Interne Verstöße melden Interne Verstöße melden: Was Whistleblower (nicht) dürfen

Beim Siemens-Konzern gibt es für Whistleblower eine eigene Hotline: „Tell us“ - zu Deutsch „Erzähl es uns“ - heißt sie und ist im Netz für jedermann einsehbar. Benutzer müssen im ersten Schritt angeben, was für eine Art von Verstoß sie dem Konzern melden wollen.
Zur Auswahl stehen acht Möglichkeiten, darunter Korruption, Diebstahl und Betrug. Im zweiten Schritt werden Nutzer aufgefordert, den Vorfall zu schildern und beteiligte Personen zu nennen. Sie werden gefragt, ob Führungskräfte in den Vorfall verwickelt sind und wie hoch sie den Gesamtschaden einschätzen. Ob der Whistleblower anonym bleibt oder nicht, kann er sich aussuchen.
Whistleblowing heißt auf Deutsch in etwa so viel wie verpfeifen. Gemeint ist, illegale Praktiken etwa in Unternehmen oder staatlichen Behörden aufzudecken. Von der Öffentlichkeit werden Whistleblower häufig als mutige Helden verehrt, von den Kollegen nicht selten als Denunzianten oder Nestbeschmutzer verunglimpft.
Ein Whistleblower-Gesetz gibt es nicht
Das derzeit wohl bekannteste Beispiel ist Edward Snowden, der die Abhörtaktiken der US-Geheimdienste der Welt bekanntmachte. Zwar ist der Fall Snowden schwer vergleichbar. Doch im Kleinen steht mancher Arbeitnehmer vor ähnlichen Fragen: Er erfährt von illegalen Machenschaften seines Arbeitgebers. Was nun?
„Für Arbeitnehmer ist in Deutschland in so einer Situation sehr schwer zu erkennen, was er darf und was er muss“, sagt Prof. Björn Gaul, Fachanwalt für Arbeitsrecht. Es gibt nur wenige gesetzliche Regelungen. Ein Whistleblower-Gesetz war einmal im Gespräch, ist aber nie verabschiedet worden. Die wesentlichen Grundsätze hat die Rechtsprechung entwickelt.
Zunächst einmal sollten Arbeitnehmer versuchen, Missstände intern anzusprechen, erklärt Prof. Gaul. Aus dem Arbeitsvertrag ergebe sich eine Pflicht zur Rücksichtnahme gegenüber dem Arbeitgeber. Wer etwa sieht, dass irgendwo auf dem Gelände Öl ausläuft oder ein Einkäufer teure Geschenke annimmt, geht am besten erst einmal zu seinem Vorgesetzten.
Ist der Vorgesetzte selbst in die Machenschaften verstrickt, ist das jedoch keine Option. Das gilt etwa dann, wenn er selbst teure Geschenke annimmt oder aus finanziellen Erwägungen heraus Umweltrichtlinien missachtet. Dann wenden sich Mitarbeiter am besten an den Vorgesetzten ihres Chefs, an die Geschäftsführung, oder sie gehen zum Betriebsrat, empfiehlt Prof. Gaul. Eine Strafanzeige bei der Polizei zu stellen oder sich an die Öffentlichkeit zu wenden, ist im Zweifel erst die letzte Option.
Als Erstes muss der Hinweisgeber den Missstand oder das Fehlverhalten wahrnehmen und aufdecken. Hierzu genügt es schon, wenn er seine Mitwirkung trotz arbeitsvertraglicher Verpflichtung verweigert, wodurch der Sachverhalt öffentlich wird.
Danach muss der Informant „Alarm schlagen”. Er sollte aber zunächst versuchen, das Problem innerhalb seiner Arbeitsstätte anzusprechen. Wird der Hinweisgeber jedoch ignoriert, kann er sich an externe Stellen wie die Medien, Gewerkschaften oder auch an Polizei oder Staatsanwaltschaft wenden. Selbst der begründete Verdacht eines Missstandes berechtigt zum Alarmschlagen. Moralische Verwerflichkeit allein (z. B. Sauforgie statt Firmenfeier) genügt hierfür jedoch nicht, da dies nur ein internes Problem darstellt.
Zu beachten ist, dass Whistleblowing aber nicht nur aus eigennützigen Gründen erfolgen sollte, sondern auch zum Schutz der allgemeinen, öffentlichen Belange – zum Beispiel die Einhaltung der Demokratie.
Der Hinweisgeber geht mit der Aufdeckung von Missständen große Risiken ein, die sowohl das berufliche Fortkommen als auch sein soziales Ansehen auf den Kopf stellen können.
Quelle: anwalt.de
Dennoch: Wer Grund zur Annahme hat, dass es in der Firma illegale Machenschaften gibt und glaubt, dass eine interne Meldung nichts bringt, darf direkt zu den Behörden gehen oder sogar die Medien einschalten, wenn die Angelegenheit von öffentlichem Interesse ist. Eine Kündigung aus diesem Grund ist nicht zulässig. Darauf weist Hans-Georg Meier hin, Fachanwalt für Arbeitsrecht aus Berlin. Er bezieht sich dabei auf ein Urteil des Europäischen Gerichtshofs für Menschenrechte von 2011 (Az.: EGMR, 21.07.2011, 28274/08).
Damals hatte eine Altenpflegerin geklagt, die ihren Job verlor, nachdem sie Missstände in einem Pflegeheim angezeigt hatte. In Deutschland hatte sie in der letzten Instanz verloren, dann aber vor dem EGMR in Straßburg Recht bekommen.
Dieses Urteil hat die Rechte von Arbeitnehmern gestärkt - und trotzdem ist die Situation für sie heikel: Beschuldigen sie jemanden zu Unrecht, müssen sie im schlimmsten Fall eine Abmahnung oder eine Kündigung hinnehmen. Außerdem können sie sich schadenersatzpflichtig machen, erklärt Prof. Gaul.
Whistleblower-Hotlines in USA weit verbreitet
Die weniger Mutigen halten deshalb im Zweifel nicht selten lieber den Mund, wenn sie von Missständen erfahren. Auch um das zu vermeiden, hat Siemens seine Whistleblower-Hotline eingerichtet. „Tell us“ gibt es seit 2007 und ist eine Reaktion auf die Korruptionsaffäre, die den Konzern 2006 erschütterte. Damals kam heraus, dass Siemens-Mitarbeiter in großem Umfang über Jahre bestochen und betrogen hatten. Während Whistleblower-Hotlines in Amerika weit verbreitet sind, sind sie es in Deutschland bislang weniger.
„Etwa 20 bis 30 Prozent der bei der Hotline gemeldeten Hinweise betreffen tatsächlich Compliance-Verstöße“, sagt Klaus Moosmayer, verantwortlich für das Thema Compliance beim Siemens-Konzern. Das betrifft Verstöße gegen Gesetze oder Ethik-Kodizes - wie ein Hinweis auf Untreue oder Betrug. Der Rest seien personalbezogene Themen. Mitarbeiter beschwerten sich zum Beispiel über die Einrichtung ihres Arbeitsplatzes oder das Verhalten ihres Vorgesetzten. Von den Hinweisen auf tatsächliche Compliance-Verstöße sei an circa 10 bis 20 Prozent etwas dran.
„Verpfeifen“ ist in der Regel noch verpönt
Obwohl eine anonyme Meldung möglich ist, habe es bislang nur ganz wenige Fälle gegeben, in denen jemand böswillig zu Unrecht beschuldigt worden ist. Und wenn, sei das immer herausgekommen, erklärt Moosmayer.
Doch unabhängig davon, ob es eine Hotline gibt: Viele Whistleblower stehen neben den rechtlichen Unsicherheiten noch vor einem anderen Problem. In der Bevölkerung sei das „Verpfeifen“ in der Regel verpönt, sagt Rechtsanwalt Meier. Solche Menschen würden als Nestbeschmutzer angesehen, mit denen viele nichts zu tun haben wollen. „Man liebt zwar den Verrat, aber nicht den Verräter.“ (dpa)
