«Wandbekleidung» «Wandbekleidung»: Kunstvolle Kleider für die Wand
Kirchhain/dpa. - Von «Wandbekleidung» spricht Bernhard Holzapfel, Chefstylist derMarburger Tapetenfabrik in Kirchhain (Hessen), daher auch viellieber. Für die Raufaser hat er nur Verachtung übrig. Tapeten - dassind für Holzapfel aufwendige Designobjekte, die einer Wand Charakterund Authentizität verleihen und nicht Unebenheiten kaschieren müssen.
Vor vier Jahren konnte Holzapfel den bekannten Textildesigner UlfMoritz überreden, für Marburg Tapeten zu entwerfen. Gemeinsamsprengten sie die konventionellen Bahnen, experimentierten mitgecrushtem Seidenpapier, um fernöstlichen Purismus an die Wand zumalen, oder mit Granulaten, um gekörnte Kreise über das Papier zuziehen - der eine technischer Freigeist, der andere kreativer Kopf:«Ich habe mir dabei lange weiße Gänge vorgestellt, große öffentlicheRäume - wenn schon Wand, dann richtig», sagt Moritz.
Kunst und Tapete: Auch die Manufaktur Rasch in Bramsche(Niedersachsen) hat diese zwei Sujets formschön vereint. Seit 1928fabriziert Rasch Klassiker wie die Bauhaus-Tapeten. 1992, zum100-jährigen Bestehen, ließ das Unternehmen «Zeitwände» kreieren -unter anderem von bekannten Designern wie Ettore Sottsass, MatteoThun oder Borek Sipek, der beispielsweise blaue mundgeblaseneHalbkugeln auf weißen Grund setzte. Das deutsche Designerduo Ginbandeschuf dagegen eine Betontapete. «Ein Liebhaberprojekt», erinnert sichMichael Hennecke, Designer bei Rasch. Die aktuelle Kollektion mitknallbunten «Wallpapers» von Alessi zielt da schon auf einenallgemeineren Publikumsgeschmack ab.
Doch nicht die Kunst, sagt Bernhard Holzapfel von Marburg, sondernprofane TV-Kultur habe der Tapete schließlich zum Start einer zweitenKarriere verholfen. Lebten in den achtziger Jahren noch die Ewingsin Dallas und die Carringtons in Denver der deutschen Fernsehnationschwelgerischen Luxus selbst an der Wand vor, geht es inzwischen auchhier zu Lande in den Serien bunt zu: Von der «Lindenstraße» bis zu«Gute Zeiten, schlechte Zeiten» werden die Bildschirm-Kulissenfarbenfroh tapeziert.
Auch die Kölner Architektin Dorothee Spitz, bisher abstinent gegenTapeten, hat bei ihrer Klientel eine neue Offenheit für Farbe undMuster diagnostiziert, noch verstärkt nach dem 11. September alstrostvolle «Gegenbewegung zum Purismus». Trotzdem bleibt sieskeptisch, «traumatisiert durch Erinnerungen an Omas Zuhause». Aberals Akzent kann sich Inneneinrichterin Spitz Tapeten heute durchausvorstellen: «Ganz bewusst eingesetzt - für die Decke als fünfte Wandzum Beispiel.» Sie rät in jedem Fall zum sparsamen Umgang.
Die Erben von Hugo Erfurt, dem Erfinder der Raufaser, mussten sichangesichts der farbenfrohen Konkurrenz Neues einfallen lassen. Wiedie anderen stellen auch Martin und Henrik Erfurt, in der siebtenGeneration Geschäftsführer des 175 Jahre alten Familienbetriebs ausWuppertal, heute Vliestapeten her - diese werden direkt von der Rolleauf den vorgekleisterten Untergrund gepappt. Aber das neueste Modellvon Erfurt verheißt nicht nur eine glatte Wand, sondern zudem einlanges Leben: Eingearbeitete Kryptogramme sollen nach denGrundprinzipien von Feng Shui die Lebensenergie der Bewohner stärkenund aktivieren.