktuell dabei nur noch um kümmerliche Relikte dessen handelt, was gerade in dieser Stadt einst so hieß. Relikte deshalb, weil es solch ein Bürgertum fast nicht mehr gibt: Eins, das Halle nach vorn bringen und ganz selbstverständlich auch für neuen Glanz in der eigenen Stadt sorgen will. Und es kann!

Einem dieser Bürger, die in Halle nicht nur reich geworden sind, sondern die Stadt auch bereichert haben, ist die neue Ausstellung in der Moritzburg gewidmet: Sein Name ist Reinhold Steckner (1824-1894). Aus Merseburg stammend, hat der Mann sich nach einer Färber-Lehre (Schwarz- und Schönfärberei) in der Welt umgetan, mit Eisenbahnaktien ein kleines Vermögen gemacht, mit Hilfe dessen es ihm dann gelang, ein Bankhaus zu gründen und zu etablieren.

Söhne und Nachfolger gründeten Reinhold-Steckner-Stiftung

Nur so konnte Steckner zum Unterstützer auch vieler sozialer Projekte und schließlich zum Stifter werden. Seinen Intentionen folgend und mit den Mitteln seines Nachlasses haben seine Söhne und Nachfolger jene Reinhold-Steckner-Stiftung gegründet, ohne die es die Moritzburg, wie wir sie heute kennen, wohl nicht geben würde. So zumindest hat es der auch fast schon legendäre frühe Moritzburg-Chef Max Sauerlandt formuliert hat: „Diese Stiftung war wie ein zweiter Geburtstag des Museums nach überaus schwerem Beginn“.

Sauerlandt musste es wissen, denn als er 1908 dieses Museum übernahm, waren er und seine ambitionierten Vorhaben Hauptnutznießer dieser Stiftung - und vieler weiterer Stifter. Doch bleiben wir bei Steckner, dessen auf heutige Verhältnisse kaum zu übertragende oder zu beziffernde Zahlung von 100.000 Mark den Aufbau der zuvor nur noch in Ruinen und Trümmern vorhandenen Wehrgänge ermöglicht hat: Sowie deren Ausbau zu Galerieräumen. Dann folgte der Umzug der Werke einer zunächst bescheidenen Sammlung aus einem ersten Kunstmuseum am Großen Berlin hinauf in die Moritzburg.

„Badende Mädchen“ von Ludwig von Hofmann

Um zu ermessen, wie hoch der Beitrag Steckners war, muss man auch wissen, dass die Hälfte davon für besagten Bau bestimmt war - und dafür offenbar genügte! Denn die weiteren 50.000 Mark flossen in die Kunst: Modernste Kunst dieser Zeit!

Ins Auge springen die „Badenden Mädchen“ von Ludwig von Hofmann - gemalt 1890, angekauft fürs Museum 1905. Und, als Prunkstück, Max Slevogts „Der Philosoph“: Eigentlich ein Porträt von 1903 des jungen Altphilologen Philipp Fischer von Weikersthal - angekauft fürs Museum sieben Jahre nachdem die Leinwand trocken war.

Blick auf die Bankiers der Familie Steckner

Vielleicht war diese Nähe zur Kunst, zum Schönen und zu den eigenen regionalen und nationalen Wurzeln ja eins der Geheimnisse einer Zeit beispielloser Erfolge und Fortschritte. Oder, mit Blick auf die Bankiers der Familie Steckner: Vielleicht war der Hang zur Hochkultur ihr Bankgeheimnis.

Doch dann ging es auf dieser Strecke für Halle bergab: Während zweier Kriege, im Faschismus (samt Kunstraub und Kulturbarbarei), und im Sozialismus, der die Bausubstanz der Stadt hat verkommen lassen, bevor sie mit Mitteln gerettet wurde, wie sie wohl nur ein kraftvoller Kapitalismus aufbringen kann.

Reminiszenz an die große hallesche Kunststifter-Ära

Eine hoffnungsvolle Reminiszenz an die große hallesche Kunststifter-Ära zu bringen, versprach die „Sammlung Hermann Gerlinger“. Doch deren letztlich nur Gastspiel gebliebene Anwesenheit in der Moritzburg brachte ihrem Sammler zwar Halles Ehrenbürgerschaft, der Stadt aber Katzenjammer. Und das Fazit: Außer Spesen wenig gewesen!

1905 - zur gleichen Zeit, da die Stiftung der Steckners für die Moritzburg in Halle startet - beginnt in Russland die erste Revolution. Und ein gewisser Wladimir Uljanow benennt sich mit Blick auf den sibirischen Strom Lena in Lenin um, drückt während des Russisch-japanischen Kriegs den Feinden seines Heimatlands die Daumen und bastelt am Konzept einer von ihm herbeigesehnten, neuartigen Diktatur.

„Kulturkampf“ und „Kulturelle Wende"

Zwölf Jahre später kann er beginnen, das Ganze umzusetzen: Zusammen mit einer Kulturrevolution, die sich später westwärts und ostwärts ausbreiteten und der Weltkultur gewaltige Verluste bereiten wird. Und deren mörderische Unbeirrbarkeit Millionen Menschen das Leben kostet.

Und nun, 112 Jahre später? Wird in Reinhold Steckners Heimat wieder munter von „Kulturkampf“ und „Kultureller Wende“ gefaselt. Das alles geht mit einer Bildungskrise, mit Leistungsverachtung und einer tiefen Spaltung der Gesellschaft einher. So wird aktuell von interessierten Seiten versucht, auf teils extreme Weise Frauen und Männer gegeneinander aufzuwiegeln. Insofern sind „Der Philosoph“ und „Badende Mädchen“ aus der Stiftung Steckners für die Moritzburg plötzlich wieder aktuelle und - wie damals - politische Bilder.

Sie grüßen als fast schon allzu ferne Boten vom Gipfel einer über Jahrhunderte gewachsenen Lebenskultur, Leistungskultur und Hochkultur: Einer Kultur, die nicht dem dekadenten Überdruss an ihr und die nicht den oft nützlicheren Subkulturen weichen darf! Und schon gar nicht dem Furor von misanthropisch veranlagten Moralmonstern.

›› Moritzburg bis Ende Januar, geöffnet täglich außer mittwochs, 10-18 Uhr. (mz)