Blütezeit Blütezeit: Die weiße Unbekannte
Bonn/dpa. - Deshalb stiehlt ihr diefrüher blühende Verwandte, die Osterglocke, die Schau. Dieses Jahrkönnte das anders aussehen: Ostern wird erst im April gefeiert unddamit in der Blütezeit der Dichternarzisse. Wer sie - unabhängig vomTermin des Osterfestes - nächstes Jahr im eigenen Garten haben will,muss sich im späten Sommer oder frühen Herbst ans Pflanzen machen.
Die Dichter, die Narcissus poeticus den Namen gegeben haben, sindkeine Geringeren als die Klassiker aus dem Alten Griechenland. Siesteht etwa im Mittelpunkt des Mythos vom Jüngling Narkissos, von demOvid erzählt: Narkissos verliebte sich in sein eigenes Angesicht, dassich in einer Quelle spiegelte. Beim Versuch, sich diesem zu nähern,stürzte er ins Wasser und ertrank. Doch die Götter meinten es gut mitihm und ließen ihn als Narzisse wieder auferstehen. Allerdings mussteer sich damit begnügen, nur im Frühjahr zu blühen und damit die Sonnezu sehen - und den Rest des Jahres in der Erde verbringen.
Während die alten Griechen die Schönheit und den betörenden Duftder Dichternarzisse mit überschwänglichen Worten beschrieben, haltensich heutige Spezialisten an eine knappe Buchstaben-Formel: «W-GYR»steht für Narcissus poeticus und ihre Nachkommen. Hinter dem «W» alsAbkürzung von «White» verbirgt sich das Porzellanweiß der Hauptkrone.Davor reckt sich die napfförmige Nebenkrone, die zierlicher ist alsdie Trompete der Osterglocke (Narcissus pseudonarcissus). In derMitte zeigt sie Grün («Green»), das in Gelb («Yellow») übergeht undvom einem oft leuchtend roten («Red») Saum eingefasst wird.
«Pheasant's Eye», Fasanenauge, wird die Dichternarzisse in Englandauch genannt - weil die kleine Nebenkone wie ein Auge wirkt. Immildfeuchten Klima der Insel fühlt sich die Pflanze besonders wohl,auch wenn sie eigentlich weiter südlich zuhause ist: Von den Pyrenäenbis nach Griechenland, in Niederösterreich, der Steiermark und denrumänischen Karpaten wächst sie wild. Versprengte Reste blühen auchim Südschwarzwald.
Im Mittelalter wurden Dichternarzissen als Heilpflanzen genutzt,zum Beispiel als Mittel gegen Gicht und zum Abführen. Das war nichtganz ungefährlich, denn Narcissus poeticus soll von allen Narzissendie meisten giftigen Inhaltstoffe besitzen, die zu Erbrechen undBenommenheit führen. Heute kommt es zu Vergiftungen durch Narzissenmeistens dann, wenn sie mit Küchenzwiebeln verwechselt werden. Dahergilt es, Narzissenzwiebeln besser nicht in der Küche aufzubewahren.
Damit sie im Frühjahr zuverlässig blühen, pflanzt man sie ohnehinam besten sofort nach dem Kauf. Beste Pflanzzeit sind August undSeptember. Auch alte Bestände werden im frühen Herbst aufgenommen undvereinzelt. Vor dem Pflanzen an einen möglichst sonnigen Standortwird gründlich gelockert. Schwere Böden werden mit Sand, leichte mitKompost vermischt. Narzissen mögen luftige, ausreichend feuchteBöden, die aber nicht nass sein dürfen.
Am häufigsten erhältlich ist 'Actaea', eine sehr alte Sorte, dieder wilden Dichternarzisse ähnelt. Im Garten ist sie unkompliziertund blühfreudig. Andere Sorten sind 'Lady Serena', die einen feinenroten Saum um das überwiegend gelbe Schälchen trägt, oder 'Felindre'.Sie hat eine leuchtend grüne Nebenkrone und einen breiten orangerotenSaum. Nach ihnen muss man allerdings suchen - und wird oft nur im«Narzissenland» England fündig werden.
Weniger kompliziert ist das Aufspüren von Kreuzungen zwischenDichternarzisse und anderen Narzissenarten. Dazu zählen die Tazetten(Narcissus tazetta). Sie haben bis zu zwölf Blüten an einem Stängelund sind im Gegensatz zu wilden Tazetten zuverlässig winterhart. Diewohl bekannteste Sorte ist 'Geranium' mit einem Nebenkrönchen instrahlendem Orange vor der weißen Hauptkrone. 'Scarlett Gem' hat einorangerotes Nebenkrönchen und eine gelbe Hauptkrone.
Von den einblütigen Sorten mit kleiner Krone besitzt 'Merlin' ameindeutigsten Dichternarzissen-Charakter. Ihr «Fasanenauge» sieht dem der «richtigen» Poeticus-Narzissen sehr ähnlich. Aber auch 'Aflame','Barret Browning' und 'Flower Record' können ihre verwandtschaftlicheBeziehung zur Dichternarzisse nicht leugnen.
Bei allen Narzissen gilt: Damit ihre Blühfreude mit den Jahrennicht nachlässt, muss das Laub nach der Blüte unbedingt Zeit haben, um gelb und welk zu werden. Nur dann sammeln sie die nötige Energiefür die nächste Blüte. Düngung mit Horn- und Knochenmehl oder miteinem Volldünger tun ihr Übriges, damit sie auch im nächsten Jahr inmakellosem Weiß mit grün-gelb-rotem Auge in die Welt blicken.