Unvergessen Unvergessen: Sie nannten ihn den «Weißen Hirsch vom Bodetal»
Thale/MZ/nee. - Denn der Junge musste klettern, erinnern sich Chronisten. Und er kletterte. Fast täglich. Als 17-Jähriger soll er bereits alle Bodetal-Gipfel erklommen haben, die Roßtrappe einmal sogar "in der Rekordzeit von sechs Minuten", wie der staunende Leser erfuhr. Dann kam jener 21. Juni 1923, an dem die Bergretter-Karriere des Gustav Kowalewski begann.
Ein Bernburger Kaufmann hatte sich an der so genannten Teufelswand verstiegen, seine Lage schien aussichtslos. "Schaurig gellten die Hilferufe durch das Tal, unten stauten sich die Menschen und wussten nicht zu helfen", berichtete die Presse. Nur einer konnte den Unglücksraben vor dem tödlichen Absturz bewahren. Diesmal stieg Gustav Kowalewski auf Wunsch der Polizei in den Fels. Das Wagnis gelang. Und der 18-Jährige war von nun an der einzige Bodetal-Besucher, der mit behördlicher Genehmigung "nach Herzenslust so viel klettern durfte, wie er wollte", sagt die Legende.
Und Hunderte sahen ihm Woche für Woche fasziniert zu. Wie ein "Weißer Hirsch" soll der junge Kowalewski von Fels zu Fels gesprungen und an den Steilwänden herumgeturnt sein. Schon bald sprach man nicht nur im Harz vom "Weißen Hirsch des Bodetals". Und seinem "Blitz":
Der Hovawart wurde Kowalewskis treuer und unentbehrlicher Begleiter. "Wenn ein Verstiegener nicht zu finden ist, dann setze ich 'Blitz' auf seine Spur", sagte Kowalewski einem Reporter. "Und wenn dann das Bellen des Tieres aus dem Fels erschallt, dann weiß ich an der Art des Bellens, ob meine Hilfe noch rechtzeitig kommt oder ob 'Blitz' die Wache bei einem Toten hält." Nur einmal sei "Blitz" stumm geblieben. Das war in jener September-Nacht, als Kowalewski seinen Neffen Helmut suchen musste. Das Bild, das sich dem Bergsteiger am Unglücksort bot, hat er zeitlebens nicht mehr vergessen: "Blitz" war selbst abgestürzt und lag mit blutendem Kopf neben dem Jungen, leckte winselnd das Gesicht des Toten. 39 Unglücksopfer hatte Gustav Kowalewski bis zu diesem Zeitpunkt bereits lebend geborgen, 18 nur noch tot.
1938 erhielt er die Lebensrettungsmedaille am Bande. Als Kowalewski 15 Jahre später einen - unweit des Hexentanzplatzes abgestürzten - Kurgast in dreistündiger Aktion retten konnte, würdigte die "Freiheit" die Tat des nunmehr "61-fachen Lebensretters". Kowalewski protestierte per Leserbrief: "Es ist richtig, dass ich vielen in Bergnot geratenen Menschen das Leben gerettet habe. Es gefällt mir aber nicht, dass in dem Bericht mein Name besonders herausgestellt wird. Anerkennung gebührt auch allen anderen Freunden des Bergschutzes, die an den Rettungarbeiten beteiligt waren, denn ohne ihr tatkräftiges Mitwirken wäre es einfach unmöglich gewesen, den Verletzten aus der vereisten Felswand zu bergen". Als Gustav Kowalewski 1957 an Herzversagen starb, hatte er 64 Menschen das Leben gerettet.