1. MZ.de
  2. >
  3. Leben
  4. >
  5. Reisen
  6. >
  7. Beim Filmgucken: Beim Filmgucken: Warum wir im Flieger schneller weinen müssen

Beim Filmgucken Beim Filmgucken: Warum wir im Flieger schneller weinen müssen

15.01.2018, 15:22
Beim Filmeschauen im Flieger weinen viele Passagiere schneller als im eigenen Wohnzimmer.
Beim Filmeschauen im Flieger weinen viele Passagiere schneller als im eigenen Wohnzimmer. imago stock&people

Köln - Der Flieger hebt ab, das Smartphone ist aus. Arbeit und Freunde, die uns ablenken könnten, sind weit weg. Da lockt das Entertainment-Programm der Airline. Und obwohl wir uns für einen seichten Film entschieden haben, kullern die Tränen in einer ziemlich banalen Szene.

Dabei hatte der Streifen zu Hause im Wohnzimmer keine besonderen Gefühle ausgelöst. Kommt Ihnen das bekannt vor? Das Phänomen scheint jedenfalls weit verbreitet. Beim Filmeschauen über den Wolken beginnen viele schneller zu weinen als im Kino oder im eigenen Wohnzimmer.

55 Prozent der Passagiere sind während des Fliegens emotionaler

Zumindest geht es einer Untersuchung der Fluggesellschaft Virgin Atlantic zufolge einer Mehrheit der Passagiere so. 55 Prozent der Befragten gaben in der Umfrage von 2011 an, während des Fliegens generell emotionaler zu sein. 41 Prozent der Männer erklärten, sie versteckten sich unter der Decke, um ihre Tränen zu verbergen. Frauen gaben eher vor, etwas im Auge zu haben.

Virgin Atlantic schaltete daraufhin Warnhinweise vor Filme, die zu verstärkten Gefühlen führen könnten, wie der englische Guardian berichtete. Unter den Filmen, die mit einem Warnhinweis versehen wurden, waren etwa der Animationsfilm „Toy Story 3“, Julia Roberts‘ Selbstfindungstrip „Eat Pray Love“ und Clint Eastwoods Drama „Gran Torino“.

Ein Flug ist eine Ausnahmesituation

Die Ergebnisse der Umfrage solle man nicht überbewerten, sagt der Diplompsychologe Ralph Schliewenz auf Anfrage. Es könne auch Zufall sein, dass rund die Hälfte der Menschen angegeben habe, im Flugzeug emotionaler zu sein. Dennoch kann er Gründe für eine stärkere Emotionalität über den Wolken ausmachen. „Schließlich ist ein Flug für die meisten Menschen eine Ausnahmesituation, die mit einem Kontrollverlust einhergeht“, so der Kinder- und Jugend-Psychotherapeut aus Werne. „Da sind wir schon einmal per se verletzlicher als im Alltag, wenn wir sozusagen mit beiden Beinen auf dem Boden stehen.“

Verletzlichere Grundstimmung auf Reisen

Außerdem komme eventuell noch eine emotionale Anspannung hinzu, zum Beispiel weil man sich gerade von seinem Partner für längere Zeit verabschiedet hat, eine längere Fernreise ansteht oder man nach langer Zeit wieder nach Hause zurückkehrt. „Der ein oder andere fühlt sich vielleicht auch wegen des Höhenunterschieds nicht so wohl, weil er eng sitzt oder müde und gestresst von der Reise ist“, so Schliewenz. All diese Faktoren sorgten ohnehin schon für eine verletzlichere Grundstimmung.

„Wer dann noch einen traurigen Film sieht, greift womöglich schneller zum Taschentuch“, erklärt Schliewenz, der im Vorstand der Sektion Klinische Psychologie des Berufsverband Deutscher Psychologinnen und Psychologen ist.  

Wer alleine fliegt, ist auf sich zurückgeworfen

Hinzu kommt: Im Flieger können wir uns nicht so gut mit anderen Tätigkeiten ablenken. Ohne Internet können viele nicht arbeiten und auch nicht in den sozialen Netzwerken mit virtuellen Freunden chatten. „Wer alleine fliegt, ist auf sich zurückgeworfen, wenn kein Gespräch mit dem direkten Sitznachbarn zustande kommt.“

Umso mehr hat man Zeit, sich über sich selbst und das Leben an sich Gedanken zu machen – oder eben einen Film zu schauen. „Das Filme-Schauen im Flieger ist durch die Einzelbildschirme an jedem Sitz auch ein immer individuelleres, aber auch einsameres Unterfangen geworden“, findet Schliewenz.

Einzelbildschirme verstärken das Einsamkeitsgefühl

Während früher die Passagiere gemeinsam über dieselben Comics lachten, die über die wenigen Fernseher für alle ausgestrahlt wurden, versinkt bei Fernflügen heute jeder alleine in seinem Sitz in einer anonymen Masse. So werde das Einsamkeitsgefühl im Flieger verstärkt, erklärt der Psychologe.

Wer beim Filmeschauen im Flieger nicht von seinen Gefühlen überwältigt werden möchte, dem empfiehlt Schliewenz, anstatt des Dramas lieber den Kinderfilm einzuschalten. Man könnte natürlich auch etwas ganz Verrücktes tun – und ein Gespräch mit dem Sitznachbarn anfangen. (rer)