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Übergewicht bei Kindern Reha-Klinik Bad Kösen: Kinder und Jugendliche kämpfen gegen Übergewicht

Von Bärbel Böttcher 14.05.2016, 11:14
In Schwimmbecken können sich die Kinder fast schwerelos bewegen.
In Schwimmbecken können sich die Kinder fast schwerelos bewegen. Andreas Stedtler

Halle (Saale)/Bad Kösen - Für die 14-jährige Annalena endete  in der Vergangenheit  so manche  Einkaufstour mit ihren Freundinnen  im Frust. Weil es das eine Teil, das allen so gut gefiel, mal wieder nicht in ihrer Größe gab. Ins Schwimmbad  ist sie  gar nicht mehr mitgegangen.

Sie hat sich geschämt, wollte abfälligen Bemerkungen aus dem Wege gehen. Denn das 1,63 Meter große Mädchen brachte immerhin 70 Kilogramm auf die Waage. Nun versucht sie, in der Kinder-Reha-Klinik „Am Nicolausholz“ in Bad Kösen (Burgenlandkreis) ein paar Pfunde loszuwerden.

Genauso wie Marco. Als der 16-Jährige nach Bad Kösen kam, wog der 1,88 Meter große Junge 145 Kilogramm. Ein Arzt hat Marco die Reha empfohlen. Die Blutwerte des Jungen waren besorgniserregend. Sie wiesen unter anderem auf eine Fettleber hin. Zudem litt er unter Bluthochdruck.

Elisabeth Eckstein, die Chefärztin der Klinik, sieht solche Erkrankungen bei ihren Patienten häufig. Etwa 300 Kinder und Jugendliche kommen jährlich mit der Diagnose Adipositas - das ist der medizinische Fachbegriff für Fettsucht - nach Bad Kösen. „Sie werden immer jünger, die Adipositas zeigt sich immer ausgeprägter und die damit einhergehenden Erkrankungen nehmen zu“, sagt sie. Bereits Zwei- bis Vierjährige würden behandelt. Das sei vor einigen Jahren noch nicht der Fall gewesen.

Die Ursachen dafür liegen auf der Hand. Der 14-jährige Adrian, der erst vor einer Woche in der Reha-Klinik angekommen ist, erzählt, dass er zuletzt nur noch gegessen habe. Süßigkeiten, Pommes Frites, Hamburger. „Ich habe keinen Sport mehr gemacht, immer nur zu Hause gesessen“, sagt er. Und so wog der 1,73 Meter große Junge am Ende 117 Kilogramm.

So funktioniert Ernährungstraining


Ein typischer Fall. „Kinder toben heute immer seltener im Freien“, sagt Elisabeth Eckstein. „Im Schnitt sitzen sie täglich fünf bis sechs Stunden vor dem Computer. Am Wochenende ist es oft noch länger.“ In vielen Kinderzimmern stehe zudem ein Fernseher. Gerate dann noch das Essverhalten außer Kontrolle, sammelten sich die Pfunde fast zwangsläufig an.

In der Reha-Klinik Bad Kösen sollen die Kinder und Jugendlichen in vier bis sechs Wochen lernen, wie sie sich gesund und ausgewogen ernähren können. Nicht nur theoretisch. Das Wissen wird beim gemeinsamen Kochen in der Lehrküche gleich umgesetzt. Auch ein Einkaufstraining gehört zum Programm.  

Und jeder Patient führt eine ganz persönliche Ernährungspyramide, die seinen Tagesbedarf an Kalorien abbildet. Dort streicht er täglich ab, wie viel er wovon gegessen hat. „Auch eine Portion Süßes am Tag ist drin“, erklärt die 14-jährige Annalena. „Wir sollen sogar ab und zu mal naschen, sonst bekommen wir Heißhunger und essen viel zu viel Süßes“, fügt sie hinzu.

Die Pyramide ist praktisch das Gerüst für die tägliche Ernährung. „Aber es gibt  keine Verbote“, betont Elisabeth Eckstein. Sie erzählt, dass sie oftmals von Eltern kritisiert werde, dass ihre Kinder an einem Kiosk beispielsweise Eis kaufen könnten. Aber, so meint die Ärztin, die Mädchen und Jungen könnten nur lernen, Versuchungen zu widerstehen, wenn nicht alles von ihnen ferngehalten werde. Später, in ihrer gewohnten Umgebung, sei das auch nicht der Fall.

Breiten Raum nimmt in der Therapie der Sport ein. Speziell geschulte Adipositas-Trainer sorgen dafür, dass die Übergewichtigen wieder Freude an der Bewegung bekommen. Dafür stehen eine Turnhalle, ein Schwimmbad und ein Fitnessraum zu Verfügung. Auf dem großzügigen Außengelände kann gelaufen, gewalkt gewandert oder Fahrrad gefahren werden.  

Kinder oft Mobbing ausgesetzt

Es macht den jungen Leuten Spaß. Niemand braucht sich vor dem anderen zu schämen, denn alle  haben  das gleiche Problem. Hemmschwelle weg. Übrigens, auch am Selbstbewusstsein wird in Bad Kösen gearbeitet. Viele der übergewichtigen Kinder haben Mobbing und Ausgrenzung kennengelernt.  

Solche Erfahrungen wollen Andrea Rietze und Nicole Eck ihren Kindern ersparen. Die beiden Mütter haben  ihre Töchter nach Bad Kösen begleitet. Bis zum achten Lebensjahr des Kindes ist das derzeit möglich. Andrea Rietze erzählt, dass ihre Tochter Lene mit sechs Jahren etwa sieben Kilogramm Übergewicht hat. Sie kommt in diesem Jahr in die Schule und die Mutter fürchtet, dass das Mädchen dort gehänselt wird. Nicole Ecks Tochter Celine ist bereits sieben Jahre alt und besucht die  erste Klasse. Sie hat etwa 15 Kilogramm Übergewicht. Ihre Mutter spürt, dass sich die Tochter in ihrer Haut nicht wohlfühlt. Sie stehe öfter vor dem Spiegel und hadere mit ihrer Figur.

Nicole Eck hat Angst, dass sie in eine Essstörung abgleitet. Die beiden kleinen Mädchen sind sehr motiviert, abzunehmen. „Dabei ist es in diesem Alter oft schon ein Erfolg, wenn das Gewicht stagniert. Die Kinder wachsen noch“, sagt Elisabeth Eckstein. Bei ausgewogener Ernährung und sportlicher Aktivität wüchsen sie  quasi in ihr Normalgewicht hinein. Die Mütter sind aber nicht einfach Begleitpersonen. Auf dem Therapieplan stehen auch Ernährungsberatungen für sie. Aus Kindersicht versteht sich. Und sie hoffen, all das Gelernte zu Hause anwenden zu können.

Das Danach ist der kritische Punkt. In der Klinik, so sagt Elisabeth Eckstein, werde der Grundstein für eine dauerhafte Umstellung des Ernährungs- und Bewegungsverhaltens gelegt, sagt Elisabeth Eckstein. Und jeder bekomme am Ende auch Tipps für zu Hause mit. Ganz individuell. „Das Wichtigste aber ist die Motivation, am Ball zu bleiben“, betont die Ärztin.

Bei Adrian, Marco und Annalena, die übrigens schon kräftig abgenommen haben, ist die groß. Aber sie alle wissen, was Adrian ausspricht: „Die Gefahr, in den alten Trott zu verfallen, ist groß.“ (mz)