Einfach zum Hörer greifen Telefonseelsorge und Co. Wo Menschen in der Corona-Einsamkeit Hilfe finden

Halle (Saale) - Einsamkeit, Unsicherheit und Angst - das Coronavirus belastet zunehmend auch das psychische Wohlbefinden. Es gibt Momente, in denen wissen viele einfach nicht mehr weiter. Was fehlt, ist eine Art Ventil, um den enormen Druck herauszulassen. Kurz gesagt: Irgendjemand, mit dem man reden kann. Denn Reden allein kann schon helfen.
Das wissen auch die Telefonseelsorger. In den zurückliegenden Tagen ist der Bedarf an einem Gespräch mit ihnen enorm gestiegen. Es gibt allerdings noch weitere telefonische Anlaufstellen. An wen sich Hilfesuchende wenden können.
Für alle Altersgruppen, rund um die Uhr erreichbar,
Telefon: 0800/111 0 111,
0800/111 0 222, 0 116 123
Für Kinder und Jugendliche, Kinder- und Jugendtelefon:
Sprechzeiten: Mo bis Sa von 14 bis 20 Uhr,
Telefon: 116 111
Elterntelefon:
Sprechzeiten: Mo bis Fr 9 bis 11 Uhr, Di und Do auch 17 bis 19 Uhr.
Telefon: 0800/ 111 0 550
Für Frauen in Not - rund um die Uhr erreichbar
Tel.: 08000/116 016
Für Opfer von Gewalt und Verbrechen, täglich von 7 bis 22 Uhr erreichbar,
Telefon: 116 006
Für ältere Menschen, täglich von 8 bis 22 Uhr erreichbar
Telefon: 0800/ 470 80 90
Für alle Altersgruppen gibt es Hilfsangebote
Bis zu 50 Anrufe täglich bekommt die Telefonseelsorge in Halle derzeit. „Das sind rund ein Drittel mehr als sonst “, erklärt Dorothee Herfurth-Rogge, Stellenleiterin in Halle. Etwa 90 ehrenamtliche Mitarbeiter kümmern sich hier abwechselnd um die Anrufer und deren Bedürfnisse. Für wen das Angebot gedacht ist? „Jeder kann hier anrufen“, unterstreicht Herfurth-Rogge.
Die Telefonseelsorge ist kostenfrei und anonym. Zuhören und den Gesprächspartner reden lassen - das ist in erster Linie die Aufgabe eines Seelsorgers. Erst dann wird gemeinsam das Problem bearbeitet. „Für viele ist das Reden an sich schon enorm hilfreich. Danach können die Gedanken besser sortiert und strukturiert werden“, erklärt Herfurth-Rogge. Doch die Mitarbeiter wissen nie, was sie am Telefon erwartet. Telefonseelsorge ist „die hohe Kunst des Aushaltens“, sagt die Expertin.
Die meisten Anrufer sind zwischen 30 und 50 Jahren alt
Zu den Anrufern gehört vor allem die Altersgruppe zwischen 30 und 50 Jahren. Das sei auch kaum verwunderlich: „In dieser Generation treten einfach die meisten Probleme auf. Etwa Sorgen um den Job, die Betreuung von Kindern zu Hause oder auch die Pflege der Eltern“, erklärt Herfurth-Rogge.
Diese Generation habe, so sagt sie weiter, eine Fürsorgepflicht sowohl nach oben - zu den Ältereren - als auch nach unten zu den Jüngeren. Dies alles in der jetzigen Situation zu koordinieren, könne schon eine schwere Aufgabe darstellen. Ein weiteres Problem sei, dass die Wenigsten jemanden haben, dem sie wirklich alles anvertrauen können. Die Telefonseelsorgerin appelliert daher, keine Scheu zu haben und anonym den telefonischen Kontakt zu suchen.
Hilfe für Jugendliche gibt es auch per Telefon
Auch Kinder und Jugendliche müssen ihren Alltag derzeit neu strukturieren. Kindergarten und Schule fallen weg, auch der Kontakt zu Freunden ist sehr eingeschränkt. Viele sitzen derweil zu Hause und können die Wohnung nicht verlassen. Das kann vermehrt zur Konflikten und Problemen in der Familie führen. Hilfe und Gesprächsangebot bietet da die bundesweite „Nummer gegen Kummer“.
Unter dem Motto „Allein mit deinen Problemen? - Darüber reden hilft!“ möchte die Seelsorge Kinder ermutigen, zum Hörer zu greifen. „Wir sind für Kinder und Jugendliche da. Auffangen, trösten und beruhigen. Gemeinsam überlegen wir dann, welche Lösung es in der jetzigen Situation gibt“, erklärt Mitarbeiterin Nina Pirk. Bundesweit finden etwa 300 Gespräche pro Tag statt. Auch eine Mail- und Chatberatung ist möglich. Gerade für Kinder und Jugendliche ist das häufig eine erste Möglichkeit, um die eigene Schamgrenze zu überwinden. Frust, Wut, Trauer, Ärger mit Freunden und Familie - das sind Themen, die häufig besprochen werden. Etwa 3.000 ehrenamtliche Mitarbeiter sind im Einsatz.
Silbernetz als Angebot für ältere Menschen
Senioren, die in der jetzigen Situation alleine sind, brauchen meist nur eins: Jemanden zum Reden. Das „Silbernetz“ ist keine explizite Telefonseelsorge. „Es ist in erster Linie ein reines Gesprächsangebot für ältere Menschen. Wir sind praktisch eine Etage vor der Telefonseelsorge“, erklärt Elke Schilling, Gründerin vom „Silbernetz“.
Auch hier herrscht in Zeiten von Corona ein höherer Bedarf an Gesprächen. Die Anrufer sind „liebenswerte Menschen, die einfach nur ein Echo hören wollen“. Schilling hat schon viele dieser Telefonate geführt. „Manche rufen mehrmals täglich an, sagen kurz ,Hallo’ und legen wieder auf“, erklärt sie. Es ist oftmals nur die Mitteilung „Ich bin noch da - ich lebe noch.“
Corona sorgt für Andrang auf Hilfsangebote
Etwa 150 Anrufe aus dem gesamten Land gehen laut Schilling täglich ein. Manche Gespräche dauern fünf Minuten, andere auch mal eine halbe Stunde. Ziel sei es, den Anrufenden ein positives Gefühl zu vermitteln und ein Stück weit zu helfen. Wie sie das schafft? „Ich lache viel. Manche Gespräche fangen sehr traurig an, aber in jeder traurigen Situation gibt es irgendwo einen Lichtblick. Der schönste Moment ist, wenn wir gemeinsam lachen.“
Älteren Menschen, die sich im Moment besonders einsam fühlen, empfiehlt sie, alte Kontakte wieder aufzunehmen. „Bestimmt gibt es Menschen aus der Vergangenheit, zu denen man heute keinen Kontakt mehr hat. Und
das Schöne am telefonieren ist: Wenn’s nicht klappt, kann man einfach auflegen.“
Telefonseelsorge bekommt zahlreiche Hilfsangebote
Es geht aber auch andersherum: Viele Menschen haben sich in den vergangenen Wochen gemeldet, um selbst als Telefonseelsorger tätig zu werden. „Wir sind überwältigt von den zahlreichen Hilfsangeboten“, sagt die hallesche Seelsorgerin Dorothee Herfurth-Rogge. Leider müssen sie diese jedoch meist ablehnen.
„Aus Gründen der Qualitätssicherung ist eine Mitarbeit bei einer Telefonseelsorge nicht einfach so möglich. Die Berater werden extra für diese Arbeit ausgebildet“ , erklärt Nina Pirk von der „Nummer gegen Kummer“.
Gesucht werden bei der bundesweiten Telefonseelsorge deswegen derzeit unbedingt ehemalige ehrenamtliche Mitarbeiter. „Diese können in der jetzigen Situation helfen. Sie sind ausgebildet und wissen, was zu tun ist“, sagt Herfurth-Rogge. Alle anderen Interessierten bittet sie, die Zeit der Coronakrise abzuwarten und sich dann nochmals bei der Seelsorge vorzustellen. (mz)