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Genuß Genuß: Ein Hauch von Woodstock

01.09.2001, 09:35

Leipzig/dpa. - «In Mode kam das Drehen bei den 68ern. In dieser Zeit entstand vorallem bei Jugendlichen und Studenten eine richtige Drehkultur», sagtManfred Dietl, Geschäftsleiter bei Pöschl Tabak in Geisenhausen beiLandshut. Auch heute greifen aber viele Raucher wie Andreas Mundt zuTabak und Zigarettenpapier. Zehn Prozent aller in Deutschlandkonsumierten Zigaretten sind selbst gedreht.

Nach Angaben des Verbands der Zigarettenpapier verarbeitendenIndustrie (VZI) in Bonn drehen rund 2,8 Millionen Raucher inDeutschland ihre Zigaretten selbst - Tendenz steigend. Die Gründesind zahlreich. «Wegen der steigenden Zigarettenpreise ist dasfinanzielle Argument in den vergangenen Jahren verstärkt in denVordergrund getreten», sagt Folker Kling, Chefredakteur der in Mainzerscheinenden «Tabakzeitung». «Man kann etwa die Hälfte sparen, wennman selbst dreht - obwohl man zum Tabak noch Papier kaufen muss»,weiß Manfred Dietl. Ein Beutel Markentabak kostet ungefähr genau soviel wie eine Schachtel Zigaretten. Dennoch könne man mit einemBeutel mindestens 40 bis 45 Zigaretten drehen - mehr als doppelt soviele wie eine Schachtel Zigaretten enthält, rechnet Dietl vor.

Auch für Andreas Mundt war der Preis lange ein Beweggrund, seineZigaretten selbst zu drehen. «Ein Argument, mit dem Drehenanzufangen, war natürlich auch, dass ich im Studium immer ziemlichpleite war», erinnert er sich. Doch wichtiger als das Geld sei derGenuss, der bei der Selbstgedrehten höher sei als beiFabrikzigaretten. Nur 30 Prozent aller Selbstdreher rollen nochzusätzlich einen Filter in ihre Zigarette ein - die Mehrheit will denpuren Tabakgeschmack. «Das spricht für das Geschmacksargument», soVanessa Nürnberg, Marketingleiterin beim RaucherbedarfherstellerGizeh in Bergneustadt bei Gummersbach.

«Eine Selbstgedrehte ist geschmacklich einfach etwas Anderes alseine Fabrikzigarette», sagt Folker Kling. Manfred Dietl weiß warum:«Die schwarzen oder halbschwarzen Drehtabake sind sehr dunkle,rauchige Tabake.» Diese werden über dem Torffeuer geröstet. InFabrikzigaretten ist hingegen der Anteil heller Tabake höher. «Dasmacht eindeutig einen Geschmacksunterschied aus. Das spürt man schon,wenn man einmal die Nase in einen Tabaksbeutel hält», erklärt Dietl.So seien Selbstgedrehte im Rauch intensiver, im Geschmack würziger.

Für Andreas Mundt bleiben Fabrikzigaretten daher auch in Zukunfttabu. «Mittlerweile kann ich mir fertige Zigaretten leisten. Aber esist doch wirklich Unsinn, für etwas mehr Geld auszugeben, das wenigergut schmeckt.»

Auch der Vielfalt der Geschmäcker kommt das Selbstdrehen entgegen.Im gut sortierten Fachhandel seien rund 100 verschiedene Sortenerhältlich, schätzt Folker Kling. Ob man nun aber mit schwarzem,halbschwarzem oder mit leichtem Tabak dreht: Vielfältig ist auch dieForm der Zigarette, die nach Belieben locker oder fest gestopftwerden kann. Trichter-, flaschen- oder kegelförmig - jedeselbstgedrehte Zigarette sieht anders aus.

Nicht zuletzt ist Drehen Ausdruck eines Lebensgefühls. «Drehersind freiheitlich gesinnt, wollen unabhängig sein und sich vonanderen abheben», hat Manfred Dietls Marketingabteilung festgestellt.Vor allem junge Menschen schätzen den Geschmack der Selbstgedrehten.Sie müssen mit ihrem Geld haushalten, wollten sich mit demSelbstdrehen aber auch von ihren Eltern abgrenzen, die seit Jahr undTag Marlboro und Co. rauchen, so der Tabakfachmann. Auch VanessaNürnberg hat festgestellt, dass nicht nur Alt-68er selbst drehen.