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«Auster des kleinen Mannes»: Farm in Moers züchtet Schnecken

Von Eva Gerten 26.10.2007, 08:50

Moers/dpa. - Moers ­ Die Delikatesse gräbt sich gerade in den herbstlichen Boden ein. Langsam, ganz langsam, wie es Schneckenart ist. Bei Familie Dickel in Moers leben rund eine halbe Million Tiere der Gattung Helix pomatia, im Geschäftsdeutsch Grafschafter Weinbergschnecke.

Ralf und Angelika Dickel haben vor drei Jahren mit der Schneckenzucht, der einzigen in Nordrhein-Westfalen, begonnen und in diesem Jahr ihre erste Ernte eingefahren: 80 000 Schnecken, 1,5 Tonnen Lebendgewicht. Die Ernte kam nach Polen in einen Schneckenschlachthof und als Delikatesse ganz aus dem Häuschen und am Block gefroren zurück. Drei Stunden werden die Schnecken im Gemüsesud gekocht, dann sind sie fertig.

Am Niederrhein hat die Weinbergschnecke auf der Speisekarte Tradition. «Die alten Leute wissen noch, dass man hier früher Schnecken gesammelt hat. Für viele waren sie wichtiger Bestandteil des täglichen Speiseplans», erklärt Angelika Dickel. Schnecken fand man in den feuchten Rheinauen. Es gab Sammelstellen, bei denen sie eimerweise und für ein paar Mark abgegeben wurden. Bis in die 80er Jahre, so ist auch beim Deutschen Institut für Schneckenzucht im bayerischen Nersingen zu erfahren, kam die Köstlichkeit als «Auster des kleinen Mannes» auf den Tisch.

Inzwischen haben die meisten Lokale hierzulande die kräutergebutterten Häppchen im Sechsernapf von der Karte gestrichen. Angelika Dickel kennt den Grund: «Die natürliche Schneckenpopulation ging zurück, weil sich die Lebensräume veränderten. Zudem ist die Schnecke äußerst empfindlich gegen Gifte und Pestizide.» An die Stelle der Weinbergschnecke traten Importe aus Asien, «geschmacklich auf der Ebene von gekochtem Gummi», kritisiert die heimische Züchterin.

Ihre gemütlichen Fleischlieferanten sondern gerade viel Kalk ab, um ihre Häuschen für den bevorstehenden Winterschlaf mit einem Deckel zu verschließen. Den ganzen Sommer über haben sich die Grafschafter Schnecken der Dickels in umzäunten Beeten auf 7500 Quadratmetern ein Gewicht von rund 35 Gramm angefressen. Dabei labten sie sich an Mangold, Rüben, Zichorie, Salat, Ackerbohnen, Futtererbsen und Brennnessel. Alles ungespritzt. Schneckenbonbons für zwischendurch: Melone, Birne und Sonnenblume.

Reines Muskelfleisch, eiweißhaltig und nahezu fettfrei, in einer Tomatenkräutersoße und mit Käse gratiniert ­ so essen die Kunden der Dickels heute Weinbergschnecken. Die bekommen auch Gastronomen aus dem niederrheinischen Umkreis serviert, die sich an einer Schneckenlieferung interessiert zeigen. Kürzlich habe Star-Koch Jean-Claude Bourgeuil vom Kaiserswerther Sterne-Restaurant «Schiffchen» eine Schneckenprobe holen lassen.

Die Dickels stecken noch in der Aufbauarbeit: «Leben können wir bislang nicht von den Schnecken, dazu waren die Investitionen zu hoch.» Aber an der Geschäftsidee wird kräftig weitergestrickt. Ralf Dickel, der derzeit noch einen Vollzeitjob als Schreiner hat, sieht sich, schmunzelnd schon als Betreiber der neuen Gourmet-Kette «McSchneck». Das wäre echtes «Slow Food». (dpa)