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Generationen Generationen: Gemeinsame Aktivitäten verbinden Jung und Alt

Von Bettina Levecke 14.11.2005, 11:03

Bonn/dpa. - Doch auf Harmonie zu hoffen, reicht nicht: Familienrituale müssen sich jedes Jahr aufs Neue bewähren. Herrscht nicht auf allen Seiten Enthusiasmus, kann die Freude auf ein inniges Zusammensein in herber Enttäuschung enden. «Typische Familienrituale können schnell zum unliebsamen Pflichtprogramm werden», sagt der Psychologe Uwe Kleinemas, Geschäftsführer am Zentrum für Alternskulturen in Bonn. Wenn die Großeltern sich wie das fünfte Rad am Wagen fühlen, und die Enkelkinder genervt auf die Uhr schauen, kann die Feiertagsstimmung auf Minustemperaturen sinken.

Besser ist es, vorher gemeinsam darüber zu sprechen. Welches Ritual könnte passen? Gibt es ein Ritual, das früher große Freude gemacht hat? Ist dieses Ritual noch zeitgemäß? Zu viele oder unpassende Rituale führten zu Übermüdung und schlechter Stimmung, sagt auch Günter Reich, Psychologe am Universitätsklinikum Göttingen.

Ältere Menschen, die sich an die Zeit mit ihren heranwachsenden Kindern erinnern, wissen, dass bewährte Familientraditionen zur hohlen Pflichtübung werden können: «Kinder im jungen Erwachsenenalter lösen sich von den Eltern ab und wollen von Ritualen nichts mehr wissen», sagt Margarethe Schindler, Familientherapeutin aus Tübingen.

Doch wenn diese Kinder erwachsen sind und selbst eine Familie gegründet haben, kann die Tradition wieder einen Sinn bekommen. Der Sonntagsausflug in altbekannte Regionen, die Erinnerung an Spiele aus Kindertagen - «in gemeinsamen Aktivitäten und Interessen kann neu entdeckt werden, was längst vergessen war», so Kleinemas.

Ritualisierte Zusammenkünfte mit der jüngeren Generation können Zusammenhalt stiften, wenn Ältere die Chance nutzen, die Welt der Jüngeren kennen zu lernen, sagt Psychologe Reich. Sie könnten zum Beispiel versuchen, beim Feiertagsspaziergang mehr über die Hobbys und Interessen der Jungen zu erfahren.

Auch Familientherapeutin Schindler rät älteren Menschen, Rücksicht auf die Bedürfnisse der jüngeren Generation zu nehmen: «Enkelkinder haben oft eine ganz eigene Vorstellung darüber, wie sie die gemeinsame Zeit mit den Großeltern verbringen möchten.» Diese gilt es immer wieder neu zu entdecken.

Die verbindende Kraft von Ritualen sollte aber nicht nur an Feiertagen genutzt werden: «Wenn man die Familie das ganze Jahr über nicht gesehen hat, fehlt die Nähe für innige und harmonische Familienrituale», sagt Psychologe Reich. «Den Enkel von der Schule abholen, ihn zu wichtigen Sportereignissen begleiten, den Einkaufsbummel mit einem Besuch bei der Bäckerei beenden - solche Rituale verbinden Alt und Jung.»

Oft sind es schon die kleinen Dinge im Leben, die Zusammenhalt stiften, sagt Familientherapeutin Schindler. «Ein spontaner Anruf, eine Postkarte zwischendurch - so wird deutlich: Wir denken aneinander.»

Um Enttäuschungen an Weihnachten zu vermeiden, sollten Großeltern bereits im Advent die Weihnachtsfeiertage mit Kindern und Enkelkindern planen, rät Psychologe Reich. Variationen und Veränderungen sind dabei ausdrücklich erwünscht: «Wer immer nur an alten Ritualen festhält, schränkt sich selbst ein.»

Das Prädikat «besonders wertvoll» erhält deshalb nicht automatisch die bewährte Weihnachtsgans am Heiligabend oder der blaue Karpfen in der Badewanne: «Wer glaubt, mit inszenierten Weihnachtsritualen Familienharmonie vortäuschen zu können, wird scheitern», mahnt Alternsforscher Kleinemas. Auch Psychologe Reich rät, offen für Veränderungen zu bleiben: «Wenn die Enkelkinder beim letzten Christbaumsingen vor Langeweile gegähnt haben, streichen Sie das aus ihrer Liste und spielen Sie lieber Mensch-ärgere-dich-nicht.»

Literatur: Schindler, Margarethe: Rituale für die Lebensmitte. Herder Verlag. ISBN: 3-451-26474-9; Barbier-Piepenbrock, Annedore u.a.: Rituale im Kreis des Lebens. Schwabenverlag. ISBN: 3-7966-1141-9; Nußbaum, Margret: Die schönsten Familien-Rituale. 111 Rituale durchs ganze Jahr. Christophorus-Verlag. ISBN: 3-419-53224-5; Martina Kaiser: Rituale - Quellen der Kraft. Knaur Verlag. ISBN: 3-426-87230-7