Vier Kinder werden jeden Monat in Obhut genommen
DESSAU-ROSSLAU/MZ/. - Der Trend zeigt eine deutliche Zunahme der Inobhutnahmen von Kindern und Jugendlichen durch die Jugendämter. Drei bis vier, so die Behörde, seien dies in der Doppelstadt im Monat.
Als dramatisch wollen aber weder Lachmann noch Amtsleiterin Heike Förster diese Entwicklung bezeichnen. "Es gibt eine größere Sensibilität bei der Bevölkerung und auch bei den Einrichtungen, das heißt, es werden mehr Fälle gemeldet als früher", sieht Falko Lachmann eine Erklärung für die Zunahme. Erkennbar sei jedoch, dass oftmals das familiäre oder auch das soziale Netz fehle. Die Hilfe untereinander gebe es also nicht.
Wird ein Kind vom Jugendamt in Obhut genommen, das heißt, vorübergehend anderweitig, in einer Einrichtung oder bei Pflegepersonen, untergebracht, liegt eine akute Krisensituation in der Familie vor, die eine Gefahr für das Kind darstellt. Ob das Kind aus der Familie genommen wird oder nicht, entscheidet der Mitarbeiter vor Ort. "Das ist jedes Mal eine diffizile Einzelentscheidung", erläutert Falko Lachmann. Entscheidend sei dabei
auch das Alter des Kindes. "Je jünger das Kind, je höher liegt der Maßstab für eine Gefährdung." Auch bei offensichtlicher Gewaltanwendung gegen das Kind werde sofort gehandelt. "Da gibt es keine Diskussion." Als Hauptgründe für das Eingreifen der Behörde nennt der Abteilungsleiter an erster Stelle Misshandlungen, gefolgt von Vernachlässigung und Selbstmeldern. "Letztere hatten wir im vorigen Jahr relativ viele", so Lachmann. "Das sind ältere Kinder, etwa ab 12 Jahre, die zu uns kommen und Hilfe suchen." Die Kinder, die 2008 in Dessau-Roßlau in Obhut genommen wurden, waren zwischen 7 Monate und 17 Jahre alt.
Die Probleme, die zu Eskalationen in den Familien führten, seien oftmals vielschichtig, weiß Falko Lachmann. Geldsorgen, Arbeitslosigkeit, die wiederum kaum soziale Beziehungen zulässt, hinzu kämen psychische Probleme wie ein sinkendes Selbstwertgefühl, Mutlosigkeit. "Die Menschen stumpfen ab und werden antriebsarm. Dies alles wirkt sich natürlich auf die Erziehung der Kinder aus." Nicht selten kämen Alkoholprobleme hinzu.
Die Arbeit der elf Mitarbeiter im Sachgebiet Erziehungshilfe des Allgemeinen Sozialen Dienstes hört mit der Inobhutnahme der Kinder nicht auf. "Sie beginnt dann erst", macht Heike Förster aufmerksam. Denn ihre Aufgabe sei es, mittels "Hilfe zur Selbsthilfe" die Familien wieder zu einem eigenverantwortlichen Leben zu befähigen. "Die Arbeit in den Familien ist zeitaufwändiger geworden in den letzten Jahren, da sich durch die Vielschichtigkeit der Probleme die Situation oft schon verschärft hat", sagt Falko Lachmann.
Im Rahmen einer so genannten Krisenintervention wird den Familien "nach Abklingen der Eskalation" Hilfe angeboten. Gemeinsam werde ein Hilfeplan erstellt und die geeignete Hilfeform herausgearbeitet. "Es werden Ziele abgesteckt und die praktische Verfahrensweise besprochen. "Das alles setzt aber voraus, dass die Eltern das wollen und aktiv mitwirken", betont Lachmann. Möglichkeiten der Hilfe gebe es viele, die allesamt individuell auf die jeweilige Familie zugeschnitten würden. Die Stadt bedient sich dabei der Dienstleistung freier Träger wie dem Diakonischen Werk, dem Paritätischen Sozialwerk, der Caritas, dem Deutschen Roten Kreuz, die beispielsweise ambulante Hilfen zur Erziehung wie den Einsatz von sozialpädagogischen Familienhelfern, den Besuch einer Tagesgruppe, der Erziehungsbeistandsschaft oder fachliche Beratung, anbieten.