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Radfahrer Radfahrer: Agieren zwischen Wünschen und Zwängen

12.10.2011, 19:30

Halle (Saale)/MZ. - Rainer Möbius kennt die Situation der Radfahrer in Halle wie nur wenige. Als Ressortleiter für Verkehrsplanung arbeitet er federführend an Lösungen für alle Verkehrsteilnehmer. Der 58-Jährige ist seit 1978 im Bereich Verkehrsplanung der Stadt tätig. Im Gespräch mit MZ-Mitarbeiterin Ines Godazgar erklärt er, warum es oft der Kompromiss ist, der am Ende einer neuen Verkehrslösung steht.

Das Stadtplanungsamt hat seinen Sitz im Technischen Rathaus am Hansering. Also mitten in der Stadt, wo es kaum Parkmöglichkeiten gibt. Wie kommen Sie und Ihre Kollegen zur Arbeit?

Möbius: Auf ganz unterschiedliche Weise. Wenige mit dem Auto, die meisten per Fahrrad oder Straßenbahn. Und das ist auch gut so. Denn wer selber Fahrrad fährt, der kennt Probleme und Tücken, die im Verkehr lauern, aus eigener Anschauung. Das ist auch ein Vorteil für unsere Arbeit. So sieht jeder Kollege den Verkehr aus seiner speziellen Situation. Und das ergänzt sich in der täglichen Arbeit oft sehr gut zu einem Ganzen.

Sie sind Verkehrsplaner. Dabei müssen Sie möglichst die Bedürfnisse aller Verkehrsteilnehmer im Blick haben. Wie geht das?

Möbius: Das ist in der Tat nicht so einfach. Oft bleibt nur, zwischen den schwierigen Gegebenheiten und den Bedürfnissen der einzelnen Verkehrsteilnehmer einen Kompromiss zu finden. Nicht immer sind wir mit diesem Kompromiss zufrieden. Oft geht es aber nicht anders. Uns sind enge Grenzen gesetzt, zum einen durch die angespannte Haushaltslage. Zum anderen, weil die Altstadt durch ihre historische Bausubstanz bei der Planung immer wieder Grenzen setzt. Wenn auf einer nur wenige Meter breiten Trasse gleichzeitig Straßenbahn, Autos, Radfahrer und Fußgänger untergebracht werden müssen, ist das schwierig. Aber: Wir müssen diese engen Grenzen als gegeben hinnehmen. Ob es uns gefällt oder nicht.

Viele Fahrradfahrer beklagen, dass es in Halle keine Lobby für sie gibt. Würden Sie das unterschreiben?

Möbius: Nein. Seit der Wende haben wir uns sehr intensiv mit dem Radverkehr in der Stadt auseinander gesetzt. Und vieles wurde schon geschafft, zum Beispiel die gesamte Trasse nach Neustadt. Sie ist inzwischen durchgängig für Radfahrer befahrbar. Oder die Ludwig-Wucherer- und die Reilstraße. Dort gab es zwar auch früher schon Radwege, aber sie waren in keinem guten Zustand. Zum Vergleich mal ein paar Zahlen: 1995 gab es in Halle rund 35 Kilometer Radwege. Inzwischen sind es etwa 100. Daran kann man sehen, dass sich doch etwas getan hat. Von den neun Verkehrsplanern in meinem Ressort gibt es einen Kollegen, der sich bei Planungsvorhaben ausschließlich um die Sicht der Radfahrer und Fußgänger kümmert. Er leitet den "Runden Tisch Radverkehr", den es seit Jahren in der Stadtverwaltung gibt. Und er gibt bei allen Gestaltungsbeschlüssen eine gesonderte Stellungnahme aus Sicht der Radfahrer und Fußgänger ab.

Worauf führen Sie es dann zurück, dass die Radfahrer ihre Bedürfnisse so oft nicht erfüllt sehen? Oder, dass sie sich im Verkehr oft gar bedroht fühlen?

Möbius: Worauf Sie anspielen, hat aus meiner Sicht wenig mit verkehrsplanerischen Aspekten zu tun. Im Verkehr drückt sich natürlich auch eine gewisse soziale Grundstimmung aus. Wenn Sie so wollen, ist er das Spiegelbild des Zusammenlebens in einer Stadt. Zwischen den Verkehrsteilnehmern muss es ein Grundverständnis geben, eine gegenseitige Rücksicht, die ja auch der Paragraf 1 der Straßenverkehrsordnung gebietet. In diesem Bereich sehe ich auch Defizite. Ein weiterer Grund für die Eigensicht der Radfahrer könnte außerdem die Bevölkerungsstruktur in Halle sein. Vieles ist seit der Wende im Umbruch. In den vergangenen Jahren haben wir viele Einwohner verloren, die Zahl der alten Menschen nimmt zu. Für sie spielt der Radverkehr eine eher untergeordnete Rolle.

Wie kann man Radfahrer als Verkehrsteilnehmer am besten schützen?

Möbius: Jüngste Forschungsergebnisse haben gezeigt, dass die sogenannten Fahrradstreifen am besten sind. Das sind keine abgetrennten Radwege, sondern sie liegen auf der Straße direkt neben der Fahrbahn, sind aber von ihr durch eine durchgezogene Linie getrennt. So einen Fahrradstreifen gibt es zum Beispiel auf der Kröllwitzer Brücke stadtauswärts oder in der Ludwig-Wucherer-Straße.

Welche Vorteile bieten diese Fahrradstreifen gegenüber herkömmlichen Radwegen?

Möbius: Ganz einfach: Die Fahrradfahrer sind für Autofahrer schlicht besser sichtbar. Denn die Streifen liegen im Unterschied zu herkömmlichen Radwegen direkt neben der Kfz-Spur. Keine parkenden Autos, kein Gebüsch stört dort den Blick des Autofahrers. Kurioserweise empfinden viele Radfahrer diese Nähe zur Fahrspur der Kraftfahrzeuge subjektiv eher als Bedrohung.

Sie haben bereits die engen Straßen der historischen Innenstadt angesprochen. Und die Probleme, die man dort aus verkehrsplanerischer Sicht hat. Wäre es in Magdeburg mit seinen breiten Straßen einfacher für Sie?

Möbius: Wir unterhalten enge Kontakte zu unseren Magdeburger Kollegen. Daher weiß ich: Sie haben vielleicht nicht unsere Probleme, aber sie haben dafür andere.

Gab es Planungen, mit denen Sie nach ihrer baulichen Umsetzung nicht zufrieden waren oder sind?

Möbius: Die Praxis hat uns gelehrt, dass sich die Dinge mitunter anders entwickeln, als wir es aus verkehrsplanerischer Sicht für sinnvoll halten. Ein Beispiel ist die Große Ulrichstraße: Sie ist sehr eng und somit aus unserer Sicht nicht für Fahrradfahrer geeignet. Daher haben wir für die Radler eigentlich die Strecke über die Kleine Ulrichstraße favorisiert. Die Praxis zeigt aber, dass auch die "Große Uli" von Radlern genutzt wird. Das müssen wir bei der laufenden Planung für die Umgestaltung in diesem Bereich berücksichtigen.

Soll das heißen, es wird in der Großen Ulrichstraße künftig einen gesonderten Radweg geben?

Möbius: Nein, das ist wegen der Enge gar nicht möglich. Aber trotzdem werden wir die Bedürfnisse der Radler in die Planungen einbeziehen. Soll heißen: Die Straßenbahn muss sich auf die Radler einstellen. Dazu gibt es Kontakte zur Havag. So gilt für Straßenbahnen bereits Tempo 20. Das soll auch für Autos bald so sein. Diese Reduzierung schützt auch die Radfahrer.

Ein weiteres Thema ist die Frage, warum Radler nicht den oberen Boulevard befahren dürfen. Es hat sich doch gezeigt, dass die Ausweichstrecke über die Martinstraße selten genutzt wird.

Möbius: Wir wissen, dass diese Strecke nicht so gut angenommen wird. Aber sie ist zunächst einmal ein Angebot. Außerdem muss man ganz grundsätzlich sagen, dass auf dem Boulevard der Schutz der Fußgänger absoluten Vorrang hat. Wir stellen jedoch auch fest, dass die Fußgängerströme auf dem oberen Boulevard rückläufig sind. Deshalb steht die Frage im Raum, ob man nicht prüfen sollte, diesen Teil der Straße für Radfahrer zu öffnen.

Damit würden Sie viele Radfahrer glücklich machen.

Möbius: Die Entscheidung liegt aber nicht bei uns. Wir als Verkehrsplaner können lediglich die Empfehlung für eine Prüfung aussprechen. Die Entscheidung fällt in der Unteren Verkehrsbehörde. Sie ist für alle rechtlichen Aspekte zuständig. Außerdem gebe ich zu bedenken, dass der Stadtrat sich seinerzeit gegen Radler auf dem Boulevard ausgesprochen hatte. Bisher gab es aus dieser Richtung keine anders lautende Entscheidung.

Welche größeren Projekte stehen als nächstes für Sie als Verkehrsplaner an?

Möbius: Als Erstes die Delitzscher Straße. Wenn sie fertig ist, kann man als Radfahrer durchgängig von Reideburg in die City fahren. Künftig wird uns die Steintor-Kreuzung beschäftigen. Gedanklich habe ich mich damit schon während meiner Studienzeit beschäftigt, als sie noch Marx-Engels-Platz hieß. Damals, ungefähr 1978, war ich Praktikant bei der Stadt und habe dort meine Diplomarbeit geschrieben. Ein Verkehrsplaner sagte: "Schau doch mal, was man da besser machen kann." Insofern sind die Verkehrsprobleme an dieser komplexen Kreuzung für mich nicht neu. Mit den Planungsarbeiten für die Steintor-Kreuzung wird in nächster Zeit begonnen. Mit dem Umbau wird ein sehr komplexer Verkehrsknoten neu gestaltet.

Worin liegt für Sie der besondere Reiz des Verkehrsplaners?

Möbius: Ich liebe meinen Beruf. Der Reiz liegt darin, sich ständig kreativ auf neue Situationen einstellen zu müssen.

Sie klingen sehr positiv. Wie würden Sie die Situation der Radfahrer in Halle mit wenigen Worten zusammenfassen?

Möbius: Obwohl die Haushaltslage uns enge Grenzen setzt, stellen wir am Ende jedes Jahres fest, dass sich wieder ein paar Dinge zum Positiven entwickelt haben. Ich würde sagen, es geht also voran. Auch, wenn wir noch weit vom Idealzustand entfernt sind.