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Gehen lassen oder kämpfen? Gehen lassen oder kämpfen?: Wenn enge Freunde einem plötzlich fremd werden

Von Isabell Wohlfarth 21.12.2018, 09:00
Früher hat man sich blind verstanden – doch plötzlich scheint vieles so fremd. 
Früher hat man sich blind verstanden – doch plötzlich scheint vieles so fremd.  imago stock&people

Köln - Meine Freundin wusste einmal alles von mir, jedes Geheimnis, jede peinliche Geschichte, meine größten Sorgen und heimlichsten Ziele. Immer wenn es kritisch wurde, war sie da, hat mit mir Liebeskummer-Gespräche geführt, Versagensängste besprochen und Familienstreits analysiert. Sie hat sich mitgefreut, über jeden kleinen Erfolg, jeden persönlichen Durchbruch. Und sich tot gelacht über meine Eigenheiten und schrägen Ansichten.

Doch irgendwann war alles anders. Komisch. Fremd. Es fühlte sich so an, als gäbe es plötzlich eine unsichtbare Wand zwischen uns. Etwas hat sich geändert. Liegt es daran, dass unsere Leben sich rasant in andere Richtungen entwickelt haben? Und lohnt es sich wirklich noch zu kämpfen oder soll ich lieber Abschied nehmen? Ein Gespräch mit Psychotherapeut und Freundschaftsforscher Dr. Wolfgang Krüger.

Wenn ich das Gefühl habe, ein enger Freund wird mir langsam fremd – was kann ich tun?

Wolfgang Krüger: Zunächst muss man sich fragen, wie eng die Freundschaft ist. Zu echten Herzensfreunden hat man regelmäßig Kontakt und ahnt auch, was in dieser Freundschaft schiefgeht. Ob es nun daran liegt, dass die beste Freundin neu verliebt ist und kein Interesse mehr für einen hat. Oder dass es einen Konflikt gab, der nicht geklärt ist.

Weiß ich nicht, was los ist, ist das meistens schon ein Zeichen einer gewissen Entfremdung. Zunächst sollte man selbst in sich hinein hören und überlegen, was der Grund dafür sein könnte. Wenn man es nicht herausfindet, dann hilft nur eins: Den Freund/die Freundin zu fragen, was los ist. Ihm/ihr zu sagen, dass einem die Freundschaft etwas bedeutet. Und direkt zu fragen: Was denkst du darüber?

Manchmal schlagen Freunde mit den Jahren unterschiedliche Lebenswege ein. Der eine hat Kinder, der andere macht Karriere. Der eine wird materialistisch, der andere lebt weiterhin bescheiden. Lohnt es sich, um jede Freundschaft zu kämpfen?

Krüger: Das kommt darauf an. Man muss hier grundsätzlich unterscheiden zwischen Durchschnittsfreundschaften und Herzensfreundschaften. Bei einer Durchschnittsfreundschaft kann eine Veränderung der Lebensumstände sehr schnell dazu führen, dass sie kippt. Innerhalb von sieben Jahren scheitern 50 Prozent der Freundschaften. Gerade weil man wenig Zeit hat, fallen die langweiligsten und schwierigsten Freundschaften hinten herunter. Da ist das Leben relativ gnadenlos.

Zwei Drittel aller Frauen, aber nur ein Drittel aller Männer haben eine Herzensfreundschaft. Ein Mensch kann höchstens drei Herzensfreundschaften gleichzeitig pflegen. Dazu kommen etwa zwölf Durchschnittsfreundschaften.

Es gibt Kerneigenschaften, die dazu führen, dass sich eine Freundschaft verläuft. Wenn Freunde einen gekränkt haben, sie auf einmal langweilig scheinen, andauernd schlechte Stimmung verbreiten oder sich nie melden. Da muss man sich überlegen, ob man sich überhaupt noch um den Freund bemühen will. Es kann auch sein, dass mein Bauchgefühl sagt: Ich habe keine Lust mehr.

Aber ein Herzensfreund fällt nicht einfach so weg…

Krüger: Bei den Herzensfreundschaften kämpfen wir. Eine solche Beziehung gibt man nicht einfach auf. Ein sehr guter Freund hat unser Leben lange begleitet. Er oder sie weiß alles, hat alle Liebesgeschichten mitbekommen, kennt alle Fantasien und jeden Größenwahnsinn. Ob eine Freundschaft wirklich eine Herzensfreundschaft ist, könnte man mit zwei Testfragen ermitteln: Wem könnte ich erzählen, wie schwierig die Mutterbeziehung ist? Und dass es in der Ehe im Bett nicht klappt?

Sind solche Herzensfreundschaften wie Familie?

Krüger: Die Herzensfreundschaften sind vom Gefühl her wie Familie. Den besten Freund empfinde ich fast wie einen Bruder. Das zeigt, wie stabil und verlässlich diese Beziehung ist. Viele sagen sogar, Freunde sind die bessere Familie.

Bei Themen wie der Pflege im Alter wird es allerdings schwierig. Da zeigt sich, dass Freundschaften doch nicht Familie sind. Sie haben nicht den gleichen Grad an Aufopferung, den wir in der Familie zumindest bisher gekannt haben. Ich habe eine Umfrage gemacht, da kam heraus, dass die meisten Freunde zum Beispiel bereit sind, für den Freund einzukaufen und zu kochen. Nur etwa 20 Prozent wollten dagegen den Freund waschen oder ähnliches. Bei solchen Themen darf man auch die Herzensfreundschaften nicht überfordern.

Veränderung passiert überall. Wenn enge Freunde plötzlich andere Ansichten und Vorlieben haben, kommt es zu Enttäuschungen und Irritationen. Sollte man dann trotzdem festhalten?

Krüger: Man kann Freundschaften nicht immer halten. Natürlich sind auch Herzensfreunde nicht immer gleich. Aber in den meisten Fällen hat man die gleichen Wertvorstellungen. Das ist der Kern unserer Existenz. Dadurch bleibt in den Herzensfreundschaften immer etwas Bedeutendes erhalten.

Wenn ein Freund sich aber zum Beispiel zunehmend zurückzieht, und ich dagegen sehr aktiv bin, unser Tempo also enorm variiert, dann ist das schwierig. Das kann auch bei sehr engen Freundschaften passieren.

Muss ich manchmal also auch einen engen Freund gehen lassen?

Krüger: Das kann passieren. Die Frage ist natürlich, wie man sich verabschiedet. Es gibt zwei Möglichkeiten, eine Freundschaft zu beenden. Zum einen aktiv: Dass man etwa einen Brief schreibt und die Wahrheit sagt. Zum anderen passiv: Dass man sich einfach nicht mehr meldet und eine Freundschaft einschläft. Ich selbst habe die Erfahrung gemacht, dass man Menschen oft noch einmal begegnet. Wenn man sich dann im Streit getrennt hat, kann das peinlich werden. Verläuft sich eine Freundschaft einfach so, besteht immer die Chance, sich nach Jahren wieder anzunähern.

Wenn man einen engen Freund verloren hat, tut es auch danach noch weh. Was kann man tun, dass einem der Abschied leichter fällt?

Krüger: Das eine ist, neue Freunde zu finden. Man muss immer wieder den Mut haben, neue Freundschaften zu suchen. Das Schwierige an diesem Thema ist: Freunde finden ist wie die Suche nach einem Diamanten. Sie ist schlicht und ergreifend langwierig. Und die Ausbeute ist unendlich gering. Weil man ja jemanden sucht, der ein tiefes Verständnis für einen hat. Solche Beziehung gibt es selten.

Wie findet man einen guten Freund? Ist das ein bisschen Schicksal und ein bisschen Arbeit?

Krüger: Zunächst sollte man möglichst viele Leute kennen lernen. Und dann muss man den Mut haben, auf sie zuzugehen. Gerade wir Deutschen sind da sehr zurückhaltend. Viele haben Bedenken, sich aufzudrängen.
Das Entscheidende beim Suchen von Freundschaften ist, dass man ein gutes Selbstbewusstsein hat. Wenn man selbst das Gefühl hat, für andere ein Geschenk und eine Bereicherung zu sein, fällt es leichter, auf genügend Leute zuzugehen. Und dann ist die Wahrscheinlichkeit auch groß, dass eine Person dabei ist, die ein Herzensfreund werden könnte.

Wie beim Verlieben kann das dann aber auch schnell gehen, oder?

Krüger: Es gibt auch Freundschaft auf den ersten Blick. Man trifft jemanden und hat sofort das Gefühl einer großen Sympathie, fühlt sich zum anderen hingezogen. Das muss man nur aufgreifen und dem Schicksal eine Chance geben.

Gibt es ein Rezept, wie eine Freundschaft ein Leben lang hält?

Krüger: Der Kern einer Freundschaft ist die Freundschaft mit sich selbst. Man sollte sich selbst Fragen stellen wie: Wer bin ich? Was sind meine Lebenshoffnungen? Und die Erforschung dieser Fragen dann in die Freundschaften mit einbringen. Wenn man selbst vieles verdrängt und dem Freund auch nichts erzählt, wird die Beziehung oberflächlich.

Freundschaften leben vom echten Interesse aneinander. Ich frage meine Freunde manchmal: Seid ihr glücklich? Was waren eure Kindheitsträume? An der Stelle wird Freundschaft spannend. Wir könnten bei Freundschaften viel fantasievoller werden. Wir sollten weniger gehemmt sein und viel offensiver Fragen stellen.

Haben Männer eigentlich andere Freundschaften als Frauen?

Krüger: Über zwei Drittel aller Frauen haben mindestens eine gute Freundin. Bei den Männern sind es noch nicht einmal ein Drittel. Aller Emanzipation zum Trotz sind wir Männer darauf getaktet, stark zu sein. In Männerfreundschaften wird eher angegeben, was man Tolles macht und ungern erzählt, was nicht gut läuft. Das müsste sich unbedingt ändern. Männer sollten anders in der Lage sein, über sich und ihre Schwächen zu reden. Und das auch gegenüber männlichen Freunden ausdrücken können.

Männer sind gerne mit Frauen befreundet, weil es da keine Rivalitätsproblematik gibt. Die meisten Männer sagen, dass ihre Frau die einzige Vertraute ist, die alles von ihnen erfährt. Deshalb ist die Selbstmordrate bei Männern, wenn ihre Partnerinnen sich trennen, sieben Mal so hoch wie die bei Frauen.

Buchtipp:
Wolfgang Krüger, Freundschaft: Beginnen, verbessern, gestalten, 2016