Stimme Stimme: Plötzlich sprachlos
Halle/MZ. - "So eine lange Krankheitsdauer ist die absolute Ausnahme", sagt der Präsident der Deutschen Gesellschaft für Sprach- und Stimmheilkunde, Prof. Rainer Schönweiler von der Universität Lübeck. In der Regel seien die Patienten mit chronischen Leiden etwa nach neun Monaten und ungefähr 20 Logopädie-Stunden wieder beschwerdefrei. Ausnahmen seien zum Beispiel Krebskranke, sie benötigen jahrelange Behandlungen.
Das gilt auch für Menschen, denen es wie Helga Klein wegen psychischer Probleme im Wortsinne die Sprache verschlagen hat. Durch Angst und Stress bei ihrer Arbeit als Immobilienverwalterin verkrampfte sie derart, dass sie nicht mehr sprechen konnte. Die Psyche suche sich das aus, was einen am meisten trifft, ist sie überzeugt. "Ich habe früher unheimlich viel und gerne gequatscht."
Bei einem Aufenthalt im bundesweit einzigen Akutkrankenhaus für Stimm- und Spracherkrankungen in Weilmünster (Hessen) kam ihre Stimme immerhin zeitweise wieder. Dort hat sie viel mit Dorothea Metz-Schneider, der Klinik-Psychologin, zusammengearbeitet. Wenn diese ihre Patienten fragt: "Was würden sie machen, wenn sie sprechen könnten?", lautet die Antwort oft: "Dann würde ich laut schreiend durch die Gegend laufen." In der Therapie lernten diese Menschen, ihrer Stimme das Wiederkommen zu erlauben.
Doch nicht nur psychische, auch organische, hormonelle und neurologische Störungen schlagen auf die Stimme. Sogar eine nach einem Bandscheibenvorfall erhöhte Körperspannung kann die Stimme negativ beeinflussen. Die Folgen können weit reichen: So haben die Menschen Probleme im Beruf oder können ihn gar nicht mehr ausüben. Sie ziehen sich zurück, gehen kaum mehr aus dem Haus und nicht mehr ans Telefon. Manchmal folgen auf die Sprachlosigkeit Panikattacken.
Im Berufsleben stehen Stimmprobleme oft einer Karriere im Weg. Die Betroffenen arbeiten zudem meist in Berufen, in denen sie sehr viel sprechen müssen. Nach Schönweilers Erfahrung sind das vor allem Lehrer, die in unruhigen Klassen ihre Schüler übertönen müssen. Auch Callcenter-Mitarbeiter und Verkäufer gehören oft zu seinen Patienten.
"Wir behandeln auch zunehmend alte Patienten", ergänzt Prof. Antoinette am Zehnhoff-Dinnesen, Präsidentin der Deutschen Gesellschaft für Phoniatrie und Pädaudiologie in Münster. Denn bei alten Menschen nimmt unter anderem die Elastizität der Stimmbänder ab, auch die Schleimhäute werden trockener. Ein Schlaganfall kann die Stimme komplett zum Verstummen bringen.
Heiser wird eine Stimme, wenn der komplizierte Bewegungsablauf der Stimmbänder nicht mehr richtig funktioniert. Zum Sprechen werden sie in Schwingung versetzt. Sind diese Schwingungen unregelmäßig, etwa wegen einer Schwellung, klingt die Stimme rau. Behaucht, also ungewöhnlich zart, hört sie sich an, wenn sich die beiden Stimmbänder nicht berühren, zum Beispiel bei einer Lähmung. "Als chronisch gilt eine Heiserkeit, wenn sie nach drei Monaten immer noch da ist", erläutert Schönweiler.
Ist die Stimme oft oder über eine längere Zeit heiser, empfiehlt sich der Gang zum Hals-Nasen-Ohren-Arzt. Dieser untersucht unter anderem den Kehlkopf. Viele Patienten werden zum Logopäden geschickt und dort in der Regel insgesamt 20 Stunden behandelt. "Bei seelischen Ursachen sollte auf jeden Fall ein Psychologe hinzu gezogen werden", sagt Zehnhoff-Dinessen. "Denn sonst kommt vielleicht die Stimme wieder, aber der Patient kriegt ein Magengeschwür."
Beim Logopäden lernen einige Patienten erstmals ihre eigene Stimmlage kennen. Laut Schönweiler sprechen ein bis zwei Prozent der Bevölkerung in einer falschen Tonlage. Die Folgen sind überlastete Stimmbänder. Um die eigene Stimmlage zu entdecken, genügt ein Summen. Hört sich dieser Ton ganz anders an als die eigene Stimme, haben die Stimmbänder beim Sprechen viel zu tun. Es gibt mehrere Übungen, um das Sprechen in der eigenen Stimmlage zu trainieren. Wichtig ist auch die Stimmhygiene. "Dazu gehört vieles: die Bauchatmung, bequeme Kleidung und ausreichendes Trinken", erläutert Schönweiler.
Allein damit ist es bei den Patienten in Weilmünster nicht getan. "Wir sind für die harten Fälle zuständig", sagt die Therapeutin Vera Basquitt. Etwa 400 Patienten aus ganz Deutschland werden hier jährlich behandelt, in der Regel bleiben sie sechs Wochen. Ihr Tag ist voll gepackt mit verschiedenen Therapien. Neben der Arbeit mit den Logopäden gibt es Bewegungs-, Entspannungs-, Musik- und Psychotherapie - damit die Stimme wiederkommt.