1. MZ.de
  2. >
  3. Lokal
  4. >
  5. Nachrichten Dessau-Roßlau
  6. >
  7. Ausstellung in Justizvollzugsanstalt: Ausstellung in Justizvollzugsanstalt: Künstler hinter Gittern in Magdeburg

Ausstellung in Justizvollzugsanstalt Ausstellung in Justizvollzugsanstalt: Künstler hinter Gittern in Magdeburg

Von Heidi Thiemann 25.06.2015, 18:49
In der Zelle HG 2.20 der früheren JVA in Magdeburg zeigt der Dessauer Jürgen Ludwig die Installation „Das Goldene Fenster“ oder „ Rapunzel, lass dein Seil herunter“.
In der Zelle HG 2.20 der früheren JVA in Magdeburg zeigt der Dessauer Jürgen Ludwig die Installation „Das Goldene Fenster“ oder „ Rapunzel, lass dein Seil herunter“. Sebastian Lizenz

Dessau/Magdeburg - „Es gab viel mehr Bewerber als Zellen“, schmunzelt Jürgen Ludwig. Und der Dessauer Holzkünstler gehört nun zu denen, die in Magdeburg Knasterfahrung sammeln können. Ganz freiwillig übrigens. Und ohne Darben nur bei Brot und Wasser.

Als die Einladung vom Verein Kulturanker aus Magdeburg kam, der die ehemalige, leerstehende Justizvollzugsanstalt mit einer Ausstellung und Veranstaltungen beleben will, hat Ludwig nicht gezögert. Im März hatte er den früheren Knast besichtigt. „Der Leerzustand“, gibt er zu, habe ein „sehr bedrückendes Gefühl“ ausgelöst. Doch die Mulmigkeit, die die leeren Zellen, die langen Flure, hohen Mauern oder der Stacheldraht ausgelöst haben, ist mittlerweile verflogen. „Jetzt ist alles lustig, schön und fühlt sich ganz anderes an“, ist der Dessauer froh.

Auch die Zelle HG 2.20, die er bekam, hat nun mehr als zwei Pritschen, ein Tisch und die Toilette zu bieten. 20 Fenster, die denen des Knastes nachempfunden sind, gehören zu Ludwigs Installation. Darunter ein mit Blattgold versehenes „Goldenes Fenster“ oder „Rapunzel, lass Dein Seil herunter“.

Verschiedene Veranstaltungen finden an den Wochenenden statt. Diesmal sind zu erleben: Freitag, 20-22 Uhr Lesung von Ludwig Schumann, Thomas Wurzel und den Autoren aus der

Schreibwerkstatt der JVA Burg, 22-23.30 Uhr Open-Air-Kino im Gefängnishof „Cäsar muss sterben“.

Sonnabend, 12-20 Uhr Kreativmesse, 20-22 Uhr Kriminacht Lesung mit Stephan Ludwig „Zorn“, 20-12 Uhr Rosa Luxemburg „Briefe aus dem Gefängnis“, 21-2 Uhr Infant King „Superschizophrenic“ Albumrelease-Konzert mit Aftershowparty. Sonntag, 20-22 Uhr Unitheater „Der Schrank“.

Das „Goldene Fenster“ ist eine Assoziation zum „Goldenen Schuss“ oder „Goldenen Tor“, erzählt er. Am „Goldenen Fenster“ hängt ein Seil in Form eines Zopfes, der Traum eines jeden Gefangenen. Der Titel „Rapunzel, lass dein Seil herunter“ lässt auf das bekannte Märchen schließen. „Jedoch wird niemand ernsthaft am Seil nach oben in den Knast klettern wollen, denn von den Gefangenen wird eher der umgekehrte Weg angestrebt“, schmunzelt Ludwig.

„Die neue Sinnlichkeit der zeitgenössischen Kunst“ hat der Kulturanker die Knastbelebung überschrieben, die bis zum 20. September zu erleben ist. Neben Ludwig ist aus der Region der Graffiti-Künstler Mathias Wrobel dabei und aus Dessau außerdem die Künstlerin Franziska Bilharz. Sie hat einen Wandabschnitt, der in besonderer Weise durch Abnutzung/Alltagsspuren (wie Kratzer, fehlender Putz, Risse, eingeritzter Text, farbige Spuren) geprägt ist, bearbeitet, um den Betrachter auf die kleinen Erinnerungsstücke aus dem Gefängnisalltag aufmerksam zu machen.

Die drei Künstler gehören zu insgesamt 250 bildenden Künstlern und fünf Galerien aus dem In- und Ausland, die nun neues Leben in das einsame und verlassene Gebäude gebracht haben.

Die weiten, leeren, seelenlosen Räume mit Emotionen, Farben und Leben zu erfüllen, indem sich Künstler dort frei entfalten können, ist das Anliegen des vor zehn Jahren gegründeten Vereins Kulturanker. „Wir suchen immer nach leerstehenden Gebäuden“, sagt Pressesprecher Robert Gruhne, „doch das ist bisher der spannendste Ort“, findet er.

8 000 Besucher haben den ehemaligen Knast in der Sudenberger Wuhne seit der Eröffnung am 6. Juni erlebt, 3 000 kamen allein zur Eröffnung. Von freitags bis sonntags kann noch bis zum 20. September geschaut werden, wie die Künstler die Zellen, Flure oder auch den Außenbereich des Knastes gestaltet haben. Da wird, schwärmt Jürgen Ludwig, eine Zelle plötzlich groß, weit, hell und unendlich durch Spiegelfliesen. Andere haben die Zelle tapeziert oder mit ihren Installationen optisch verzerrt. Bunt bepflanzt ist der Gefängnishof, auch die Fassade ist farbenfroh gestaltet. Es gibt eine große Vielfalt an Ideen auf über 20 000 Quadratmeter Fläche zu erleben. „Viele Besucher kommen, um die Ausstellung zu sehen, andere aber sind gezielt wegen der Veranstaltungen hier“, sagt Gruhne, dass auch das Publikum aus unterschiedlichstem Interesse Knasterfahrung machen möchte. „Lohnenswert ist aber beides.“

Geöffnet ist die Ausstellung „Die neue Sinnlichkeit 2015“ (Sudenburger Wuhne 6, 39112 Magdeburg), freitags 16 bis 22 Uhr, am Wochenende 12 bis 22 Uhr. Der Eintritt beträgt 8 Euro, zu den Partys freitags ab 22 Uhr und sonnabends ab 18 Uhr 10 Euro. (mz)

Fassade der Magdeburger JVA.
Fassade der Magdeburger JVA.
Jürgen Ludwig Lizenz