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Raushalten oder eingreifen Was Eltern bei Geschwister-Streit falsch machen

Von Ann-Kathrin Marr 10.05.2016, 11:57
Geschwister-Rivalität: Zwei Brüder streiten sich.
Geschwister-Rivalität: Zwei Brüder streiten sich. imago/niehoff

Jacob wirkt bedrückt, als er von der Schule heimkommt. Es gab Streit mit seinem Freund Anton: „Der hat mir den Ball weggenommen und mich dann nicht mitspielen lassen.“ Dem Sechsjährigen stehen die Tränen in den Augen, die Mutter ist empört. „Das geht doch nicht; ich rufe gleich Antons Eltern an.“ Aber auf dem Weg zum Telefon zögert sie: Ist das wirklich der richtige Weg?

„Eltern bemühen sich heute sehr viel mehr um ihre Kinder als früher“, sagt der Diplom-Psychologe Bodo Reuser. Er leitet die Psychologische Beratungsstelle für Erziehungs-, Ehe- und Lebensfragen der Evangelischen Kirche in Mannheim und sieht auch eine Schattenseite dieser großen Aufmerksamkeit: „Einige Eltern geben Streitigkeiten unter Kindern mehr Gewicht als früher und machen manchmal aus einer Mücke einen Elefanten.“ Er rät: Nicht gleich zum Telefon greifen und das Problem des Kindes zur eigenen Sache machen.

Eltern als Berater

Statt für das Kind aktiv zu werden, sollten Eltern die Position eines Beraters einnehmen. Sie können nachfragen: Was ist genau passiert? Wie hast du das wahrgenommen? Wie hat der andere das vielleicht wahrgenommen? Bestimmt gibt es Beispiele, wo sich das eigene Kind ähnlich verhalten hat, beispielsweise jemanden nicht mitspielen lassen wollte. In dem Gespräch geht es nicht darum, einen Schuldigen zu suchen, sondern neue Sichtweisen aufzuzeigen. Dann kann das Kind vielleicht schon bald wieder auf den Freund zugehen oder offen sein, wenn der andere den ersten Schritt macht.

Auch die Diplom-Pädagogin Katy Riesner beobachtet, dass viele Eltern „Probleme für ihre Kinder lösen wollen.“ Die Leiterin der Erziehungsberatungsstelle der Arbeiterwohlfahrt (AWO) in Halle/Saale erlebt oft, „dass Eltern unsicher sind mit der Frage: Wann greife ich ein?“ Wenn die fünfjährige Tochter ihren Besuch lautstark herumkommandiert, sind viele schon auf dem Sprung ins Kinderzimmer, um für Gerechtigkeit zu sorgen. Doch Riesner rät, erst einmal abzuwarten: „Man sollte nicht gleich eine Lösung präsentieren oder einseitig an ein Kind appellieren.“

Und wenn die Streithähne nicht allein wieder aus ihrem Krach heraus finden? Dann ist nicht der Schiedsrichter, sondern der Moderator gefragt. Zuerst darf jeder seine Sichtweise schildern. Dann kann der Erwachsene die Kinder nach Lösungsvorschlägen fragen. „Oft sind Eltern erstaunt, was für gute Vorschläge Kinder haben“, sagt Riesner. Die Ideen kann man gemeinsam unter die Lupe nehmen: Sind sie ungefährlich, praktikabel und gerecht? So merken die Kinder schnell, wenn sie bei einem Vorschlag nur den eigenen Vorteil gesehen haben.

Manchmal scheint der Streit ausweglos. Niemand will nachgeben, jeder das begehrte Spielzeug für sich haben. „Dann kann ich sagen: Wenn ihr euch nicht einigen könnt, nehme ich das weg“, schlägt Bodo Reuser vor. Oft finden die Streitenden dann eine gemeinsame Lösung. Schließlich ist ein geteiltes Spielzeug immer noch besser als gar keines.

Bei Gewalt eingreifen

Es gibt auch Situationen, in denen Eltern auf jeden Fall eingreifen sollten. „Eine rote Linie ist überschritten, wenn Gewalt im Spiel ist – körperliche oder psychische“, sagt Reuser. Wird ein Kind geschlagen, bespuckt oder grob beleidigt, sollten die Eltern aktiv werden. Reuser empfiehlt, in solchen Fällen beispielsweise mit der Lehrerin oder Erzieherin zu sprechen. „Wichtig ist aber, nichts gegen den Willen des Kindes zu unternehmen“, so der Psychologe.

Zuerst sollten die Eltern ihr Kind fragen, was es sich wünscht. Erst bei schwerwiegenden Problemen kann es ratsam sein, auch gegen den Willen des Kindes Kontakt zum Kindergarten oder zur Schule aufzunehmen. Dann sollte man dem Kind erklären, warum man das für wichtig hält und es mit einbeziehen.

Dem Kind vertrauen

Aber bei den allermeisten Streitigkeiten geht es darum auf das Kind zu vertrauen und es beim Selbertun zu unterstützen, wie Katy Riesner es ausdrückt. Denn auch Streiten will gelernt sein. Nur wer übt, sich mit anderen auseinanderzusetzen, kann sich in sie hineinversetzen, betont die Erziehungswissenschaftlerin und Fachbuchautorin Margarete Blank-Mathieu: „Den richtigen Umgang mit Auseinandersetzungen lernen Kinder nur durch Konfliktlösungen, die sie selbst gefunden haben.“

Dabei spielt auch das Verhalten der Eltern eine Rolle – vielleicht manchmal mehr, als ihnen lieb ist. Denn Kinder lernen am Vorbild. „Sie nehmen wahr, wie wir Eltern uns streiten und bei Konflikten reagieren“, sagt Riesner. Also: Wenn der Partner die Spülmaschine mal wieder nicht ausgeräumt hat, erst einmal tief durchatmen.

(dpa)