Theater-Debatte in Dessau Theater-Debatte in Dessau: Dorgerloh als "Kulturbanause" beschimpft

DESSAU-ROSSLAU/MZ/SB - Wie man mit der Situation umgeht? „Verdrängung. Verdrängung. Verdrängung.“ Gerald Fiedler ist Schauspieler am Anhaltischen Theater - und seine Zukunft steht auf dem Spiel, wenn das Land drei Millionen Euro in Dessau spart und Schauspiel und Ballett schließt. „Wir Schauspieler sind es ja gewohnt, Koffer zu packen“, sagt Fiedler, der sein Schicksal gar nicht in den Vordergrund stellen will. „Es geht nicht um uns. Es geht um die Stadt, die dann das Theater nicht mehr hat.“
Livesendung aus Dessau
Der Deutschlandfunk hatte am Mittwoch in das Anhaltische Theater geladen. „Vorhang zu? Drastische Spaßmaßnahmen für die Bühnen in Sachsen-Anhalt“ war die Livesendung überschrieben, in der Sachsen-Anhalts Kultusminister Stephan Dorgerloh (SPD) die sieben Millionen Euro teuren Kürzungen bei den Theatern und Orchestern im Land mühsam versuchte zu verteidigen, in der eine emotionale Diskussion aber vor allem deutlich machte, wie tief die Wunden und Verletzung der vergangenen Monate sind - und wie wenig miteinander geredet wurde.
„Die Wut ist das Ergebnis einer Politik, für deren Art und Weise es keine überzeugenden Argumente gibt“, sagte André Bücker, Generalintendant des Anhaltischen Theaters, nach den 80 Minuten. In denen beklagte Halles Opernchef Axel Köhler, dass man im Vorfeld nicht gemeinsam erörtert hat, was man mit den Stadttheatern überhaupt machen will. „Ich bin als Intendant mit Gestaltungshoheit angetreten. Doch ich werde nur gestaltet.“ Köhler hat aus Protest 2016 seinen Abschied angekündigt. In den 80 Minuten kritisierte Matthias Brenner, künstlerischer Direktor des halleschen Theaters, eine „Kulturpolitik für Steine“. Man tue mehr für Uta in Naumburg als für die Bürger in der Stadt. Brenner sah Machiavelli am Werk: „Es wird entschieden und dann leise und schnell gehandelt.“
Ulrich Fischer, Intendant der Landesbühne Eisleben, die zu einem Kulturwerk umfunktioniert wird, wies auf die finanziellen Eckpunkte seines Theatervertrages hin. Von 50 Mitarbeitern bleiben 35. „Es ist ein Spagat, den man uns aufzwingt. Jeder kann sich ausrechnen, was man da noch für ein Theater machen kann.“ Ein Kulturkonzept, das den Namen auch verdient, verlangte Rüdiger Koch, Magdeburgs Kulturbürgermeister. Der vermeldete stolz, Magdeburgs Kulturausgaben seit 1995 von 4,5 auf 8 Prozent des städtischen Gesamtetats erhöht zu haben. In Dessau-Roßlau ist der Anteil schon lange zweistellig.
„Sachsen-Anhalt ist in der Konsolidierungsphase. Es musste grundlegend über die Theaterlandschaft nachgedacht werden“, begründete Kultusminister Stephan Dorgerloh die Einsparungen bei den Theatern - und verwies zugleich darauf, dass der Kulturetat im Land auf 110 Millionen Euro gestiegen sei. Es war eine Zahl, die Christian Eger, Kulturredakteur der Mitteldeutschen Zeitung, bestritt. „Es sind 89 Millionen Euro. Wir müssen festhalten, der Kulturetat im Land ist gesunken.“ Am Ende ist wohl entscheidend, was man alles dazurechnen will.
Dorgerloh hatte einen schweren Stand in der Runde der Theatermacher. „Wir gehen nicht ins operative Geschäft. Wir geben Rahmenbedingungen vor, wir geben das Geld“, versicherte der Kultusminister - und musste höhnisches Gelächter von Betroffenen ertragen. Im Fall Anhaltisches Theater immerhin kommt Dorgerloh der Stadt Dessau entgegen - und akzeptiert den Erhalt aller vier Sparten, die von der Solidarität der Kollegen am Anhaltischen Theater erst ermöglicht wird. Die wollen 90-prozentigen Teilzeitverträgen zustimmen.
„Das neue Konzept hat Charme“, erklärte Dorgerloh - und musste sich zugleich korrigieren. Am Tag zuvor hatte der Minister in Magdeburg verkündet, Dessau-Roßlau wolle auf Mittel aus dem Strukturanpassungsfonds verzichten. Das hatte für heftige Aufregung gesorgt. Im Forum stellte Dorgerloh das als Missverständnis dar.
„Die Strukturanpassung kostet auch Geld, wenn alle vier Sparten erhalten werden. Ohne Fonds geht das nicht“, sagte Nußbeck auf MZ-Nachfrage. Mittelfristig, bis 2018, würden in Dessau 80 Stellen wegfallen. Das Land streiche aber schon 2014 seinen Zuschuss von 8,3 auf 5,5 Millionen Euro. Dessau-Roßlau nimmt dafür 2014 und 2015 einen defizitären Haushalt in Kauf.
6,7 Millionen Euro Kosten
Die neuen Strukturanpassungskosten bezifferte Nußbeck auf 6,7 Millionen Euro - und hofft, dass das Land 50 Prozent davon übernimmt. „Wir wollen wie Halle behandelt werden“, sagte Dessau-Roßlaus Finanzbürgermeisterin und verwies auf eines: Mit dem alten Modell - dem Abbau von Schauspiel und Ballett - hätten die Strukturanpassungskosten bei 10,1 Millionen Euro gelegen. „Diese Summe hatte das Land schon akzeptiert.“ Es spart also trotzdem.
Die Radiosendung zum Nachhören


