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Einzigartige Augen-OP Hornhauttransplantation: Kosten, Erfahrung, Risiken und die Operation

Von Bärbel Böttcher 07.01.2019, 11:35
Der Augenchirurg Arne Viestenz (r.) untersucht Matthias Beringer, der extra wegen des Arztes nach Halle gereist ist.
Der Augenchirurg Arne Viestenz (r.) untersucht Matthias Beringer, der extra wegen des Arztes nach Halle gereist ist. Andreas Stedtler

Halle (Saale) - Es ist ein gefährliches Gemisch aus Säure und Lauge, das Matthias Beringer am 7. September 2011 im Labor zum Verhängnis wird. Buchstäblich vor seinen Augen kommt es zu einer Explosion.

Zwar trägt er eine Schutzbrille. Aber die Wucht ist so groß, dass Chemikalien-Spritzer nicht nur das Gesicht, sondern auch die Augen verätzen.

Angst vor Erblinden nach Unfall mit Chemikalien

Besonders schwer betroffen ist das rechte Auge. „Es sah völlig weiß aus, so wie bei einem gekochten Fisch“, erzählt der Chemiker, der in einer kleinen Firma in Ludwigshafen (Rheinland-Pfalz) arbeitet und im nur wenige Kilometer entfernten Mannheim (Baden-Württemberg) zu Hause ist.

Matthias Beringer sieht so gut wie nichts mehr, droht für immer zu erblinden. „Das hat mir Angst gemacht“, sagt der heute 54-Jährige.

Hornhaut von Auge löst sich durch Niesen

Um das Schlimmste zu verhindern, nähen Ärzte in Ludwigshafen eine spezielle Membran auf die geschädigte Hornhaut des rechten Auges. Diese soll die Wundheilung fördern, Entzündungen zurückdrängen.

Doch ein kräftiger Nieser des Patienten macht diesen Plan zunichte. Die Hornhaut hält ihm nicht stand. Sie reißt auf.

Ablösung der Hornhaut vom Auge: schnell handeln

Nun ist zum einen Eile geboten und zum anderen ein Spezialist gefragt. Matthias Beringers Ehefrau fährt ihren Mann so schnell es geht an die Universitätsaugenklinik im etwa 100 Kilometer entfernten Homburg (Saarland).

Dort wartet bereits ein Ärzteteam um Professor Arne Viestenz, heute Direktor der Universitätsklinik und Poliklinik für Augenheilkunde der Universitätsklinik Halle, auf ihn.

Und Arne Viestenz entscheidet sich in dieser Nacht, in der Matthias Beringer vor ihm auf dem OP-Tisch liegt, einen ganz neuen Weg zu gehen, um dessen Augenlicht zu retten.

Hornhauttransplantation: Narben durch alte OP-Technik

Es ist ein Weg, den eine ukrainische Augenärztin aus Odessa erschlossen hat. Nadeschda Putschkowskaja entwickelte in den 60er Jahren eine Technik, mit der Defekte in der Hornhaut des Auges verschlossen werden können.

„Sie hat einfach eine neue Hornhaut darüber genäht, ohne, wie heute üblich, die alte zu entfernen“, erklärt Arne Viestenz. Das habe auch funktioniert. Manchmal sei die defekte Hornhaut darunter sogar geheilt.

„Dann wurde die Transplantierte wieder entfernt“, so der Arzt. In jedem Fall aber habe der Patient wegen der entstandenen Narben schlecht gesehen, ergänzt er. Die Hornhaut ist ja so etwas wie ein Fenster. Ist es zerkratzt, wird der Blick nach draußen getrübt.

Neuartige OP-Technik für Hornhauttransplantation entwickelt

Arne Viestenz und sein Team stellen sich aus genau diesem Grund die Frage: Wie kann diese Methode weiterentwickelt werden? Wie kann sie Patienten etwa mit schweren Verätzungen helfen, Patienten, bei denen das komplette Gewebe im Auge zerstört und eine totale Trübung der Hornhaut - sprich: eine Erblindung - nicht mehr aufzuhalten ist?

Die Lösung liefern quasi die Hornhautbanken, wo potenzielle Transplantate bis zu vier Wochen aufbewahrt werden können.

Hornhauttransplantation mit Stammzellen

Die Hornhaut lagert in einem speziellen Medium, umschlossen vom Sklera-Ring, also einem Teil der Lederhaut des Auges. „Das Wichtigste aber befindet sich in der Zone zwischen Leder- und Hornhaut, nämlich die Stammzellen, die in der Lage sind, die Hornhautoberfläche komplett zu regenerieren“, sagt Arne Viestenz.

Es ist alles das, was Mediziner als vorderen Abschnitt des Auges bezeichnen. Und dieses Segment, so ihre Überlegung, könnte ja komplett transplantiert werden.

Es ist eine Operation ohne Beispiel. Doch in jener Nacht, als es darum geht, Matthias Beringers Augenlicht zu retten, da wagt Arne Viestenz sie zum ersten Mal.

Hornhauttransplantation: Operation dauert vier Stunden

Vier Stunden dauert der Eingriff, „der nicht so ganz einfach ist“, wie der Mediziner sagt. Zehn Tage später entfernt er die zerstörte Hornhaut - wiederum mit einer ausgeklügelten Technik.

Über 0,7 Millimeter große Zugänge gelangt er mit einem kleinen Schneidinstrument ins Innere des Auges und trägt die defekte Hornhaut ab. „Nun war die optische Achse frei. Der Patient hatte wieder klare Sicht“, erzählt Arne Viestenz, der bis heute deutschlandweit der einzige Augenchirurg ist, der dieses Verfahren anwendet.

Neuartiges Operationsverfahren bei Hornhauttransplantation in Halle (Saale)

„Das ist im Unterschied zu einem allgemeinen Hornhautwechsel große Chirurgie,“, sagt er nicht ohne Stolz.

Anfang 2017 bringt Arne Viestenz diese Methode mit nach Halle. Und hier gewinnt er darüber auch weitere Erkenntnisse - die wiederum mit Matthias Beringer zu tun haben.

Arbeiten nach Hornhauttransplantation kein Problem

Der Mannheimer steigt ein Jahr nach seinem schweren Unfall, genauer gesagt im Oktober 2012, wieder ins Arbeitsleben ein. Mit seiner Smokie-Revival-Band gibt er Konzerte. Das erste findet übrigens im thüringischen Rudolstadt statt.

„Als wir auf der Bühne standen, da sind mir die Tränen gekommen. So froh war ich, nach dem Unfall wieder dabei sein zu können“, sagt Matthias Beringer.

Hornhauttransplantation: Hornhaut am Auge löst sich ab

Und doch gibt es Rückschläge. Zahlreiche weitere Eingriffe sind nötig, unter anderem am linken Auge, das nicht so stark verletzt war. Aber dann geschieht das Unfassbare. Das Transplantat im rechten Auge wird abgestoßen, die Hornhaut trübt sich ein. Was ist passiert?

Zwar ist es bei Hornhauttransplantationen meist nicht - wie etwa bei einer Nierenverpflanzung - erforderlich, dass die Gewebeeigenschaften des Spenderorgans mit denen des Empfängers identisch sind.

Hornhauttransplantation: Abstoßung durch Unverträglichkeit

Aber es ist nötig, dass die Patienten danach Immunsuppressiva nehmen, die das körpereigene Abwehrsystem unterdrücken und dafür sorgen, dass das fremde Organ nicht abgestoßen wird. Matthias Beringer verträgt die Medikamente nicht, lässt sie weg. Mit den beschriebenen Folgen.

Hilfe erhofft er sich wiederum von Arne Viestenz. Um bei ihm behandelt zu werden, muss er nun eine Reise nach Halle in Kauf nehmen. „Ich wäre überall hingefahren, um in seinen Händen zu bleiben“, sagt der Chemiker.

Zunächst wird versucht mit einer althergebrachten Hornhauttransplantation etwas zu retten. Doch das klappt nicht.

Medizinisches Experiment: zweimalige Hornhauttransplantation

Matthias Beringer bittet, doch wieder so vorzugehen wie beim ersten Mal. Der Arzt zögert. Er weiß nicht, ob das möglich ist. Malt seinem Patienten alle damit verbundenen Risiken aus. Doch der sagt: „Ich habe nichts zu verlieren, schlimmer kann es nicht werden.“

Arne Viestenz geht das Wagnis ein. Mit gemischten Gefühlen, wie er gesteht. Doch die Operation gelingt. Der Patient kann heute sogar das Kleingedruckte lesen. „Nun wissen wir, dass wir diesen Eingriff sogar wiederholen können, und dass der Schlüssel zum Erfolg die Immunsuppressiva sind“, sagt er.

Inzwischen hat der Chirurg die Technik soweit verfeinert, dass die defekte Hornhaut gleich bei der ersten Operation mit entfernt wird, also keine zweite erforderlich ist.

Blindheit heilen ist durch Hornhauttransplantation möglich

Einigen Menschen in Mitteldeutschland und von weiter her hat Arne Viestenz mit seiner Methode das Augenlicht wiedergebracht. Denn sie funktioniert nicht nur bei Notfällen. Auch wenn es sich um ältere Narben auf der Hornhaut handelt, ist sie unter bestimmten Voraussetzungen, die bei jedem Patienten in intensiven Untersuchungen geprüft werden, anwendbar.

„Aber es sind tolle Momente, wenn dann jemand vor mir sitzt und sagt: Ich war 20 Jahre blind, jetzt kann ich wieder sehen“, unterstreicht der Arzt, der intensiv an weiteren Verbesserungen von Therapien forscht und sich nicht scheut, Grenzen zu überschreiten. So wie bei Matthias Beringer.

Sport nach Hornhauttransplantation kein Problem

Der hat, wie er betont, seine neuen Immunsuppressiva nun immer am Mann und betreibt intensive Augenpflege. Aber sonst lebt er ein Leben ohne Einschränkungen. Er geht seinen Hobbys wie Tauchen, Ski- und Motorradfahren nach. Und tourt mit seiner Band durch Deutschland und gelegentlich durch Europa.

Auch in der Ukraine haben sie schon gespielt. In Odessa. Und dort hat Matthias Beringer an Nadeschda Putschkowskaja gedacht. Daran, dass er ohne ihre Vorleistung heute vielleicht blind wäre. (mz)

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Fünf Fragen an Professor Arne Viestenz zum Thema Hornhauttransplantation

Hornhauttransplantation: Wann kann das Augenlicht wiederhergestellt werden?

Das Augenlicht kann wiederhergesellt werden, wenn bei schweren Verletzungen große Narben entstanden sind, bei lamellären Verletzungen oder auch wenn eine schwere Verätzung durch Kalk oder durch Säuren erfolgt.

Gleichzeitig kann die Hornhauttransplantaion auch hilfreich sein, wenn Stammzellen-Insuffizienzen da sind, sie kann hilfreich sein wenn die Hornhaut aussackt oder sogar die Pumpzellen nicht mehr richtig pumpen, dann können auch nur kleine Lamellen der Hornhaut transplantiert werden.

Auf jeden Fall ist es bei Narben sinnvoll, eine neue Hornhaut zu transplantieren, weil man dann auch wieder klar durchschauen kann.

Hornhauttransplantation: Wie hoch sind die Erfolgsaussichten?

Wenn keine Transplantatabstoßung erfolgt, sind die Erfolgsaussichten sehr hoch, das heißt weit über 90 Prozent.  Das hängt aber auch von dem Ausgangsbefund ab und ob die Netzhaut noch anliegt und der Sehnerv intakt ist.

Hornhauttransplantation: Was sind die Risiken?

Bei etwa bei 1.000 bis 2.000 Patienten, tritt eine explosionsartige Blutung auf.  Das ist das schlimmste Risiko, was leider zum Verlust führt. Dann besteht das Risiko einer Transplantatabstoßung. Die kann zwischen ein und 15 Prozent variieren - und das über viele Jahre. Das können wir aber auch mit Augentropfen beherrschen. Und natürlich auch, dass Wund-Sprengungen erfolgen,  wenn man zu früh nach einer Transplantation wieder mit Kontaktsportarten anfängt. Problematisch wird es, wenn man einen Tennisball oder einen Badmintonball oder einen Faustschlag auf das Auge bekommt, dann kann das Auge einreißen. Deshalb sollte man dann auch eine Schutzbrille tragen.

Hornhauttransplantation: Welche Alternativen gibt es?

Bislang gibt es keine richtigen Alternativen zu Hornhauttransplantationen. Es wird viel an erneuernden Therapien geforscht, damit man Stammzellen regenerieren kann. Das wird aber den Studien der Zukunft vorbehalten bleiben, wo in Deutschland wahrscheinlich im Jahr 2019 die erste initialisiert wird.

Hornhauttransplantation: Wer trägt die Kosten?

Die Kosten für eine Hornhauttransplantation trägt vollständig der Versicherungsträger.

Kann eine Hornhauttransplantation vor Blindheit bewahren? Diese und andere Fragen beantwortet Professor Arne Viestenz.
Kann eine Hornhauttransplantation vor Blindheit bewahren? Diese und andere Fragen beantwortet Professor Arne Viestenz.
Andreas Stedtler