Bürgerrechtlerin Bärbel Bohley Bürgerrechtlerin Bärbel Bohley: Enttäuschender Erfolg

Halle (Saale) - Es gibt dieses eine Bild, entstanden sechs Jahre vor ihrem Tod, das den Triumph und die Traurigkeit von Bärbel Bohley wie unter einem Brennglas zeigt. Die Malerin aus Berlin, geboren wenige Wochen nach dem Ende des Zweiten Weltkrieges, sitzt neben Helmut Kohl, dem anderen Wegbereiter von Wende, Mauerfall und deutscher Einheit. Bärbel Bohley ist klein, winzig geradezu gegen den Giganten aus Oggersheim, sie lächelt, wenn auch mit etwas schmalen Lippen. Ein Sinnbild: Hier der große Weltpolitiker im Mantel der Geschichte. Dort die kleine Frau im quergestreiften Rock, die nie Politik hatte machen wollen.
Fünfzehn Jahre ist es damals her, dass die Malerin aus Berlin, über ihren Mann Dietrich schon Ende der 60er Jahre Teil der aus Halle stammenden Bohley-Familie geworden, Weltgeschichte angestoßen hatte. Bohley war es, die die Idee zur Gründung der Bürgerbewegung Neuen Forum hatte, gemeinsam mit Katja Havemann und Rolf Henrich grübelte sie ein Jahr lang, wie sich eine Oppositionsbewegung in der DDR legal außerhalb der schützenden Mauern der Kirchen etablieren lassen könnte.
Ein halbes Jahr im Exil
Es ist ein Jahr, das die von Dutzenden Stasi-Spitzeln beobachtete Künstlerin zu einem guten Teil im Exil verbringt. Dorthin hat sie die Stasi expediert, nachdem sich Bohley und ihr Lebensgefährte Werner Fischer für DDR-Systemkritiker eingesetzt hatten, die bei der traditionellen SED-Demonstration zum Jahrestag der Ermordung von Rosa Luxemburg und Karl Liebknecht verhaftet worden waren.
Ein Kompromiss. Bärbel Bohley, obwohl sie schon Mitte der 80er im Gefängnis gesessen hatte, wollte nie in den Westen wie so viele andere. Sie trat ihre Englandreise nur an, weil die Stasi der in der Haft von ihr gestellten Bedingung zugestimmt hatte, dass sie mit einem DDR-Pass zu einem „Studienaufenthalt“ ausreisen und nach sechs Monaten zurückkehren dürfe.
Von Stasi-Leuten gefesselt und mitgenommen
Eigentlich schon das Ende der DDR, die nun offenbar nicht mehr in Lage war, Dissidenten einfach rauszuschmeißen, wie sie es noch mit Wolf Biermann praktiziert hatte. Doch was sich im Geschichtsbuch liest wie der Offenbarungseid eines mürben Systems, wird in Bärbel Bohleys „Englischem Tagebuch“ (BasisDruck-Verlag, 14 Euro) zu erlebtem und erlittenem Schicksal. Die damals gerade 42-Jährige schildert, wie „vier Typen wie aus dem letzten Stasi-Keller“ in ihre Wohnung eindringen, sie fesseln und mitnehmen. Wie die Vernehmungen ablaufen, wie sich die Wochen ziehen, wie die Hoffnung sinkt und wie MfS-Offiziere und IM-Anwälte dabei zusammenarbeiten, die Inhaftierten im Sinne der DDR-Führung zu beeinflussen.
Eine Mühle, in der Menschen gebrochen werden. Bärbel Bohley, nach Ansicht ihrer halleschen Schwägerin Heidi Bohley ebenso weitsichtig wie furchtlos und zudem ein Mensch, der „dunkle Stunden als etwas sehr Privates behandelte“, hält durch. Mit „vernagelten Sinnen“ (Bärbel Bohley) taumelt sie durch die fremde Welt des Westens, kehrt zurück und wird so zuerst zum Aushängeschild der DDR-Opposition und später zu einer Art Gewissen der ganzen Nation. Eine Rolle, die Bärbel Bohley abgelehnt hat. Ohne je aufzugeben im Bemühen, gegen die Windmühlen der Resignation zu kämpfen, zog sie sich aus der ersten Reihe der Oppositionsbewegung zurück, in der bald nach dem Mauerfall ein Hauen und Stechen um die besten Startplätze in die Parlamentslandschaft ausbrach. Bohley beließ es bei einem Kurzgastspiel in der Ost-Berliner Stadtverordnetenversammlung, später wirkte sie allein durch die Kraft einer moralischen Instanz, deren Lauterkeit und Unbestechlichkeit niemand in Zweifel zieht.
Die bundesdeutsche Parteiendemokratie mit ihrer Lagermentalität war nicht das, was Bärbel Bohley sich erträumt hatte, als sie das Neue Forum erfand. Quer zu den Parteien sollte die Bürgerbewegung stehen, auf festen Werten gründen und nur der Vernunft folgen. Eine Idee, die der etablierten Politik zu absurd schien, sie überhaupt zu diskutieren: Das Parteiengesetz sah eine derartige Konstruktion nicht vor, so dass das Neue Forum schon zur Bundestagswahl 1990 nicht antreten konnte.
Es mag Bärbel Bohley nicht unrecht gewesen sein, dass sie bei ihren Prinzipien bleiben musste. Sie hat dann die Stasi-Zentrale mitbesetzt, die bis heute umstrittene Stasi-Vergangenheit von Gregor Gysi ungeachtet drohender Klagen als glasklare Tatsache dargestellt und immer wieder die notwendige Aufarbeitung des DDR-Unrechts angemahnt. Ihr Satz „Wir wollten Gerechtigkeit und bekamen den Rechtsstaat“ wurde zum geflügelten Wort. Und Bärbel Bohley von der gefeierten Revolutionsikone zu einer belächelten DDR-Tante, die nicht begreifen könne, dass auch mal Schluss sein müsse mit dem Herumstochern in den Wunden der Vergangenheit.
Neuanfang auf dem Balkan
War es Müdigkeit, Enttäuschung oder einfach die Lust, noch einmal neu anzufangen, ohne auf der Straße erkannt zu werden? Bärbel Bohley ging als Aufbauhelferin ins kriegsversehrte Bosnien, sie lernte einen Mann kennen, kaufte ein Haus im kroatischen Örtchen Celina mit Blick auf die Insel Brac. Aus dem Fenster, erzählte sie, sei der Steinbruch zu erkennen, aus dem Teile von Reichstag und Weißem Haus in Washington stammen.
Mit 65 Jahren starb Bärbel Bohley in einem Haus im vorpommerschen Landkreis Uecker-Randow, in das sie sich - schon schwer erkrankt - zurückgezogen hatte. Nicht bitter, aber bitter enttäuscht, dass die Fragen und Widersprüche um sie herum gar nicht weniger geworden waren. „1989 hätten wir auf viele dieser Fragen gute Antworten geben können“, glaubte sie.
Zum 70. Geburtstag von Bärbel Bohley: 28. Mai, 19 Uhr, PuschKino Halle, Bärbel Bohley „Englisches Tagebuch 1988“, szenische Lesung mit Wiebke Frost und Inés Burdow, Eintritt frei (mz)