Depressionen Depressionen: Warum schaffe ich es nicht?

Halle (Saale) - Warum? Warum gerade ich? Diese Frage stellt sich Claudia Hoffmann (Name geändert) immer und immer wieder, seit sie sich in psychiatrischer Behandlung befindet.
Die 40-Jährige, die unter einer Depression leidet, erzählt, dass sie ein schönes Zuhause hat, einen liebevollen Mann, zwei tolle Kinder. Und einen Beruf im sozialen Bereich, der sie ausfüllt.
Sicher sei es stressig gewesen, das alles unter einen Hut zu bringen. „Bis man abends sitzt, ist es 21 Uhr. Und dann wartet noch die Wäsche“, sagt sie. „Aber andere schaffen das doch auch. Warum ich nicht?“
Anzeichen einer Depression: Erschöpfung, Panikattacken und Appetitlosigkeit
Claudia Hoffmann erleidet im Frühjahr dieses Jahres einen Zusammenbruch. Sie wird in eine Klinik eingeliefert. Körperliche Erkrankungen können rasch ausgeschlossen werden. Doch es geht ihr nicht besser. Arbeit, Haushalt, Familie - alles wird ihr zu viel. „Ich habe es kaum geschafft, mein Kind in die Kita zu bringen“, sagt die junge Frau.
Sie verliert den Appetit. Schwindel und Übelkeit quälen sie. Zudem hat sie Angst, an den Ort zurückzukehren, an dem sie zusammengeklappt ist. Auch beim Einkauf bekommt sie Panikattacken. „Das Herz rast, die Hände werden eiskalt, der Kopf kribbelt“, schildert sie ihre Empfindungen.
Die Frau ist ständig erschöpft und am Ende gar zu schwach, die Treppe im Haus hochzusteigen.
Als die Ärzte von einer psychischen Erkrankung sprechen, ist Claudia Hoffmann zuerst geschockt. Doch sie hofft, dass sie sich zu Hause rasch erholen kann.
Ein Irrtum. Die zunächst verordneten Medikamente verträgt sie nicht, eine Besserung ist nicht abzusehen.
Depression: Negativ-Spirale schlechter Gedanken
Gegen Überlegungen, sich stationär behandeln zu lassen, wehrt die Mutter sich anfangs. „Ich wollte für meine Kinder da sein“, erklärt sie. „Doch zu Hause habe ich mich nur im Kreis gedreht.“ Immer wieder stellt sie sich die Frage: „Warum falle ich jetzt aus?“
Sie fängt an, sich mit anderen zu vergleichen. Mit der Freundin, die ein noch größeres Pensum zu bewältigen hat, mit der Nachbarin, die nicht nur zwei, sondern drei Kinder großzieht. Und sie fühlt sich schlecht, weil sie sich zu nichts aufraffen kann. Schließlich geht sie doch in die Klinik.
„Ich hatte Schwierigkeiten zu akzeptieren, an einer mittelschweren Depression erkrankt zu sein“, sagt Claudia Hoffmann rückblickend.
Das sei ein schlimmer Zustand, gegen den man sich nicht wehren könne. „Der Betroffene hat wenig Einfluss darauf, er ist machtlos.“ Viele Menschen verstünden das nicht. „Anders als bei einem Beinbruch wissen sie nicht, was da bei dem Betroffenen abgeht.“
Zu schaffen macht der jungen Frau auch, dass ihre Familie das alles so miterleben musste. „Es war schlimm zu sehen, wie meine Eltern darunter gelitten haben, dass ihr Kind so am Boden liegt“, erzählt sie.
Depression: Psyche ist Ursache für körperliche Leiden
„Als es mir schlecht ging, da haben sie mich alle ganz toll unterstützt“, sagt sie. Aber keiner ihrer Angehörigen habe auf die Psyche als Ursache getippt. „Und ich denke auch, sie sind jetzt etwas hilflos. Sie setzen große Erwartungen in die stationäre Therapie.“
In der Psychiatrie durchlebt Claudia Hoffmann ein Wechselbad der Gefühle. „Manchmal denke ich, ich bin hier falsch. Wie soll ich zwischen all den Kranken gesund werden?“
Die Schicksale ihrer Mit-Patienten gehen ihr nahe. Auf der anderen Seite, so sagt sie, habe sie hier schon gelacht, das Gefühl gehabt, ich bin wieder die Alte. Sie möchte dieses Gefühl am liebsten festtackern. Doch dann kommen wie aus heiterem Himmel wieder die trüben Gedanken.
Hilfe zur Selbsthilfe bei Depression
In der Klinik, so sagt Claudia Hoffmann, erhalte sie das Handwerkszeug, um mit der Krankheit fertig zu werden. „Wird es mir aber gelingen, das umzusetzen?“ Sie ist überzeugt: „Ich ganz allein muss das hinkriegen.“
Die junge Frau denkt darüber nach, wie ihr Leben künftig aussehen könnte. Ihr ist klar, dass sie da etwas ändern muss. Denn sie weiß heute auch, dass es lange vor dem Zusammenbruch Signale einer Überforderung gab. Rückenschmerzen zum Beispiel. Häufige Erkältungen. Doch das wurde damals anders gedeutet. Jetzt nimmt sie sich vor, mehr Sport zu treiben.
Dauer einer Depression kann keiner voraussagen: Geduld ist gefordert
Sportkleidung hat sie schon gekauft. Und eine Tischtennisplatte soll angeschafft werden. Auch ihre Ernährung will sie ändern. „Ich suche nach Alternativen zu Medikamenten“, sagt die Patientin. „Ausschließlich Tabletten einzunehmen ist nicht die Lösung.“
Dennoch fällt es Claudia Hoffmann noch schwer, die Krise als Chance zu sehen. „Es kann keiner sagen, wann es wieder besser wird“, betont sie. „Und was ist danach? Was ist bei der nächsten Überforderung?“ Auch darauf soll sie im Rahmen der stationären Behandlung vorbereitet werden.
Solche Fragen beschäftigen auch Helga Beier (Name geändert), eine Mitpatientin von Claudia Hoffmann. Die fast 67-Jährige hat stets abgewunken, wenn sie jemand kurz vor Rentenbeginn fragte: „Was willst Du denn zu Hause?“
Denen habe sie geantwortet: „Es gibt ein Leben nach der Arbeit.“ Und dennoch fällt Helga Beier, als das Rentnerleben wirklich beginnt, in das berühmte tiefe Loch. Anfangs renoviert sie noch die gesamte Wohnung. Danach ist die Luft raus. Sie rutscht in eine tiefe Depression.
Alltägliche Aufgaben kosten viel Kraft bei einer Depression
„Ich hatte keine Kraft mehr irgendetwas in Angriff zu nehmen“, erzählt die Rentnerin. Eigentlich will sie neue Möbel und ein neues Auto kaufen. Doch sie kann sich dazu nicht aufraffen.
Einkaufen, Bettenmachen, Essen kochen - alles was sie früher so gut wie nebenbei erledigt hat, das türmt sich nun wie ein Berg vor ihr auf. „Es war eine Anstrengung, einen Termin beim Arzt oder beim Friseur zu vereinbaren“, sagt Helga Beier.
Egal worum es ging, ein ums andere Mal habe sie sich gesagt: Das kannst du auch morgen machen. „Der Wille ist da. Aber es fehlt der Antrieb“, beschreibt sie den Zustand.
Empathielosigkeit und Suizidgedanken
Zudem sei die Stimmung gegen Null gegangen. Sie empfindet auch keine Freude mehr. Und da sie auch nicht mehr isst, magert die Frau regelrecht ab. Es gibt Zeiten, da möchte sie am liebsten aus dem Leben scheiden.
Körperliche Erkrankungen schließen die Ärzte auch bei ihr aus. „Ich habe selber gemerkt, dass es die Psyche ist“, sagt Helga Beier, die sich, als es ihr besonders schlecht geht, selbst in die Klinik einweist.
Die Patientin, die sich in ihrem Berufsleben viel um andere Menschen gekümmert hat, sagt heute: „Ich war auf das Rentnerleben nicht vorbereitet.“ Rund um die Uhr sei sie für ihre Arbeit dagewesen. Urlaub habe sie sich nie gegönnt. Und in den ganzen Jahren sei sie kaum krank gewesen.
Depression-Prävention: Frühzeitig Freiräume für sich selbst schaffen
Und dann ist da auf einmal das Gefühl, nicht mehr gebraucht zu werden. Mit der vielen freien Zeit, die sie nun auf einmal hat, kann Helga Beier nichts anfangen. Sie bedauert, nicht stärker auf sich geachtet zu haben. Keine Freiräume für sich geschaffen zu haben.
Heute geht es der Rentnerin besser. „Ich kann zum Beispiel wieder lesen. Früher fehlte mir die Konzentration dazu“, erzählt sie. Nach wenigen Sätzen seien die Gedanken nur um eine Frage gekreist: Wie soll es weitergehen? Eine Frage, auf die sie während der Therapie Antworten finden will. (mz)