Ernährung Ernährung: «Milch macht müde Männer munter»

Bonn/dpa. - «Milch macht müde Männer munter» - selten wurde die Sprachkraft des Stabreims geballter vorgeführt als bei diesem klassischen Werbespruch. In ihrer aktuellen Milch-Kampagne lässt die Centrale Marketing-Gesellschaft der deutschen Agrarwirtschaft (CMA) in Bonn statt müder Männer kickende Knaben in Fernsehspots auftreten. Auch der Slogan präsentiert sich heute eine Nummer kleiner: «Die Milch macht's».
Macht Milch also nicht mehr munter? Tatsächlich wird diese Wirkung des Nahrungsmittels inzwischen von manchen in Zweifel gezogen. Die Internetseite www.milch-den-kuehen.de schreibt der Milch gar die Verantwortung für verschiedenste Gebrechen der zivilisierten Menschheit zu: Übergewicht, Krebs, Diabetes, Blähungen, Osteoporose, Verschleimung, Pickel. Ist Milch nun das älteste Energy-Getränk der Welt, wie die Agrarwirtschaft behauptet, oder eine Gefahr für die Gesundheit?
Bei der Deutschen Gesellschaft für Ernährung (DGE) in Bonn werden die neuesten Forschungsergebnisse zum Thema Milch aufmerksam verfolgt. Bisher sieht die Institution keine Veranlassung, von ihrer Wertschätzung des Naturprodukts abzurücken. «Es gibt Studien, die auf ein erhöhtes Krebsrisiko hindeuten. Dafür belegen andere eine vorbeugende Wirkung», sagt DGE-Sprecherin Antje Gahl. Uneinheitlich seien auch die Befunde zu Diabetes, während sich die Waage bei Osteoporose, dem Knochenschwund, deutlich zu Gunsten der Milch neige.
Noch weniger Unterstützung finden die Milchgegner bei der Stiftung Warentest in Berlin. Dort hält man die These, wonach das Milchtrinken Säuglingen vorbehalten sein sollte, für «gefährlichen Unfug», wie es in einem Bericht der Zeitschrift «test» heißt (Heft 1/2004). «Da ist viel Ideologie mit im Spiel», sagt Warentester Jochen Wettach.
Den unbewiesenen Gefahren des Milchkonsums steht eine Reihe realer Vorzüge gegenüber: So gilt Milch als wichtigste Quelle von Kalzium und enthält daneben einen ganzen Cocktail an anderen Mineralstoffen und Vitaminen. Der Milchzucker stimuliert darüber hinaus die Verdauung. Wer darauf allerdings mit Blähungen und chronischem Durchfall reagiert, also unter einer so genannten Laktoseintoleranz leidet, kann neuerdings auf eine Palette laktosefreier Milchprodukte zurückgreifen.
Nach Empfehlung der DGE sollte man täglich 250 Milliliter Milch oder Joghurt sowie 60 Gramm Käse zu sich nehmen, wobei diese Werte keine Obergrenze darstellen. «Wer mehr verzehren will, sollte aber zu fettarmen Varianten greifen», rät Antje Gahl.
Der Marktanteil fettarmer Milch steigt ständig. Er liegt derzeit nach Angaben des Milchindustrie-Verbandes bei 40 Prozent. Zuletzt konnte die Branche nach einer Flaute in den neunziger Jahren wieder einen Anstieg des Milchkonsums verzeichnen. Der Pro-Kopf-Verbrauch betrug im vergangenen Jahr rund 66 Kilogramm. Nur noch gut ein Drittel der verkauften Milch kommt frisch aus dem Kühlregal. «Das hat mit der wachsenden Anzahl von Single-Haushalten zu tun», sagt Michael Brandl, Geschäftsführer des Milchindustrie-Verbandes in Bonn.
Der Trend zu bequemen, haltbaren Lebensmitteln hat zu einer Produktinnovation geführt: zur hocherhitzten, längerfrischen Milch. Sie stellt einen Kompromiss zwischen der pasteurisierten Frischmilch und der ultrahocherhitzten H-Milch dar und hält sich fast drei Wochen lang. Die Stiftung Warentest begrüßte den Neuling bei einer Untersuchung mit überwiegend guten und sehr guten Noten. «Für Nicht-Vieltrinker ist das eine Alternative», so Warentester Wettach. «Der typische Kochgeschmack der H-Milch ist kaum noch wahrzunehmen.»
Gute Testergebnisse für Trinkmilch sind nicht die Ausnahme, sondern die Regel. Ob Milch nun munter macht oder nicht - Skandal macht sie nicht. So kam die in Frankfurt erscheinende Zeitschrift «Öko-Test» bei der Untersuchung von 24 Vollmilchsorten 23 Mal zu dem Testurteil «sehr gut» (Heft 9/2001). Weder Schimmelpilze noch Keime ließen sich nachweisen. Bei der Geschmacksprüfung gab es nur einen Ausrutscher, der auf weißes Flaschenglas zurückzuführen war. Milch ist lichtempfindlich, und sie nimmt auch leicht den Geschmack anderer Lebensmittel an. Viele Milchtüten tragen deshalb neuerdings Plastikverschlüsse.
Probleme mit Bakterien kann es allerdings bei Milch frisch vom Bauernhof geben. Die Bundesanstalt für Milchforschung in Kiel rät deshalb, sie vor dem Verzehr abzukochen.
Die allgemein hohe Milchqualität birgt aber auch Probleme: für Hersteller, weil sie sich kaum von der Konkurrenz abheben können, und für Verbraucher, weil sie nicht wissen, ob sich Mehrausgaben insbesondere für Bio-Milch lohnen. Die Bundesanstalt für Milchforschung konnte bei einem Vergleich kaum Unterschiede zwischen konventionell und ökologisch erzeugter Milch feststellen. Geschmackliche Differenzen waren nicht auf das Futter, sondern auf einen abweichenden Fettgehalt zurückzuführen.
Die Bio-Produzenten sehen das verständlicherweise anders. «Die bisherigen Testverfahren werden den Vorzügen von Bio-Milch nicht gerecht», sagt Ralf Alsfeld vom Verband Bioland in Mainz. Kühe von Bioland werden ausschließlich mit Gras, Heu, Getreide, Hülsenfrüchten und Kartoffeln aus ökologischem Anbau gefüttert. Das Gras sei dank des Verzichts auf Pestizide schmackhafter und enthalte mehr Kräuter, so Bioland. Entsprechend besser schmecke die Milch. Allerdings ist auch der Futterertrag geringer.
Zudem geben Bio-Kühe 15 bis 20 Prozent weniger Milch als ihre auf Hochleistung gezüchteten Artgenossen. Deshalb kostet sie auch im Laden mehr: nach Schätzung von Bioland im Schnitt 20 bis 30 Prozent. In einem Punkt sind sich indessen alle Milchproduzenten einig: Milch sei viel zu billig für ein Lebensmittel mit diesen Qualitäten.