Gegen Versicherungsbetrug Gegen Versicherungsbetrug: Ralph Schweda lässt es krachen

Halle (Saale) - W as für ein Pech. Da stolpert der nette Besuch von Herrn X über die Schnur des Fernsehers, reißt im Fallen das Gerät mit sich. Es stürzt vom TV-Schränkchen 1,20 Meter in die Tiefe. Schlägt auf. Übrig bleibt nur noch (Elektro-)Schrott. Zum Glück hat der Unglücksrabe eine Haftpflichtversicherung. Von der erwartet Herr X nun eine ordentliche Summe Geld.
Doch beide haben die Rechnung ohne Ralph Schweda gemacht. Der Diplomingenieur für Allgemeine Elektrotechnik, bekannt aus der RTL-Dokumentation „Die Versicherungsdetektive“, die seit acht Staffeln ausgestrahlt wird, ist Inhaber eines Sachverständigenbüros eben für Elektrotechnik. Bei ihm und seinem Team in Alfter-Witterschlick bei Bonn landen aus allen Gegenden Deutschlands alle nur denkbaren Geräte, die als Versicherungsschaden eingereicht werden.
Auch der Fernseher von Herrn X wird hier begutachtet. Schon der erste Blick auf das Gerät lässt Ralph Schweda zweifeln, dass der Schaden so entstanden ist, wie es der Geschädigte geschildert hat. Der Bildschirm weist ein großes Loch auf. Dessen Ränder sind tief nach innen gedrückt. „Solch ein Schaden entsteht nicht, wenn der Fernseher auf einen glatten Boden fällt“, sagt der 51-Jährige. Was er auch sofort mit einem vergleichbaren Gerät demonstriert. Es rumst ordentlich, als er es zu Boden wirft. Doch auf dem Bildschirm ist kein Einschlagloch zu sehen.
Durch Versicherungsbetrug entsteht in Deutschland Jahr für Jahr ein wirtschaftlicher Schaden in Höhe von vier bis fünf Milliarden Euro. Der Gesamtverband der Deutschen Versicherungswirtschaft (GdV) berichtet, dass laut einer Sonderauswertung, die im Mai veröffentlicht wurde, rund neun Prozent der gemeldeten Fälle in der Kraftfahrt-, Haftpflicht- und Sachversicherung Ungereimtheiten aufweisen.
Versicherungsbetrug ist übrigens kein Kavaliersdelikt, sondern strafbar. Wird ein Betrug nachgewiesen, muss der Versicherer nicht für den Schaden aufkommen. Außerdem kann der dem Versicherten kündigen, Sachverständigenkosten zurückfordern und den Fall zur Anzeige bringen.
Versicherungsbetrug wird auch strafrechtlich verfolgt. Es drohen fünf Jahre, in schweren Fällen sogar bis zu zehn Jahre Haft. Allein der Versuch ist bereits strafbar.
Wer sich Versicherungsleistungen unredlich erschleichen will, schadet unter Umständen der ganzen Versichertengemeinschaft. „Denn wenn der Schadenaufwand dadurch in die Höhe schnellt, müssen früher oder später auch die Preise für den Versicherungsschutz angepasst werden“, sagt Hans-Jörg Kurth, Schaden-Experte der ÖSA.
Der ÖSA werden jährlich mehr als 50.000 Schäden gemeldet. Bei einigen hundert werde mit Hilfe von Experten die Rechtmäßigkeit des Anspruchs auf eine Versicherungsleistung geprüft. „Das geschieht also verhältnismäßig selten, aber besonders häufig dann, wenn es um beschädigte Elektronik geht - vor allem Handys, Tablets, Laptops oder Fernseher“, sagt Hans-Jörg Kurth.
Die Versicherung geht von mehreren zehntausend Euro aus, die sie allein im Segment von Handys, Tablets und Unterhaltungselektronik durch die genaue Prüfung der Geräte durch Sachverständige nicht zahlen muss.
Übrigens beobachtet der GdV, dass vor sportlichen Großereignissen die Schadenmeldungen an TV-Geräten stets zunehmen. Für Handys trifft das zu, wenn eine neue Generation der intelligenten Telefone auf den Markt kommt.
Dafür ist das Gehäuse zersplittert - ein Schaden, den das TV-Gerät von Herrn X nicht aufweist. „Mit diesem simplen Test wurde nachgewiesen, dass Schadenschilderung und Schadenbild nicht zusammenpassen“, sagt Ralph Schweda. „Nicht plausibel“, fügt er hinzu. Und obwohl es sich um einen Flachbildfernseher handelt, wird Herr X nun wahrscheinlich in die Röhre gucken.
Was aber muss passieren, damit so ein Schaden wie der Geschilderte entsteht? Auch das demonstriert der Sachverständige eindrucksvoll. Er haut eine Bierflasche in das Test-Gerät, das übrigens schon vorher seinen technischen Geist aufgegeben hatte. Und siehe da - das Loch, das entstanden ist, ähnelt dem im Fernseher von Herrn X auf verblüffende Weise.
Ralph Schweda hat einen klaren Fall von Versicherungsbetrug aufgedeckt. Aber er legt Wert auf die Feststellung: „Das trifft für die wenigsten Fälle zu, mit denen wir es zu tun haben.“ Zu den Kunden seines Sachverständigenbüros gehören knapp 30 Versicherungen - darunter auch die ÖSA. Er betreibt es seit 14 Jahren, hat in dieser Zeit etwa 130.000 Versicherungsfälle bearbeitet. „Nur etwa zehn Prozent davon sind Betrugsfälle“, sagt er. „90 Prozent laufen glatt durch.“
Wenn der Diplomingenieur, der ursprünglich Pianist werden wollte und dann doch seinen technischen Neigungen gefolgt ist, heute ein schadhaftes Gerät auspackt, dann weiß er meist ziemlich genau, ob Schadenschilderung und Schadenbild zusammenpassen. Ist das nicht der Fall, kommt der Detektiv in ihm zum Zuge. Dann nimmt er die Geräte bis auf die letzte Schraube auseinander, betrachtet einzelne Teile unterm Mikroskop. Dann lässt er schon mal Fernseher, Notebooks oder Kameras unsanft auf den Boden krachen oder überschüttet sie mit Wasser, Kaffee, Bier ... Gelegentlich haut er mit einem Hammer auf das Display eines Handys oder fährt mit seinem schweren Geländewagen über einen Laptop. So kann er meist recht schnell nachweisen: Die Geschichte, die der Geschädigte erzählt, die kann nicht stimmen.
Übrigens - 30 Prozent der angeblich Geschädigten machen einen Rückzieher, wenn sie von ihrer Versicherung aufgefordert werden, das kaputte Gerät nach Alfter-Witterschlick zu schicken. Regt sich da das schlechte Gewissen? Andererseits findet Ralph Schweda es „sehr humorvoll“, wenn Menschen, die eigentlich sehr genau wissen, „dass sie der Versicherung Stuss erzählen“, ihr Gerät trotzdem einschicken. Doch der Humor kennt auch Grenzen. Mehrfach hat er in letzter Zeit Fernseher und Notebooks vor sich gehabt, bei denen seine gründlichen Nachforschungen ergeben haben, dass sie auf Gebrauchtmärkten billig als Defektgeräte gekauft und dann als Versicherungsschaden eingereicht wurden. Zwar mit der falschen Schilderung, aber in der Hoffnung, den zehn- oder zwanzigfachen Wert zu ergaunern. „Manchmal werden die Geräte im Internet sogar direkt als abgeschlossener Versicherungsfall beschrieben und Kunden gesucht, die Interesse daran haben, es bei einer anderen Versicherung als neuen Schaden einzureichen“, erzählt Ralph Schweda. „Da ist echt kriminelle Energie im Spiel“, sagt er.
30 Prozent machen einen Rückzieher, wenn ein Gutachter aktiv wird.
10 Prozent der Fälle gelten im Durchschnitt als Betrug.
Durch die Arbeit des Sachverständigenbüros werden die Kosten der Versicherungen jedes Jahr im zweistelligen Millionenbereich reduziert. Und das nicht in erster Linie durch die Aufdeckung von Betrugsfällen. So ermittelt Ralph Schweda bei Haftpflichtschäden den Zeitwert der Geräte - wobei er sich an den Gebrauchtmarkt-Preisen orientiert. Der Zeitwert liegt in der Regel niedriger als die Forderung des Geschädigten. Er bietet zudem an, bei der Wiederbeschaffung des Gerätes zu genau diesem Preis behilflich zu sein. Und wenn möglich und gewünscht wickelt er die Reparatur des Gerätes ab. Ein Service, der sich für die Versicherungen lohnt. Liegen die Kosten für eine Reparatur doch meist niedriger als die für die Wiederbeschaffung. „Im besten Fall“, so sagt Ralph Schweda, „zahlt die Versicherung wenig, der Anspruchsteller bekommt sein Gerät repariert zurück und freut sich über den Service seiner Versicherung.“
Der Sachverständige betont, neutral zu arbeiten - nicht auf Seiten der Versicherungen, nicht auf Seiten des Anspruchstellers. „Ich versuche, den besten Weg für beide zu finden.“ Was nicht immer allen gefällt. Manchmal muss er sich für seine Gutachten heftig beschimpfen lassen. Auch Prügel wurden ihm schon angedroht. „Der Ton ist in den letzten Jahren rauer geworden“, sagt er.
Aber nicht deshalb taucht Ralph Schweda von Zeit zu Zeit ab. Nein, auch das dient der Wahrheitsfindung. Als eine Versicherung einem Kunden nicht glauben wollte, dass sein 1 500 Euro teures Modellboot auf einem Teich mit einem anderen zusammengestoßen und dann untergegangen ist, ging der Hobbytaucher der Sache im wahrsten Sinne des Wortes auf den Grund. „Das Schlimme war, es handelte sich um einen Ententeich“, erzählt er. Also musste er in der Entengrütze rumschwimmen. Aber der Einsatz hat sich gelohnt. „Die Reste des Bootes wurden gefunden und der Geschädigte kam zu seinem Recht.“ (mz)
