Medien Medien: Die Werbung ein Nacktbadestrand?
Hamburg/dpa. - Eine Frau im Bett mit zwei Männern: Werbung für eine Margarine. Ein verliebtes Paar tollt fast nackt (und permanent rauchend) durch ein Designerhaus: Werbung für Zigaretten. Wer zur Zeit ins Kino geht oder in den Reklamepausen im Fernsehen nicht wegschaltet, bekommt viel nackte Haut zu sehen. «Erotische - nicht sexuelle, sprich geschlechtliche - Werbung hat mengenmäßig zugenommen», sagt Volker Nickel, Sprecher des Deutschen Werberats. Die alte, viel zitierte Formel «Sex sells» gilt noch immer, bekommt aber neue Dimensionen. Ganz so einfach macht es sich die Branche laut Eigenauskunft nicht mehr.
Wer sich zum Beispiel die Kampagne der Margarine «Lätta Hoch2» erklären lässt, hört Begriffe wie «Lebensgefühl» und «Zielgruppe». Zu sehen ist in dem durchgestylten Spot eine hübsche junge Frau, die mit zwei Männern im Bett liegt, aufsteht, nackt durch einen Wohnungsflur läuft und am Ende die Tür eines Kühlschranks öffnet, um sich eine Packung Lätta an die Wange zu halten. Und was hat Margarine mit Sex zu tun? «Es geht für uns um ein Lebensgefühl», sagt Sven Becker, strategischer Planer bei der Agentur Springer & Jacoby. Bei der Zielgruppe - Mitte 20 bis Mitte 30, urban, hedonistisch, keine Kinder, hohes Einkommen, gute Bildung - komme das gut an. Bei anderen hingegen gar nicht. Die Kontroverse ist gewollt, und so macht es Becker auch nichts aus, wenn Fernsehmoderator Harald Schmidt zweideutig über Margarine als Schmierstoff lästert.
Andreas Pogoda, Berater am Institut für Markentechnik in Genf, hat beobachtet, wie Marken zunehmend auf das Spiel mit Erotik setzen. Grundsätzlich unterscheidet er zwischen «Sex und sexy»: Die plumpe Werbung mit Sex (die Frau, die nackt auf einer Kühlerhaube sitzt) bringt nichts für die Marke. Wenn nackte Haut sexy inszeniert wird, sagt Pogoda, dann sollte sie entweder direkt mit dem Produkt zu tun haben, wie bei Kosmetik. Oder sie wird sinnfällig in den Kontext eingebunden: «Es gibt einige Marken, wie etwa Bacardi und Palmers, die erotische Spannung in ihr Kommunikationsmuster integriert haben. Und nur so kann Erotik zum Verkaufserfolg beitragen», betont er.
Neu ist das Spiel mit der Freizügigkeit nicht: Anfang der 70er Jahre saß Yves Saint Laurent im Adamskostüm Modell, die «Fa»-Frau ging nackt duschen. Mittlerweile sind bloßer Männerhintern und blanker Busen kein Aufreger mehr und in der Werbung für Pflegeprodukte häufig zu sehen. Die Varianten sind bunt: Die aktuelle «Axe»-Duschgel-Kampagne setzt in ihren Fernsehspots (ein nackter Mann taumelt aus der Dusche und tanzt vor einer Aerobicgruppe) etwa nicht mehr auf markige Typen, sondern versucht, Erotik mit Witz zu kombinieren. Die Zielgruppe scheint klar: Frauen und Männer, die nicht alles ganz so ernst nehmen, und beispielsweise Fernsehserien wie «Sex and the City» mögen.
Grenzen werden allerdings immer noch überschritten. In Frankreich grassierte eine Zeit lang der Frauen verachtende «Porno-chic» - in einer Anzeige weidet ein Schaf in einem dicken Wollkleid auf einer Wiese, daneben eine Frau nackt auf allen Vieren, dazu der Slogan «Ich habe Lust auf einen Pulli». In Deutschland warb eine große Kette für Elektronikbedarf mit einem weiblichen Dekolleté mit drei nackten Brüsten: «Mehr drin, als man glaubt.»
Fachmann Nickel greift Sex in der Werbung in einem Vortrag auf und fragt sich: «Die Werbewelt ein Nacktbadestrand?» Mitnichten: Sie ist für ihn ein Abbild der Gesellschaft und folgt ihrer Entwicklung; erst kommt die gesellschaftliche Akzeptanz, dann die Werbung. So war es auch, als vor etwa zwei Jahren ein schwules Paar für Tiefkühlgerichte warb und dieser vermeintliche Tabubruch meist positive Schlagzeilen machte.
Werden die Grenzen des guten Geschmacks überschritten, hat das nicht unbedingt Folgen für das Kaufverhalten. 18 Prozent aller Frauen haben sich schon einmal massiv über die Darstellung von Frauen in der Werbung geärgert, geht aus einer Studie des Psychologischen Instituts der Universität Bonn aus dem Jahr 1992 hervor, die laut Nickel noch heute grundsätzlich gültig ist. Trotzdem kaufen mehr als Dreiviertel der Verärgerten das beworbene Produkt, die Kaufverweigerung liegt insgesamt bei lediglich 3,7 Prozent. Und Beschwerden über Sexismus, die beim Werberat eingehen, sind, wie es dort heißt, «kontinuierlich rückläufig».