Berufsbild Berufsbild: Die Oper kreativ in Szene setzen
STUTTGART/DPA. - Querdenker, Dickschädel, Besessene - im Studiengang "Bühnen- und Kostümbild" der Kunsthochschule in Stuttgart sind Obsessionen willkommen. "Man muss brennen für seine Sache", sagt Martin Zehetgruber. Der Professor für Bühnenbild denkt dabei gar nicht sofort an das Theater, wenn er beschreiben soll, wofür angehende Bühnenbildner "brennen" sollen. "Das kann auch der Marathon sein, den man unbedingt schaffen will oder die Begeisterung für Fotografie."
Bis zu 50 Bewerber stehen in Stuttgart jedes Jahr in dem Fach Schlange. Nur zehn Prozent werden genommen. Sie haben vorher eine Mappe eingereicht und die zweitägige Aufnahmeprüfung überstanden. "Stellen Sie mit Hilfe eines Kubus Schwindelgefühle dar", könnte eine Aufgabe darin lauten. Es geht darum, Begriffe ins Bildhafte zu übersetzen und dreidimensionales Vorstellungsvermögen zu beweisen. "Begabung muss man schon mitbringen", sagt Zehetgruber. Um sicherzugehen, dass kein Talent abgelehnt wird, weil er in der Prüfung nicht die Nerven hatte, führt der Professor Einzelgespräche mit Kandidaten. Er will wissen, ob jemand gegen den Strich denken kann oder sich nur allgemein für Musik, Malerei und Literatur interessiert. Letzteres reicht nicht aus: "Das ist kein Freizeitstudium", betont Zehetgruber. "Wer eine Art Höhere-Töchter-Studium sucht, wird hier unglücklich."
Katharina Schlipf ist glücklich. Die 27-Jährige hat ihr Diplom als Bühnen- und Kostümbildnerin in der Tasche. Und ihre Abschlussarbeit feierte Premiere: Georg Büchners Drama "Dantons Tod". Schlipf war dabei verantwortlich für Bühnenbild, Licht, Kostümbild, Requisite und Öffentlichkeitsarbeit. "Das ist meine erste eigene Bühnenbildproduktion", sagt sie stolz.
Im Studium hat Schlipf zuvor an Modellen gearbeitet, "Tischarbeiten" genannt. Das sind maßstabsgetreue Bühnenbildentwürfe, die eine Vorstellung von der Raumwirkung und den szenischen Vorgängen vermitteln sollen. Die beste Tischarbeit wird von den Studenten in Stuttgart ausgewählt und gemeinsam in der Werkstatt umgesetzt. "Ich kann auch sägen und flexen", erklärt Schlipf. In der Praxis müsse sie zwar nicht selbst bauen, aber davon etwas verstehen. Wenn es in den Werkstätten mal heißt "Diese Idee kann man nicht umsetzen", kann sie kontern: "Doch, das geht, ich habe das schon gemacht."
Die Mischung aus Kunst, Handwerk und Technik macht den Beruf aus. Das macht die Tätigkeit besonders vielseitig, wie der Bühnenverein in Köln erläutert. Die Arbeit steht ganz am Anfang jeder Inszenierung. Nach einer Textanalyse und einigen Recherchen erstellt der Bühnenbildner erste Entwürfe. Das ist der Moment, wo Katharina Schlipf "wie besessen ist", wie sie erzählt. Sie vertieft sich in Sekundärliteratur, wälzt stundenlang Bildbände und spürt der Geschichte nach. Und irgendwann entsteht aus Shakespeares 1611 uraufgeführtem "Sturm" und einem Fotoband nächtlicher Langzeitbelichtungen von touristischen Ballungszentren auf Gran Canaria eine Bühnenbildidee: In der Mitte ein Swimmingpool, von Balkonen eingeschlossen, wo der Luftgeist Ariel dem Zauberer Prospero zu Diensten ist.