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Blüht Schönheit aus Chemie? Historiker Marc Meißner aus Mühlbeck erforscht die Geschichte des Bitterfelder Kulturpalasts

Das Haus, wo einst die Volkskunst-Kampagne „Bitterfelder Weg“ begann. Aber was blieb davon?

Von Christine Färber Aktualisiert: 24.03.2022, 11:02
 Marc Meißner hat ein Buch zur Geschichte des Bitterfelder Kulturpalastes geschrieben.
Marc Meißner hat ein Buch zur Geschichte des Bitterfelder Kulturpalastes geschrieben. (Foto: André Kehrer)

Bitterfeld/MZ - Ein Hauch von Lyrik war auch im Schatten der Schornsteine noch möglich: „Der Abgaswind draußen weht sacht“, dichtete Karin Kostow Ende der 1980er Jahre in ihrem „Greppiner Schlaflied“. Gleich darauf muss sie diesem Wind, der Nacht und Umwelt „vom Werk her sanft einnebelt“, dann doch bescheinigen, dass er „ein wenig gemein“ stinkt.

Zwischen „Bitterfelder Weg“ und Chemiekombinat Bitterfeld

Mit dem Werk war natürlich das Chemiekombinat Bitterfeld gemeint, das den Ort zum Inbegriff der Umweltzerstörung in der DDR gemacht hat. Doch auch für etwas anderes waren Bitterfeld und das Werk mit seinem Kulturpalast ein Inbegriff: Für die wohl berühmteste Kampagne in Sachen Volkskunst und Angebote in Sachen Kreativitätsförderung vor allem an die Arbeiterschaft - kurz „Bitterfelder Weg“ genannt. Kampagnen wie „Greif zur Feder Kumpel“, die mit zur Bewegung „Schreibende Arbeiter“ führten, hängen eng damit zusammen, wie Historiker Marc Meißner aus Mühlbeck in seinem jüngst erschienenen wissenschaftlichen Buch darlegt.

„Greif zur Feder, Chemiearbeiter!“ heißt es und beleuchtet nicht nur die Geschichte all der Initiativen und Volkskunst-Zirkel von Dichtern, Malern, Musikern, Fotografen oder Tanzfreudigen, sondern zeigt auch die Nachwirkungen bis heute - erzählt an Beispielen, wie die Mitarbeit in den Zirkeln das Leben vieler geprägt hat und bis heute bereichert. „Wir fühlten uns durch die Kunst verbunden“, zitiert Meißner die Seniorin Lore Dimter aus Sandersdorf, die ihre künstlerische Leidenschaft bis heute im Kunstverein und Jugendkunstschule Bitterfeld „Kreativ“ auslebt.

Begonnen hatte diese gewaltige kulturpolitische Kampagne im Jahr 1959

Begonnen hatte diese gewaltige kulturpolitische Kampagne im Jahr 1959. Und das freilich auch mit propagandistischem Hintersinn, der aus der 1961 entstandenen „Hymne für das Kombinat“ der schreibenden Arbeiter Günther Wendel und Herbert Hambsch deutlich herauszuhören ist. „So blüht die Schönheit aus Chemie.

Mit Hammer, Zirkel, Ährenkranz, mit Hacke und mit Spaten, mit neuem Lied und neuem Tanz und vielen neuen Taten … So blüht die Schönheit aus Chemie“, schrieben sie - wohl ohne Rauch, Ruß und häufigen Reizhusten damit gemeint zu haben. Denn wenn Staat und Kombinat die Laienkünstler schon großzügig unterstützten und finanziell förderten - frei von sozialistischen Idealen sollte deren Kunst natürlich nicht sein ... Karin Kostow übrigens bekam für ihr „Greppiner Schlaflied“ damals Auftritts- und Veröffentlichungsverbot.

Meißner liefert mit seinem Buch nicht nur eine Fortführung seiner Abschlussarbeit an der Bundeswehruniversität in München

Dennoch, so kristallisierte sich für Meißner heraus, waren viele Zirkel, die meist unter Leitung von Profis liefen, für ihre Mitglieder auch kleine Alltagsinseln, soziale Nischen. Und trotzdem das Volkskunstschaffen nicht lange sich selbst überlassen blieb und in Massenorganisationen wie Kultur-, Frauen-, Gewerkschaftsbund, FDJ und anderen aufgehen sollte, erwies es sich für den „Klassenkampf“ letztlich als untauglich. Dieses Ziel hatte sich nicht erfüllt. Andere dafür umso mehr: ästhetische Bildung, kreative Betätigung, gegenseitige Hilfe und Freundschaften, die oftmals bis heute halten.

Meißner liefert mit seinem Buch nicht nur eine Fortführung seiner Abschlussarbeit an der Bundeswehruniversität in München, wo er sich auf Geschichte und Soziologie spezialisiert hatte. Er liefert zugleich einen weiteren Mosaikstein für das Gesamtbild DDR. Speziell für den traditionsreichen Chemiestandort Bitterfeld mit EKB/CKB ist die Decke der wissenschaftlich-historischen Veröffentlichungen dünn. So ist „Greif zur Feder, Chemiearbeiter!“ ein weiterer Beitrag zur Aufarbeitung.

 Das Filmkollektiv damals bei der Zirkelarbeit im Kulturpalast
Das Filmkollektiv damals bei der Zirkelarbeit im Kulturpalast
(Foto: Kreismuseum)

Blüht also Schönheit aus Chemie?

„Mich hat gerade dieses Thema schon immer interessiert“, sagt Meißner, den viele persönliche Erlebnisse mit dem Kupa verbinden. „Ich habe es bedauert, dass der Kulturpalast so lange zu war und sich kaum einer mit dessen Geschichte so richtig befasst hat.“ Das soll übrigens nicht seine letzte Arbeit in dieser Hinsicht gewesen sein. Seit kurzem ist er Mitglied im Bitterfelder Förderverein für Bernhard Franke, der als Maler damals einer der wichtigen Zirkelleiter war.

Mit seinem speziellen Thema nun, an dem er knapp drei Jahre gearbeitet hat, setzt Marc Meißner einen neuen Schwerpunkt. Und der ist umso interessanter, wenn man weiß, dass es im CKB und also im Kupa 75 Laienkunstzirkel gab, die weit über 1.000 Mitglieder vereinten. Auch die Erkenntnis, dass die künstlerische Zirkelarbeit durchaus nicht aus dem Nichts entstand, sondern die Wurzeln bis in die 1920er Jahre zurückreichen, ist interessant.

Blüht also Schönheit aus Chemie? Die Frage kann sich jeder selbst beantworten nach der Lektüre dieses Buches. Das ist erhältlich in den Krommer-Buchhandlungen in Bitterfeld und Wolfen.