Kaufrausch Kaufrausch: Wenn Geld ausgeben zur Sucht wird

Offenbach/Ludwigshafen/dpa. - Mit dem gelegentlichen Frustkauf, wie ihn beinahe jeder kennt, istKaufsucht nicht zu verwechseln. Ähnlich wie Drogen oder Glücksspielkann das Konsumieren allerdings abhängig machen. «Kaufsüchtige gehenmit dem Gedanken an das Kaufen ins Bett - und denken beim Aufstehenwieder als erstes an das Kaufen», sagt der Psychotherapeut WernerGross aus Offenbach, der mehrere Bücher über so genanntestoffungebundene Süchte geschrieben hat.
Kaufsüchtige kaufen auch, wenn sie das Gekaufte gar nichtbenötigen. Lebensmittel, Kleidung oder Schmuck stapeln sich dann inder Wohnung oder landen unausgepackt in der Mülltonne. «EinePatientin hat sich drei Wohnzimmereinrichtungen und 30 Kilo Kaffeegekauft. Andere haben Schränke voller unausgepackter Blusen», erzähltWerner Gross.
Kaufsüchtige kaufen immer häufiger und immer teurere Waren.Irgendwann können sie den Drang zu kaufen nicht mehr kontrollieren.«Kaufen ist dann krankhaft, wenn es mir danach nicht besser, sondernweniger schlecht geht», erläutert Professor Iver Hand, der amUniversitätsklinikum Eppendorf in Hamburg den ArbeitsbereichVerhaltenstherapie der Klinik für Psychiatrie und Psychotherapieleitet. «Wenn ich Geld habe, dann muss ich es einfach ausgeben» und«Es ist stärker als ich» sind Sätze, die Wissenschaftler von derForschungsgruppe Kaufsucht an der Universität Stuttgart-Hohenheim vonBetroffenen immer wieder hören.
In den USA und Kanada sei Kaufsucht schon seit Beginn derachtziger Jahre bekannt, in Deutschland finde sie erst seit denneunziger Jahren Beachtung, sagt Wirtschaftswissenschaftler MichaelNeuner von der Fachhochschule Ludwigshafen. Zwischen einem und fünfProzent der erwachsenen deutschen Bevölkerung seien kaufsüchtig, soNeuner. Weitere 20 Prozent gelten als deutlich suchtgefährdet. Umrund zehn Prozent habe die Kaufsucht in den alten Bundesländern inden vergangenen zehn Jahren zugenommen. In Ostdeutschland sei derWert sogar doppelt so hoch. Die steigende Zahl von Kaufmöglichkeitenetwa über das Internet sei ein Grund.
Die Ursachen der Kaufsucht sind laut Werner Gross aber vielfältig.Viele Süchtige kaufen, um innere Konflikte, Probleme in derPartnerschaft oder ein geringes Selbstwertgefühl zu verdecken, so derTherapeut. Entzugserscheinungen wie Schweißausbrüche,Konzentrationsstörungen und Selbstmordgedanken können die Folgensein. Außerdem berichten Betroffene von Schamgefühlen undVersteckspielen mit Familie und Freunden.
Ein ständig überzogenes Konto, manchmal sogar eine Verschuldung inMillionenhöhe, führt oft zu Gehaltspfändungen und Problemen im Beruf.Der Verlust des Arbeitsplatzes auf Grund der Kaufsucht sei keineSeltenheit: «Bei vielen stehen am Ende Vereinsamung und Armut», soNeuner.
Ein Grund sei, dass die Sucht oft unerkannt bleibt. «Die meistendenken, das ist doch ganz normal. Kaufen tun doch alle», sagtProfessor Iver Hand. Weil Süchtige ohne Rücksicht auf ihre Finanzenkaufen, ist häufig erst die Existenz bedrohende Verschuldung derAuslöser dafür, dass Betroffene Hilfe suchen. «Viele kommen erst indie Therapie, wenn es gar nicht mehr anders geht», sagt Werner Gross.
Informationen: Nationale Kontakt- und Informationsstelle zurAnregung und Unterstützung von Selbsthilfegruppen (NARKOS),Wilmersdorfer Straße 39, 10627 Berlin (Tel.: 030/31 01 89 60);Therapeutische Hilfe vermittelt der Psychotherapie-Informationsdienst(PID), Heilsbachstraße 22-24, 53123 Bonn (Tel.: 0228/74 66 99, Fax:0228/64 10 23, Internet: http://www.psychotherapiesuche.de).