Eingeweidebrüche Leistenbruch: OP, Symptome, Risiken

Sangerhausen - „Mir geht es von Stunde zu Stunde besser.“ Walter Franke ist selbst überrascht, dass er das knapp 24 Stunden nach seiner Leistenbruch-Operation bereits sagen kann. Es ist noch keinen Tag her, dass der 67-jährige Allstedter auf dem OP-Tisch gelegen und auf das Können von Fritz Woehe vertraut hat. Der ist Oberarzt an der Sangerhäuser Helios-Klinik und unter anderem auf laparoskopische Hernienoperationen spezialisiert: auf minimalinvasive Operationen von Eingeweidebrüchen.
Jedes Jahr werden in Deutschland mehr als 350.000 solcher Operationen durchgeführt. Eingeweidebrüche treten als Bauchwandbrüche in Form von Leistenbrüchen, Nabelbrüchen, Narbenbrüchen an Operationsnarben sowie Brüchen in der Mittellinie des Oberbauchs auf. Eingeweidebrüche entstehen aber auch im Bereich von künstlichen Darmausgängen. Besonders häufig von Leistenbrüchen betroffen sind Männer. Immer mal wieder hatte Walter Franke Probleme mit seinem Leistenbruch, bis es schließlich hieß, dass nun unbedingt operiert werden müsse.
„Wenn man das nicht rechtzeitig tut, kann es zu schweren Komplikationen kommen“, sagt Dr. Bernd Klinge, Chefarzt der Allgemein- und Viszeralchirurgie an der Sangerhäuser Klinik. Beispielsweise könne ein Stück Darm durch die Bruchöffnung in der Bauchdecke rutschen, abgeklemmt werden und im schlimmsten Fall absterben. Das lasse sich dann nicht mehr so elegant mit kleinen Schnitten operieren, betont Klinge. „Das ist dann eine Notoperation. Leider gibt es immer wieder Patienten, die viel zu lange warten, ehe sie sich zu einer Operation durchringen.
Kein großer Schnitt: Etwa 180 Operationen pro Jahr in Sangerhausen
Rund 180 Patienten mit Eingeweidebrüchen werden in jedem Jahr in Sangerhausen operiert. In fast allen Fällen kommt die minimalinvasive Operationsmethode zum Einsatz. Oberarzt Fritz Woehe erklärt seinem Patienten Walter Franke genau, was das heißt. Statt eines langen Schnitts hat dieser nur drei etwa ein Zentimeter lange Schnitte in der Bauchdecke.
Durch diese Schnitte werden die Instrumente und eine Kamera eingeführt, auf einem hochauflösenden Monitor sehen die Ärzte das Operationsgebiet etwa viermal vergrößert. „Und nicht nur das“, sagt Fritz Woehe, „ich kann mich mit der Kamera durchaus ein bisschen im Bauchraum umschauen, ohne den Patienten damit zu belasten und somit andere Probleme erkennen, die der Patient haben könnte. Das sieht man sonst bei einer offenen Operation nicht unbedingt.“
Sangerhausen: Kunststoffnetze werden bei OP mit Fibrinkleber fixiert
Bei der Operation wird ein Kunststoffnetz implantiert, das die Bruchstelle verstärkt. „Das Netz wächst vollständig ein“, sagt der Oberarzt. Bereits nach ungefähr 14 Tagen sei es so fest angewachsen, dass es nicht mehr verrutschen könne.
Fixiert werden die Netze in Sangerhausen seit drei Jahren mit Fibrinkleber, der vom Körper vollständig abgebaut wird, wie der Oberarzt erklärt. Früher habe man die Netze an die Bauchwand getackert. Was sich nach dem Werkzeug aus dem Baumarkt anhört, funktioniert auch ähnlich wie die Tacker, die der Heimwerker kennt, erklärt Chefarzt Klinge.
Kleber statt Tacker - warum dieser Wechsel? Das hat mit den Schmerzen zu tun, die durch Nervenschädigungen nach einer Bruchoperation auftreten können. Dass es deshalb besser ist zu kleben als zu tackern, hat die Medizinerin Christiane Barthel nachgewiesen. Die 35-Jährige, die jetzt als Traumatologin in Zürich arbeitet, hat dazu eine Doktorarbeit verfasst und mittlerweile erfolgreich in Halle verteidigt. Sie suchte zum Abschluss ihres Studiums nach einer Klinik, in der sie neben ihrer Facharztausbildung auch ihre Doktorarbeit schreiben konnte. Und fand sie in Sangerhausen.
Christiane Barthels Doktorvater ist Malte Kornhuber, seit 2016 Chefarzt der Neurologie in Sangerhausen. Er ist auch Professor an der Uni Halle. „Normalerweise betrachtet man die Dinge nur aus der Sicht seines eigenen Fachgebiets“, sagt er. In dieser Doktorarbeit seien durch die interdisziplinäre Zusammenarbeit von Chirurgie und Neurologie aber Zusammenhänge deutlich geworden, die bisher so noch nicht erforscht und belegt waren. Wenn die Kunststoffnetze nämlich nicht mehr angetackert, sondern mit Kleber fixiert werden, leiden die Patienten deutlich seltener unter postoperativen Schmerzen und anderen Missempfindungen.
Register über Bruchoperationen an Sangerhäuser Klinik
Wichtige Grundlage ihrer Doktorarbeit war die Vorarbeit der Chirurgen. Oberarzt Fritz Woehe pflegt seit 2014 die Ergebnisse der Bruchoperationen der Sangerhäuser Klinik in ein Register der im Jahre 2009 gegründeten, gemeinnützigen Gesellschaft Herniamed ein. Kernpunkt dieses Projekts ist eine internetbasierte Qualitätssicherungsstudie. Da geht es auch darum, wie Schmerzen nach der OP vermieden werden können. Natürlich sei die Lage der Nervenbahnen bekannt und die Chirurgen achteten darauf nichts zu verletzen, aber jeder Mensch sei eben besonders, sagt Fritz Woehe. Und beim Tackern könne es eben dazu kommen, dass man Nerven irritiere oder schädige. Dieses Risiko schalte man durch das Kleben aus, wie jetzt in der Doktorarbeit Christiane Barthels wissenschaftlich belegt ist.
Nun werden die Ergebnisse der Forschungen in Sangerhausen auch weltweit einem Fachpublikum bekanntgemacht. Noch im Oktober wird Bernd Klinge nach Boston zum American College of Surgeons (ACS) fliegen, um dort vor der US-amerikanische chirurgische Fachgesellschaft einen Vortrag über die an der Sangerhäuser Klinik erzielten Forschungsergebnisse zu halten. Klinge gehört dieser Gesellschaft bereits seit zehn Jahren an. „Hier bekommt man selbst die neuesten Trends mit und man kann aber auch den Kollegen einen Input geben“, so Klinge, der schon gespannt ist, wie die Experten aus aller Welt auf die Forschungsergebnisse reagieren werden.
Gewichte stemmen ist nach der OP nur kurzfristig tabu
Wenn der Kongress dann Ende Oktober stattfindet, bei dem der Patient Walter Franke mit seinem Fall als Beispiel eine Art Hauptrolle spielt, könnte der Allstedter schon längst wieder Bäume rausreißen. Aber nur im übertragenen Sinne - nicht buchstäblich. „Das lasse ich mal lieber. Wahrscheinlich habe ich genau von jahrelanger schwerer Arbeit meinen Leistenbruch. Wir haben nämlich eine Holzheizung. Da muss viel Holz herangeschafft werden“, sagt Franke.
In Zukunft wolle er etwas kürzer treten. „Auch wenn es hier in der Klinik ganz angenehm war, will ich mich doch nicht noch mal operieren lassen.“ Chefarzt Klinge rät: „Eigentlich müssen Patienten heutzutage nach einer Bruchoperation keine besonderen Regeln mehr beachten. Nur von wirklich körperlich schwerer Arbeit und Gewichte stemmen im Fitnessstudio raten wir in den ersten zwei, drei Wochen tatsächlich ab.“ (mz)