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Schüchternheit Schüchternheit: Angst vor eine Blamage hemmt bei Vielen das Handeln

14.05.2003, 09:51
Er liebt mich, er liebt mich nicht - viele Jugendliche werden von ihrer Schüchternheit geradezu gequält. (Foto: dpa)
Er liebt mich, er liebt mich nicht - viele Jugendliche werden von ihrer Schüchternheit geradezu gequält. (Foto: dpa) Stolt

Gießen/Mannheim/dpa. - «Ein gewisses Maß an Schüchternheit kann beiJungs und Mädchen Teil der eigenen Persönlichkeit sein», sagt diePsychologin Selma Martin aus Gießen. «Sie ist neben anderenPersönlichkeitsmerkmalen wie zum Beispiel Trotz, Lebhaftigkeit oderRechthaberei bereits im Kindesalter zu beobachten.»

Um Schüchternheit überwinden zu können, müssen Jugendliche lernen,ihr eigenes Ich zu akzeptieren. Ihnen muss klar werden, dass eskeinen Muster-Menschen gibt, der als Idol dienen sollte, um glücklichund erfolgreich zu sein. «Schüchterne Jungs und Mädchen befinden sichdie ganze Zeit in einer Warteposition», sagt die Psychologin undAutorin Doris Wolf aus Mannheim. «Um das zu ändern, brauchen sieerstmal eine positive Einstellung.» Sie sollten sich vornehmen, aufeinen anderen zuzugehen und nicht groß darüber nachdenken, wie dieganze Sache ausgehen wird. Gelegenheiten gebe es viele - ob auf demPausenhof, in der Disco oder im Schwimmbad.

Worüber in den ersten Minuten gesprochen wird, sei eher unwichtig,meint Doris Wolf. «Bevor beide lange nach einem idealenGesprächsbeginn suchen, sollten sie mit Small Talk beginnen.» Ist derEinstieg ins Gespräch geschafft, kann es mit offenen Fragen gut amLeben erhalten werden. Zu den offenen Fragen gehören zum Beispiel dieFragewörter «wie» oder «warum». Das Gegenüber kann darauf nur schwermit einem knappen Ja oder Nein antworten.

Ist der andere nicht an dem Gespräch interessiert, bedeutet dasauf keinen Fall, dass man selbst uninteressant und unattraktiv ist.Andere seien nun mal nicht immer in der Stimmung für ein Gesprächoder hätten vielleicht selbst Angst davor, so Wolf. Es könne aberauch sein, dass der andere Vorurteile gegenüber einem hat.

«Wer sich nicht gleich traut, einen Jungen oder ein Mädcheneinfach so anzusprechen, kann es auch erstmal mit Blickkontaktversuchen», rät die Expertin. «Mit einem Lächeln kann dem Gegenübersignalisiert werden, dass man es interessant findet.» Außerdem ist esso möglich, erst einmal zu testen, wie es mit seiner oder ihrerGesprächsbereitschaft aussieht. «Kommt gar keine Reaktion oder nurein Wegschauen, dann ist in diesem Moment wohl nicht der richtigeZeitpunkt, um in Kontakt zu kommen», sagt die Psychologin.

Trotz der vielen Möglichkeiten, auf andere Menschen zuzugehen undsie kennen zu lernen, können viele Jugendliche ihr Problem nichtalleine lösen. Wenn die eigene Schüchternheit alle Lebenssituationennegativ beeinflusst und sie so viel Angst haben, dass es ihnen schonkörperlich wehtut, sprechen Experten von sozialer Phobie. «Jederzehnte Deutsche fürchtet sich vor der Gesellschaft», sagt dieMedizinjournalistin Ina Schicker aus München. Darunter seien auchviele Jugendliche. Für sie ist die Situation besonders schwer, da inihrer Clique oder in der Schulklasse oft lockere Sprüche und cooleGesten angesagt sind.

Deshalb ängstigt diese Jungen und Mädchen zum Beispiel dieVorstellung, von den anderen für dumm oder abstoßend gehalten zuwerden. «Oft fürchten sie, dass ihre Nervosität und Schwäche bemerktwird und dass deshalb Mitschüler und Freunde sie auslachen undbeschimpfen könnten.» Gegen diese Angst können sie sich nicht wehren.Ihr Herz rast, Schweiß bricht aus, Magen und Kopf schmerzen. «ImExtremfall wagen sich Sozialphobiker - ob junge oder ältere - garnicht mehr aus dem Haus und weigern sich sogar, ans Telefon zu gehen,weil sie sich vor dem Zittern ihrer Stimme fürchten», so Schicker.

Ein großes Problem ist, dass soziale Ängste lange unerkanntbleiben. Wer sie hat, wird von anderen nur für besonders schüchtern,aber nicht für krank gehalten. «Das hat oft damit zu tun, dass sichdie soziale Phobie meistens in der Pubertät entwickelt», erläutertSchicker. «In dieser Zeit, in der viele Menschen vorübergehend einangegriffenes Selbstbewusstsein haben und sich die eigenePersönlichkeit verändert, entstehen soziale Ängste eher schleichend.»

Auch die Betroffenen selbst wissen oft lange nicht, dass sie kranksind. Ein erster Schritt im Kampf gegen die Angst könne daher sein,sie als Krankheit zu erkennen, die behandelt werden muss, rätSchicker. «Je früher das geschieht, desto besser sind dieHeilungschancen.» Jungen oder Mädchen, die unter Sozialphobie leiden,kann dabei die Erkenntnis helfen, dass sie nicht alleine sind mitihrem Problem: So können sie zum Beispiel in Selbsthilfegruppen mitMenschen sprechen, denen es ähnlich geht. Adressen sind unter anderemim Internet unter http://www.soziophobie.de zu finden.

Literatur: Andre Christophe und Patrick Legeron: Bammel, Panik,Gänsehaut - Die Angst vor den Anderen, Aufbau Taschenbuch Verlag,ISBN 3-7466-1747-2, 8,50 Euro; Barbara und Gregory Markway: Frei vonAngst und Schüchternheit, Julius Beltz GmbH, ISBN 3-407-22853-8,14,90 Euro.