„Klein-Tibet“ It's Magic: Besuch eines Klosterfestes im indischen Ladakh
Die nördliche Region in Indien, eingekesselt zwischen Himalaja und Karakorum, pflegt ein tief buddhistisches Erbe. Erleben lässt sich das, wenn in Verbundenheit zum „großen Magier“ gefeiert wird.
Leh - Der alte Mann lächelt verschmitzt. Sein Gesicht ist vom Alter zerfurcht wie die verwitterte Gebirgslandschaft ringsum. Seine Zahnreihen weisen deutliche Lücken auf. Doch er strahlt tiefste Zufriedenheit aus. In seiner rechten Hand schwenkt er eine Gebetsmühle.
Stundenlang war er seit dem frühen Morgen unterwegs, ist über Stock und Stein gewandert, vorbei an rauschenden Wildbächen, wüstenartigen Sandebenen und schneebedeckten Felsriesen, denen Ladakh, Indiens Außenposten im Himalaja, seine Schönheit verdankt.
Schon drängen sich Hunderte Ladakhis und Touristen aus aller Welt im Hof des Klosters Trakthok. Denn zwei Tage lang wird in dem kleinen Höhlenkloster zu Ehren Padmasambhavas gefeiert. Das ist jener Gelehrte, der den tantrischen Buddhismus in die zwischen Karakorum und Himalaja eingezwängte Region brachte. Man kennt ihn auch als Guru Rinpoche.
Trakthok, gut 50 Kilometer südöstlich der Hauptstadt Leh, ist das einzige Kloster in Ladakh, das der ältesten Schule des tibetischen Buddhismus angehört und direkt auf Padmasambhava zurückgeht. Angeblich wurde der große Magier aus einer Lotusblume geboren und soll in seinen Jugendjahren allerlei Unfug getrieben haben.
Wenn Wünsche in Erfüllung gehen
Später unterwarf der geläuterte Gelehrte Geister und Dämonen, bekehrte etliche barbarische Königreiche zum Buddhismus und erlangte die Kraft der Langlebigkeit. Heute pilgern Buddhisten aus Thailand, Kambodscha und Bhutan in die rußgeschwärzte, archaisch anmutende Felsenhöhle, wo Padmasambhava jahrelang meditiert haben soll.
Sie werfen sich vor den kleinen Bronzefiguren nieder, die den Heilsbringer in seinen verschiedenen Manifestationen zeigen, murmeln geheimnisvolle Mantras und stecken andächtig Münzen und Scheine in die feinen Ritzen im nackten Fels. Bleiben die monetären Gaben hängen, stehen die Chancen gut, dass Wünsche und Träume in Erfüllung gehen.
Das mehrtägige Klosterfest ist eine Mischung aus spiritueller Gläubigkeit und fröhlichem Jahrmarkt. Frauen haben ihr schönstes Kleid samt passendem Samtzylinder angelegt. Die Männer hüllen sich in einen knielangen, weit geschnittenen Mantel, den Goncha, der an Hüften und Schultern mit Bronzeknöpfen geschlossen wird.
Tänze, die man nie vergisst
Der Weg zum Festplatz ist gesäumt von Ständen. Es duftet verführerisch nach leckeren Momos, die Maultaschen ähneln. Die Mutigen unter den Touristen wagen sich an den allgegenwärtigen Buttertee, der im Gegensatz zur Meinung westlicher Reisenden keineswegs mit ranzigem Streichfett aufgebrüht wird. Für die Kleinsten gibt es Luftballons und Spielzeug aus chinesischer Produktion, auf die Großen wartet eine Art Glücksrad.
Das zweitägige Fest ist eine Welt voller Farben, Spiritualität, Mystik und Magie. Die Klänge von Zimbeln, Schalmeien, Trommeln und Langhörnern hallen über den Platz, mischen sich mit gemurmelten Mantras, dem Surren der Gebetsmühlen und dem Klicken von Fotoapparaten.
Mönche in farbenprächtigen Seiden- und Brokatgewändern umkreisen den Fahnenmast im Herzen des Klosterkomplexes, die Gesichter verdeckt durch hölzerne Masken, von denen etliche gut hundert Jahre alt sind. Jede Handbewegung wurde minutiös einstudiert, jeder Schritt folgt strengen Vorgaben.
Jeder dieser Tänze geht auf den großen Verkünder zurück und wurde ihm - so der Glaube - durch Amitabha, Buddha der umfassenden Liebe, offenbart. Im Triumph des Guten über das Böse tritt der tantrische Meister mal als zorniger Kämpfer mit Totenkopfkrone und furchterregenden Draculazähnen auf, mal kommt er als sanftmütige Manifestation mit mildem Lächeln daher. Die Tänze muten fremdartig an, wie aus einer anderen Welt. Nicht jedem Besucher erschließt sich ihre tiefe Bedeutung - ein unvergessliches Erlebnis sind sie dennoch.
Klöster klammern sich an Berghänge
„Wenn ein Tal nur über einen hohen Pass zu erreichen ist, kommen lediglich gute Freunde oder schlimme Feinde“: Diese Weisheit traf viele Jahrhunderte lang auf Ladakh zu, das politisch zwar zu Indien gehört, aber mehr mit Tibet gemein hat - weshalb der Landstrich im hohen Norden fernab der Hektik der Großstädte Indiens auch als „Klein-Tibet“ bezeichnet wird.
Seit 1974 ist Ladakh offiziell für Touristen geöffnet. Damals kamen vor allem Hippies aus dem Westen, die Weltentrücktheit und Spiritualität suchten und dafür holprige Pisten über hohe Pässe in Kauf nahmen. Heute landen Flugzeuge aus Delhi auf dem Flugplatz in Leh, der Piloten zu waghalsigen Kurven zwischen steil aufragenden Sechstausendern zwingt.
„Es sind vor allem Trekkingfans, Kulturreisende und Motorradfreaks, die von der atemberaubenden Bergwelt links und rechts der grünen Flusstäler magisch angezogen werden“, sagt Reiseleiter Bhawani Singh, der Touristen regelmäßig zu einem der Klosterfeste in dem abgelegenen Landstrich begleitet.
Aber auch Inder aus dem Süden zieht es in die Himalajaregion, wo sie rituelle Waschungen im Indus vornehmen. Überall poppen hier die Zeichen buddhistischer Frömmigkeit auf. Gebetsfahnen flattern im Wind, schneeweiß getünchte Stupas grüßen von Bergkuppen. Immer wieder fällt der Blick auf Klöster, die sich an steilen Berghängen festzuklammern scheinen.
Der alte Mann ist noch da
Das größte Juwel unter Ladakhs Klöstern ist zweifelsohne die Anlage von Alchi, die von der Unesco zum Weltkulturerbe erklärt wurde. Fast 1000 Jahre haben die mit kunstvollen Holzschnitzereien verzierten Tempel auf dem Buckel, wo meterhohe Bodhisattva-Figuren bis unter die Decke ragen. Die rockartigen Gewänder der Abbilder der weisen, mitfühlenden Wesen sind über und über mit kleinen Bildern bedeckt, die unter anderem Szenen aus dem Leben des Buddhas zeigen.
In Trakthok ist es spät geworden. Noch ein letzter Tanz der Mönche, dann zieht es Groß und Klein zum Feiern in die Zelte. Minütlich starten die Busse Richtung Leh, und wer keinen der begehrten Plätze ergattert hat, macht sich zu Fuß auf den Rückweg.
Die tief stehende Sonne taucht alles in ein magisches Licht. Der alte Mann schwenkt noch immer seine Gebetsmühle, lässt noch immer die Mantrakette durch seine Finger gleiten. Morgen wird er wieder da sein, wenn die tanzenden Mönche erneut an den großen Tantriker Padmasambhava erinnern, den Lotusgeborenen mit den übersinnlichen Fähigkeiten.
Links, Tipps, Praktisches:
Reiseziel: Ladakh ist eine Hochgebirgsregion im äußersten Norden Indiens. Sie liegt zwischen Himalaja und Karakorum.
Beste Reisezeit: Wer Klosterfeste erleben möchte, kommt in der Jahresmitte. Das Klosterfest in Hemis ist auf den 16. und 17. Juni terminiert. Das Fest in Trakthok beginnt am 16. Juli. Im Lamayuru-Kloster, weitere Gelegenheit, sind die spirituellen Tänze schon am 3. und 4. Juni 2024 zu sehen. Auf Indien spezialisierte Veranstalter bieten Reisen nach Ladakh mit Besuch eines Klosterfestes an.
Anreise: Der Flug von Delhi nach Leh, Hauptstadt Ladakhs, dauert rund 90 Minuten. Die meisten Flüge starten am frühen Morgen, sodass in der Regel eine Zwischenübernachtung in Delhi notwendig ist. Wer es abenteuerlich mag, kann die 1000 Kilometer zwischen Delhi und Leh mit dem Auto zurücklegen (Internationaler Führerschein erforderlich).
Einreise: Deutsche Staatsangehörige benötigen einen gültigen Reisepass sowie ein Visum, das vor Einreise bei einer indischen Auslandsvertretung oder als e-Visa (http://dpaq.de/n2P6c) beantragt werden muss.
Gesundheitshinweise: Für die direkte Einreise aus Deutschland sind laut Auswärtigem Amt keine Pflichtimpfungen vorgeschrieben, empfohlen werden Reiseimpfungen gegen Hepatitis A und Typhus. Malariarisiko besteht in Ladakh laut der Deutschen Gesellschaft für Tropenmedizin, Reisemedizin und Globale Gesundheit (DTG) nicht, in Delhi ein geringes.
Währung: Ein Euro ist rund 90 Rupien (Landeswährung INR) wert. Kreditkarten werden fast überall akzeptiert.
Zeitverschiebung: Ladakh ist während der hiesigen Sommerzeit Deutschland um 3,5 Stunden, ansonsten 4,5 Stunden voraus.
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