Mann steigt gern als Mönch ein
Wittenberg/MZ. - Wie der Anzug des Minensuchers: Aber das schreiben Sie mal besser nicht, taucht Anita Fabig tief in DDR-Vergangenheit. Irgendwann jedenfalls war in Wittenberg Schluss mit dem VEB "Spezialbekleidung", es begann die Zeit der ersten Groß-ABM für Frauen, "Frauen für den Tourismus" mit über 40 Teilnehmerinnen. Gearbeitet wurde an verschiedenen Standorten in Stadt und Kreis. In der Produktion der streng riechenden "Lederwaren" etwa oder an den "Trampelnähmaschinen" in Abtsdorf.
Das Ziel war klar: Historische Kostüme sollten entstehen für ein Stadtfest, das es noch nicht gab. Noch wusste auch niemand so genau, wie sich Mann und Frau kleideten zur Lutherzeit. Das sollte sich bald ändern. Anita Fabig landete in der Recherche-Gruppe. Die Freiheit begann. Zwei Jahre später wurde aus der ABM in Trägerschaft des Landkreises ein Verein. Der wird am 25. Mai, exakt zehn Jahre alt. Es ist eine Erfolgsgeschichte. Einmal im Jahr kann sich jedermann davon überzeugen, dann ist Stadtfest, "Luthers Hochzeit".
366 Roben, prächtige und schlichte, Bürger, Bauer, Edelmann, verließen im Juni 2004 den Fundus in der Schulstraße 68. Für das 12. Stadtfest, davon ist die langjährige Vereinsvorsitzende Fabig überzeugt, werden es bestimmt ebenso viele sein. Der Trend der Bürger, in eine andere, historische Identität zu schlüpfen, sei ungebrochen. Und längst liegen auch Bestellungen aus anderen Städten vor. Da sind die beiden Mädchen aus Dessau, die sich jedes Jahr zum Wittenberger Stadtfest als junge Damen von Stand einkleiden lassen, da ist ein Paar von weiter her, das vor einigen Jahren heiratete zu "Luthers Hochzeit" und nun zum Feiern zurückkehrt. Das "Einstiegsgewand" für nicht so modemutige Männer ist übrigens der Mönch.
800 Modelle zählt der aktuelle Fundus (nicht eingerechnet die 1 500 geerbten Kostüme vom Mitteldeutschen Landestheater), entstanden aber sind weit mehr in den zurückliegenden zwölf Jahren: um die 3 000, rechnet Anita Fabig. Und der Trachtenverein zieht auch anderswo die Teilnehmer historischer Feste an: Anfang Juni etwa gehen 30 Ratsherren-Kostüme in Wittenbergs Partnerstadt Haderslev zum Herzog-Hans-Fest. "Uns kennen die Bürgermeister aller Partnerstädte", natürlich auch der in Springfield. Die über das Jahrzehnt ziemlich konstant 63 Mitglieder des Vereins laufen auf vielen Festen mit.
Wer den heutigen Vereinssitz im Schatten der zum Abriss bestimmten Plattenbauten besucht, trifft dort in diesen Tagen erwartungsgemäß auf allerlei Leute, die sich ihre Kostüme fürs nahe Fest ansehen, anprobieren, abholen. Ansonsten aber ist es relativ still, der große, helle Raum mit den zehn Nähmaschinen liegt oft verwaist. Ein wenig wehmütig erinnert sich Anita Fabig dann an Zeiten, als es noch flutschte mit ABM und ähnlicher öffentlich finanzierter Arbeit. "Alles lässt sich übers Ehrenamt nicht machen." In diesen Tagen erwartet die Vereinsvorsitzende, die trotz Rentenalters natürlich nicht ans Aufhören denkt, endlich mal wieder eine Ein-Euro-Jobberin. Zwar sind aus dem Verein im Laufe der Jahre zwei gewerbliche Ausgründungen hervorgegangen - getraut haben sich das Birgit Schellhase in Kropstädt und Kerstin Bornschein in Wittenberg - aber alles in allem gilt: Ohne Selbst-Ausbeutung läuft nichts auf dem Markt der prächtigen Gewänder. Denn wer könnte sie bezahlen? Nur etwa zehn solcher Vereine, schätzt Anita Fabig, gibt es in ganz Deutschland. "Wir sind ein Exot", sagt sie dann durchaus zufrieden. "Ein schöner Exot."
Manchmal sieht sie in der Stadt noch einen Forst-Anorak aus ihrer "Spezialbekleidung" herumlaufen. Hält eben lange, diese Qualität. Eins A, sagt Anita Fabig. Wie die prächtigen Trachten aus der Produktion des Vereins. Wie das "Gewand der Ehebrecherin", dieser grünsamtene Traum nach einem Cranach-Motiv, das sie schon 1996 trug. Es ist bis heute ihr Lieblingskostüm.
Tag der offenen Tür beim Trachtenverein, 25. Mai, 11 bis 15 Uhr, Schulstraße 68. Die Ausleihe von Kostümen zu "Luthers Hochzeit" ist bis unmittelbar vor dem Fest möglich: Kinder zahlen ab zwölf, Erwachsene ab 20 Euro.