Rückkehr des Kult-Mopeds Schwalbe wird zur E-Schwalbe - DDR-Moped wieder da

Halle (Saale) - Niemand in Deutschland oder auch irgendwo sonst in Europa machte sich damals Gedanken darüber, wie der Verkehr der Zukunft aussehen würde. Das Jahr 2014 war ein ganz normales Benzin- und Dieseljahr: Porsche stellte den „Macan“ vor, VW den Golf Sportsvan, und Daimler machte aus der C-Klasse eine kleine S-Klasse. Selbst die Elektroautopioniere von Tesla tüftelten im US-Bundesstaat Nevada noch an den Plänen ihrer ersten Gigafactory.
Elektromobile waren Exoten, allenfalls Testballons wie der VW E-Golf, den die Wolfsburger als „Game Changer“ bezeichneten, ohne dass der Wagen diese Hoffnung später einlösen konnte. Thomas Grübel allerdings, der schon fünf Jahre zuvor ein Unternehmen gegründet hatte, das sich auf Elektroroller spezialisiert hatte, war sicher, dass Batterie und Ladekabel die Zukunft bestimmen würden.
Schwalbe-Chef setzte schon 2014 auf Elektroantriebe
In Asien hatte der Münchner Unternehmer selbst eine erste Firma für Stromfahrzeuge gegründet, und in Hongkong gelang ihm der Durchbruch mit eigenen E-Rollern, die sich in Fernost damals gerade etablierten. „Die Idee war, E-Roller nach Europa zu bringen“, sagt der Gründer der Firma Govecs, die „umweltbewussten Fahrspaß mit modernem Design und Alltagstauglichkeit“ verbinden will.
Ein Zufall verhalf Grübel dabei zu einer Idee, die das erste Govecs-Elektro-Moped unübersehbar aus dem Meer der Konkurrenten heraushebt: Der flotte Flitzer sieht ganz genau so aus wie die „Schwalbe“, die von 1964 an beim VEB Fahrzeug- und Jagdwaffenwerk „Ernst Thälmann“ in Suhl hergestellt wurde. Besser bekannt als Simson-Werk, hatte die Fabrik in Thüringen zu DDR-Zeiten mehr als sechs Millionen Kleinkrafträder produziert, darunter mehr als eine Million Mopeds des Modells „Schwalbe“.
Schwalbe-Chef musste mit Behörden über Markenrechte verhandeln
Kein Wunder, dass sich ein Exemplar davon auch in die Familie von Gründer Thomas Grübel verirrte. „In der gemeinsamen Garage bei uns parkt eine Schwalbe“, verrät der Elektro-Pionier, wieso er schon 2013 begann, „mit der Bundesbehörde zu verhandeln, die einen Teil des Nachlasses der DDR inklusive der Markenrechte der Simson-Werke verwaltete“, wie Govecs-Sprecherin Imke Berger beschreibt.
Die Simson-Werke waren nach dem Ende der DDR mehrfach in Insolvenz gegangen, immer wieder verkauft und umstrukturiert worden, bis sie schließlich abgewickelt wurden. Grübel war fasziniert von den Linien der Ende der 50er von Erhard Werner, Karl-Heinz Walther und Georg Schübel entworfenen Maschine, die von Mitkonstrukteur Walther attestiert bekommen hatte, mit einem Gefühl für Ästhetik könne man sie, „kaum als schön bezeichnen“.
Neue E-Schwalbe ist dem DDR-Moped nachempfunden
Aber praktisch ist sie, bequem und so robust, dass sich das mit geringen Änderungen bis 1986 gebaute Moped auch durch seine Dauerpräsenz in der DDR-Fernsehserie „Schwester Agnes“ zum Kultfahrzeug entwickelte, das sein eigenes Schönheitsideal erzeugte. Thomas Grübel kämpfte um die „Schwalbe“ - und 2016 gelang dem Chef von heute 280 Mitarbeitern der Durchbruch.
Govecs durfte nun sowohl den berühmten Schriftzug als auch die unverkennbare Silhouette des Kultrollers verwenden. „Beim Verkauf jeder Elektro-Schwalbe bekommt der Lizenzgeber eine Umsatzbeteiligung im unteren einstelligen Prozentbereich“, erklärt Imke Berger. Das Design der Elektro-Schwalbe von Govecs ist eine direkte Nachmodellierung des Originals.
„Hierbei wurden ikonische Elemente wie die Blinker seitlich an den Griffen und das prominente Front-Licht übernommen“, sagt Imke Berger. Allerdings wird Kennern auffallen: Die E-Schwalbe ist größer als die Simson-Schwalbe, weil der elektrische Antriebsstrang im vollverkleideten Schwalbe-Chassis mit den beiden Flügeln untergebracht werden musste.
Ostalgie-Fans schauten skeptisch auf E-Schwalbe
Eine Rückkehr, die nach Beobachtungen von Thomas Grübel bei Nostalgiker im Osten eher kritisch, bei Schwalbe-Fans im Westen hingegen grundsätzlich positiv aufgenommen wird. Vergangenheit wird zu Zukunft, ein Klassiker feiert ein unerwartetes Comeback. „Mit Blick auf die klimatischen Herausforderungen, denen wir gegenüberstehen, führt an Elektromobilität als emissionsfreie Art der Fortbewegung kein Weg vorbei“, sagt der Gründer aus Bayern, der die neue Schwalbe 2.0 in einem Werk im polnischen Breslau fertigen lässt.
Grübel verfolgt seine „Vision von sauberer Mobilität in europäischen Großstädten“ mittlerweile aber auch jenseits der Wiederbelebung des DDR-Kultmopeds für private Nutzer. Er sehe vor allem „die Notwendigkeit von elektrisch betriebenen Lieferflotten“, wie er sagt, denn „die Bestellvolumina von Lieferdiensten im Allgemeinen und Essenslieferdiensten im Speziellen steigen rasant“.
Elektro-Schwalbe punktet vor allem in den Städten
Gerade in diesem Bereich aber könnten Elektro-Fahrzeuge ihre Stärken ausspielen: Auf innerstädtischen Lieferwegen gibt es kein Reichweitenproblem, auch das Nachladen ist unproblematisch. Hier sieht Grübel auch noch viel Luft nach oben. Batterien würden in den kommenden Jahren immer leistungsfähiger werden, sagt er. „Bei gleicher Baugröße ist eine Verdoppelung der Energiedichte realistisch.“ Zudem seien derzeitige Ladegeschwindigkeiten längst nicht das Ende der Fahnenstange. „Batterien werden in Zukunft mehr Strom in kürzerer Zeit aufnehmen können.“
Elektrizität wird damit zum Schlüssel neuer Mobilitätslösungen für ein neues Jahrhundert, in dem Thomas Grübel die Position von Govecs als Europas führendem Hersteller von elektrischen Zweirädern verteidigen und ausbauen will. Eine Schwalbe macht bekanntlich noch keinen Sommer. Diese hier aber kündet von neuen Zeiten. (mz)