Ernährung Ernährung: Unterschätzte Erbsen

Aachen/Hamburg/dpa. - Nicht nur bei Aschenputtel und empfindsamen Prinzessinnen sind Hülsenfrüchte wenig angesehen. Auch in deutschen Küchen fristen Erbsen, Linsen und Co. eher ein Schattendasein. Meist als dicke Suppen mit der nötigen Portion Speck und Knackwurst zubereitet, gelten die eigentlich fettarmen Powerfrüchte zu Unrecht als Dickmacher. Mediterran verfeinert, erlebt das Jahrtausende alte Gemüse in der gehobenen Gastronomie jedoch eine Renaissance. Ernährungsexperten empfehlen, die geballte Kraft der kleinen Nährstoffbomben mehrmals die Woche zu sich zu nehmen.
«Hülsenfrüchte sind eines der besten Lebensmittel, das wir haben», sagt Sven-David Müller von der Gesellschaft für Ernährungsmedizin und Diätetik in Aachen. Linsen oder Erbsen seien nicht zu unterschätzen, denn die ausgereiften und getrockneten Samen der Leguminosen - so der botanische Name der Pflanzenfamilie - besitzen eine extrem hohe Nährstoffdichte. Pro Kalorie verfügen sie Müller zufolge über ein Vielfaches an Vitaminen, Kohlenhydraten, Mineralstoffen, sekundären Pflanzenstoffen, hochwertigem pflanzlichem Eiweiß und Ballaststoffen.
Diese positiven Eigenschaften interessieren die Verbraucher jedoch nicht die Bohne: Noch vor 150 Jahren aß jeder Deutsche im Schnitt 20,7 Kilogramm jährlich - heute ist es weniger als ein Kilogramm. «Der Handel mit Hülsenfrüchten hat stark abgenommen», sagt Christof Buchholz vom Verein der Getreidehändler in Hamburg. «In Spanien, Portugal und Italien wird weitaus mehr konsumiert», sagt Michael Kemperdinck, Fachmann für Hülsenfrüchte bei der Import- und Exportfirma Schlüter & Maack in Hamburg. In den südeuropäischen Ländern würden lose Linsen, Bohnen oder Kichererbsen in jedem Supermarkt angeboten.
Entgegen der landläufigen Ansicht seien Hülsenfrüchte mit ihren geringen Kalorien wahre Schlankmacher, sagt Müller. Weil sie reich an pflanzlichen Proteinen sind, könnte durch zwei bis drei Hülsengerichte pro Woche ein Zuviel an tierischem Fett vermieden werden. Bohnen reinigen den Darm und senken den Cholesterinspiegel. «Da sie Blutzuckerspitzen vermeiden, sind sie auch gut für Diabetiker geeignet», so Müller. Nur wer an Gicht leidet, muss auf das stark purinhaltige Gemüse verzichten.
In ihren Herkunftsländern in Asien, Afrika und Südamerika zählen Erbsen, Bohnen und Linsen zu den wichtigsten Nahrungsmitteln. Besonders die vegetarische Küche Indiens kennt viele Kombinationen mit Hülsenfrüchten und Reis. In Verbindung mit Mais, Reis oder Getreide wird das Defizit der Leguminosen an bestimmten Eiweiß-Bausteinen, so genannten essenziellen Aminosäuren, ausgeglichen. So kommt eine vollwertige Mahlzeit auf den Tisch, die mit ihrem Nährwert jedem Steak überlegen ist.
Hülsenfrüchte gehören zu den ältesten Kulturpflanzen. Archäologischen Funden zufolge wurden Bohnen bereits vor mehr als 11 000 Jahren in Südostasien kultiviert. Linsen werden in Ägypten seit mindestens 10 000 Jahren angebaut, und im Alten Testament verkaufte Esau sein Erstgeburtsrecht für ein Linsengericht. Erst im 15. und 16. Jahrhundert fanden Hülsenfrüchte dann auch in Europa als Nahrungsmittel größere Verbreitung.
Inzwischen ist die Zahl der unterschiedlichen Leguminosen-Arten mit ihren vielen Sorten beinahe unüberschaubar. «In Asien gibt es Bohnen, die bei uns niemand kennt», sagt Michael Kemperdinck. In Deutschland sind vorwiegend Gartenerbsen, grüne Linsen, weiße und dicke Bohnen gefragt. Kichererbsen würden hauptsächlich von in Deutschland lebenden Türken gekauft. Kidneybohnen kämen manchmal als Zutat für «Chili con carne» in den Topf, so der Experte. Dabei ist die Auswahl auf dem Markt mit Wachtel-, Feuer- und Borlottibohnen sowie Beluga-, Champagner- und Puy-Linsen viel größer.
Mit der Vielzahl der getrockneten Samen lassen sich wahre Gourmetgerichte zubereiten. So könnten in Geflügelbrühe gegarte Kichererbsen mit etwas Olivenöl, schwarzen Oliven und gekochten Muscheln ein feines Wintergericht sein, sagt der Sternekoch Kolja Kleeberg vom Restaurant «Vau» in Berlin, der auf die an der Jahreszeit orientierte «Kalenderküche» setzt. Empfehlenswert sind laut Kleeberg in der kalten Jahreszeit auch französische Puy-Linsen aus der Auvergne mit Rahm, Zitronen- und Orangenschale, Kapern und Sardellen.
Bei der Zubereitung eilt Hülsenfrüchten zu Unrecht der Ruf voraus, besonders viel Arbeit zu machen. Dabei müssen Linsen, Erbsen, Mung- und Adzukibohnen keinesfalls über Nacht eingeweicht werden. Bei eingeweichten Sorten empfiehlt Kolja Kleeberg, sie anschließend nicht im Einweich-, sondern in frischem Wasser zu garen. Damit könne, wie auch mit langsamem Köcheln, die blähende Wirkung gemildert werden. Salz und säurehaltige Zutaten wie Essig oder Tomaten sollten Kleeberg zufolge erst am Ende der Garzeit zugegeben werden. Sonst werde das Gemüse nicht gleichmäßig weich, und das Kochen dauere länger.