Medizin Medizin: Ärzte sind zum Hausbesuch verpflichtet

Köln/dpa. - Der Arzt, zu einem dringenden Hausbesuch gerufen, wird an der Haustür von einer schluchzenden Frau empfangen: «Sie sind umsonst gekommen, Herr Doktor!» Der Arzt antwortet: «Nicht umsonst, nur vergebens.» Schenkte man diesem Witz Glauben, verdienen sich Ärzte mit Hausbesuchen eine goldene Nase. In der Realität bringen Hausbesuche dem Arzt allerdings nur wenig Geld ein.
Ein hausärztlicher Besuch ist Experten zufolge immer dann angebracht und notwendig, wenn ein Kranker die Arztpraxis aus gesundheitlichen Gründen nicht aufsuchen kann. «Es gibt einmal den dringenden Hausbesuch, beispielsweise, wenn jemand akute Luftnot hat, zum anderen den unaufschiebbaren, aber geplanten, Hausbesuch bei akut oder chronisch Kranken», sagt Leonhard Hansen, stellvertretender Vorsitzender der Kassenärztlichen Bundesvereinigung (KBV) in Köln.
Doch entgegen landläufiger Vorurteile gibt es auch noch Ärzte, die den traditionellen Hausbesuch aus «sozialer Indikation» und als Vorsorge vornehmen. «Alte Menschen wissen, dass sie sich bei ihrem Hausarzt melden können, tun es aber oft nicht», erläutert Hansen. «Man kann sich nicht vorstellen, wie sich so jemand freut, wenn mal jemand vorbei kommt und auch über Gott und die Welt spricht.»
Die AOK als Gesetzliche Krankenversicherung (GKV) sieht das weniger idealistisch: «Wir brauchen eine Mengensteuerung in Form eines Praxisbudgets und können Hausbesuche nicht außen vor lassen, obwohl das diskutiert wird», sagt Manfred Patsch, Abteilungsleiter Ambulante Versorgung beim AOK Bundesverband in Bonn.
Der finanzielle Anreiz für einen Hausbesuch ist tatsächlich nicht sehr groß. «Für einen geplanten Hausbesuch bekommt ein Arzt durchschnittlich 18 Euro, für den dringenden Einsatz sind es durchschnittlich 27 Euro Besuchsgebühr», sagt Britta Cassone, Pressereferentin in der Hauptgeschäftsstelle der Deutschen Angestellten-Krankenkasse (DAK) in Hamburg. Für Leonhard Hansen sind diese Honorierungen ein Hohn: «Leistungen wie der Hausbesuch, die das ärztliche Tun wie kaum etwas anderes abbilden, dürfen kein Zuschussgeschäft sein.»
Behandeln Hausärzte nämlich viele Schwerkranke, riskieren sie, ohne Honorar zu arbeiten. Schon nach dem dritten Hausbesuch pro Quartal sieht es mit der Bezahlung kritisch aus: «Das Gros der Ärzte praktiziert den Beruf so, dass sie darauf nicht schauen - das ist aber kein Freibrief für Politik und Krankenkassen, die Situation so zu belassen», sagt Hansen.
Jeder Hausarzt braucht zum ökonomischen Ausgleich und zur Einhaltung der Budgetgrenzen viele verhältnismäßig gesunde Patienten. Für jeden Patienten steht nämlich nur eine gewisse Punktzahl zur Verfügung. Wird das Punktekonto bei schwerkranken Patienten überzogen, muss der Arzt darauf achten, die zu viel «verbrauchten» Punkte bei den weniger Behandlungsbedürftigen wieder hereinzuholen.
«Der Hausarzt hat genug Mittel, das Budget zu steuern, wenn er nicht nur schwer kranke Patienten hat», sagt Manfred Patsch von der AOK. Die Kasse will aber an den jetzigen Regelungen für Hausbesuche nicht rütteln: «Wer Hausbesuche macht, hat weniger Zeit für andere Leistungen und kann deshalb nicht so viel abrechnen», betont Patsch.
Deshalb verweisen Hausärzte teilweise auf den Kassenärztlichen Notdienst, anstatt selber auszurücken. «Bis der kommt, das kann schon einmal fünf Stunden dauern», sagt Michela Schwabe, Juristin in der Patientenberatung der Verbraucherzentrale Berlin. Grundsätzlich ist ein unterlassener Hausbesuch im Notfall ein Verstoß gegen die ärztliche Berufsordnung.
Rein rechtlich ergibt sich die Pflicht zur medizinischen Versorgung schon aus dem Behandlungsvertrag zwischen Arzt und Patient. «Natürlich hat er die Verpflichtung zu kommen, wenn er einen Anruf erhält und ein Notfall ersichtlich ist», so Schwabe. Diese Besuchspflicht gilt auch für Ärzte mit Gebietsbezeichnung wie Internist oder Kinderarzt, die der Patient zur Behandlung aufgesucht hat. Einen Anspruch auf den traditionellen Hausbesuch gibt es der Expertin zufolge allerdings nicht.