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Gedächtnis: Wenn Herr Dings keinen Namen mehr hat

Von Carina Frey 03.12.2008, 08:25

Bielefeld/dpa. - «Gestern habe ich beim Bäcker den Dings getroffen, du weißt schon, den wir auf dem Empfang kennengelernt haben.» Plötzlich ist mitten in der Erzählung ein Name weg, oder man steht im Keller und weiß nicht mehr, was man holen wollte.

Hat diese Vergesslichkeit etwas mit dem Alter zu tun? Die Buchautorin Cathryn Jakobson Ramin legt das nahe: Im mittleren Alter verschlechtere sich das Erinnerungsvermögen, schreibt sie. Viele Menschen finden das beunruhigend. Grund zur Sorge besteht in den meisten Fällen aber nicht, sagen Experten.

Mit Anfang 40 hat das Gedächtnis den Leistungsgipfel bereits hinter sich. Danach geht es bergab, schreibt Ramin. Sie erzählt von ihren eigenen Gedächtnislücken - dem plötzlich entfallenen Namen des Elektrikers zum Beispiel. Solche Wortfindungsprobleme seien im mittleren Alter besonders häufig. Studien hätten ergeben, dass ältere Erwachsene im Vergleich zu jüngeren häufiger statt der korrekten Bezeichnung Stellvertreterwörter wie «es», «Dings» oder «das Teil» verwenden.

Aber wird der Mensch mit zunehmendem Alter wirklich vergesslich? So pauschal ist das falsch, sagen Gedächtnisforscher. Tatsächlich baue das autobiografische Gedächtnis ungefähr ab dem 50. Lebensjahr ab, erläutert Hans Markowitsch. Gleiches gelte für Teile des Faktengedächtnisses. Insgesamt vergesse der Mensch aber sehr wenig. «Wir können nur nicht zu jedem Zeitpunkt alles abrufen», sagt der Professor für Physiologische Psychologie der Universität Bielefeld. Auch die Psychologie-Professorin Monika Knopf von der Goethe-Universität in Frankfurt beruhigt: Im Großen und Ganzen funktioniere das Gedächtnis auch im höheren Alter gut.

Menschen können sich gut an Sachen erinnern, wenn diese in eine Situation eingebunden sind, erklärt Knopf. Den Namen des Bäckers im Heimatdorf vergisst man kaum. «Da hat man gute Erinnerungsstützen», sagt die Psychologin. Lernt man dagegen jemanden auf einem Empfang kennen, wo viele Personen vorgestellt werden, erinnert man sich später schwer an den Namen. Mit dem Alter habe das wenig zu tun, sagt Prof. Franz Schermer, Psychologe an der Fachhochschule Würzburg.

Die schnelllebige Zeit, in der viele Informationen gleichzeitig auf die Menschen einprasseln, ist nicht optimal für das Gedächtnis. «Im höheren Alter wird die Informationsverarbeitung langsamer», erklärt Knopf. Älteren fällt es schwerer, Störfaktoren auszublenden und sich auf Wichtiges zu konzentrieren.

Doch warum fällt einem nicht mehr ein, welchen Film man vor drei Wochen gesehen hat? «Das sind Zugriffsprobleme», sagt Schermer. «Die Kapazität des Langzeitgedächtnisses ist fast unbegrenzt. Man findet die Informationen nur nicht mehr so leicht.» Er vergleicht das Gedächtnis mit einer Bibliothek: «Wenn wenig drin ist, findet man einzelne Bücher leichter.» Im höheren Alter sei die Bibliothek aber gut gefüllt, und es fällt schwerer, Ordnung reinzubringen.

Wird Herr Meier gelegentlich zum «Dingsda», raten die Experten zu Gelassenheit. Stress, Leistungsdruck und Angst sind für das Gedächtnis Gift. «Wenn ich ständig an meine Gedächtnisprobleme denke, blockiere ich mich. Das verstärkt die Probleme nur», warnt Schermer.

Literatur: Cathryn Jakobson Ramin: Der Dingsda aus Dingenskirchen, Kreuz, ISBN: 978-3-783-13110-9, 19,95 Euro; Daniel Schacter: Aussetzer: Wie wir vergessen und uns erinnern, Lübbe, ISBN: 978-3-404-60578-1, 8,95 Euro; Franz Schermer: Grundriss der Psychologie: Lernen und Gedächtnis, Kohlhammer, ISBN: 978-3-170-19076-4, 17 Euro.

Manches behält das Gehirn ein Leben lang. Das gilt vor allem für das nicht-deklarative Gedächtnis, das dem Verhalten zugrunde liegt. Dieser Gedächtnisbereich verändert sich wenig. Vertraute Verhaltensweisen wie Radfahren oder Schwimmen laufen auch im hohen Alter noch automatisch und verlässlich ab. «Alterssensibel» ist dagegen das deklarative Gedächtnis, das Informationen speichert, auf die bewusst zugegriffen wird. Hier habe man im frühen Erwachsenenalter das Optimum erreicht, dann verschlechtere sich dieser Gedächtnisbereich langsam, erklärt die Psychologin Monika Knopf. «Es gibt aber keine plötzlichen Veränderungen mit 50, vielleicht registriert man sie dann nur stärker.»