Aschersleben Aschersleben: Stolpersteine erinnern an jüdische Kaufmannsfamilie
ASCHERSLEBEN/MZ. - Die beiden Jungs sitzen rittlings auf ihrer lachenden Mutter. Auf den Köpfen Sonnenhüte und den Blick direkt in die Kamera. "Wäre die Geschichte normal verlaufen, würden sie heute als rüstige Ascherslebener unter uns leben", schaut Lars Bremer vom Arbeitskreis "Jüdische Stadtgeschichte" auf das alte Schwarz-Weiß-Foto. Doch so emigrierten Rafael und Michael Helft im Alter von vier und fünf Jahren mit Mutter und Vater ins heutige Israel. In dieser Woche nun kehrten die beiden über 80-jährig zurück - zu einem Anlass, der sie schmerzlich und tröstlich zugleich berührte.
Denn für ihre in Aschersleben zurückgebliebenen Tanten Käte Hirsch und Lilli Silberberg sowie für ihre Großmutter Alice Crohn - alle drei während der NS-Zeit deportiert und umgebracht - wurden drei Stolpersteine in die Erde eingelassen. Direkt vor dem ehemaligen Kaufhaus Crohn in der Breiten Straße (dem heutigen MäcGeiz), das für die jüdische Familie Lebens- und Arbeitsmittelpunkt war.
Alice Crohn, die nach dem Tod ihres Mannes das Kaufhaus gemeinsam mit Feodor und Helene Hirsch leitete, hatte vier Töchter. Zweien gelang es zu fliehen - die jüngste zog mit ihrem christlichen Freund, da hier Mischehen verboten waren, nach Südafrika, Rafaels und Michaels Mutter Ilse folgte ihrem Mann 1934 nach Palästina -, doch die beiden anderen Töchter wurden, ebenso wie Mutter Alice, mitsamt ihren Familien umgebracht. In Auschwitz ermordet.
"Das hier war eine gute Art, meine Familiengeschichte zu verarbeiten, wie ein Begräbnis meiner Tanten und meiner Großmutter", schaut Rafael Helft auf die glänzenden Stolpersteine, auf denen die Lebensdaten seiner Verwandten vom Kölner Künstler Gunter Demnig eingraviert wurden. Auf Initiative des Arbeitskreises "Jüdische Stadtgeschichte" und mitfinanziert von der Ascherslebener Gilde, die nicht will, dass die jüdische Kaufmannsfamilie und ihr Schicksal in Vergessenheit gerät.
Doch nun müsse man nach vorne schauen, nicken die beiden Brüder. Die waren übrigens schon einmal hier in Aschersleben. Gleich nach der Wende. "Um zu sehen, wo wir geboren wurden", erklärt Michael Helft, dessen Bruder das Haus nach all dieser Zeit sofort erkannte. "Ich habe eigentlich keine Erinnerung mehr an Aschersleben, auch nicht an meine Großmutter, ich war viel zu klein", gesteht der 81-Jährige. Im Westen Deutschlands war der pensionierte Zahnarzt, der vier Kinder und zwölf Enkel hat, schon öfters. Als Professor, der in Tel Aviv an der Zahnmedizinischen Fakultät unterrichtet hatte, musste er hier öfters Vorträge halten. "Von dort ist auch mein Deutsch, das ich in Israel total vergessen hatte."
Seine Mutter sprach dagegen kaum hebräisch. Sie lebte mit anderen deutschen Aussiedlern in einem Ort, pflegte jahrelang die deutsche Kultur. "Und so fiel es ihr sehr schwer, mit ihren Enkeln zu kommunizieren, denn meine Kinder können kein Deutsch." Jede deutsche Familie hatte damals auch ihren "eigenen Bücherschrank" mitgebracht. "Schiller, Goethe, Ibsen", zählt Rafael auf, der diese Schätze noch alle aufbewahrt. Er war in seiner zweiten Heimat als Landwirt tätig. "Als wir Israel aufgebaut haben, brauchte man auch andere Berufe, nicht nur Kaufleute", erinnert er sich an ein ganzes Dorf deutscher Juden, einst Kaufleute, die nun Hühner züchteten.