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Argumentation Argumentation: Diskutieren lässt sich lernen

Von Florian Oertel 01.11.2005, 13:25

Frankfurt/Main/dpa. - Schwer aneignen lässt sich lediglich das «Sahnehäubchen» einer guten Argumentation: die Schlagfertigkeit. Experten sind sich einig: Wer bei Diskussionen geschickt vorgeht, kommt häufig weiter. Wer also sein Wunschziel für die Klassenfahrt gut «verkaufen» kann, bringt unter Umständen auch einen Lehrer auf seine Seite, der sich längst für ein anderes entschieden hat. «Ganz sicher lässt sich durch gutes Argumentieren mehr erreichen», sagt Stephan Gora, Rhetoriktrainer und Deutschlehrer aus Schwäbisch Gmünd.

Doch wie funktioniert geschicktes Argumentieren, und wie können es diejenigen lernen, denen oft die richtigen Worte fehlen? Wichtig vor jeder Diskussion ist eine gute Vorbereitung, wie Gora erklärt. «Es gilt, Argumente zu finden.» Wer den Lehrer überzeugen will, dass Berlin ein spannenderes Ziel ist als zum Beispiel eine Nordseeinsel, kann zum Beispiel das große Kulturangebot in der Hauptstadt anführen.

Falls die Zeit reicht, können die Argumente mit Klassenkameraden besprochen werden, rät die 17-jährige Maria Brier, Bundessiegerin 2005 des Wettbewerbs «Jugend debattiert» aus Borken (Hessen). «Auch die Politiker sprechen sich immer zuerst in kleiner Runde ab», sagt Günter Zienterra vom Institut für Rhetorik und Kommunikation in Bornheim bei Bonn. Bei spontanen Debatten heißt es, rasch in sich hinein zu hören, statt vorschnell etwas hinaus zu posaunen. «Es ist dann auf jeden Fall wichtig, ruhig zu bleiben», sagt Maria Brier.

«Entscheidend ist auch, sich zu vergegenwärtigen: Auf was kommt es dem Gegenüber an?», sagt Roland Kaehlbrandt, Geschäftsführer von «Jugend debattiert» in Frankfurt. So könnte den Lehrer an einer Fahrt an die Nordsee die Möglichkeit reizen, dort Radtouren zu unternehmen. Denkbare Antwort darauf: «Rad fahren macht Spaß, aber das können wir doch auch beim nächsten Wandertag hier in der Umgebung!»

Auch wenn der Hinweis auf den Spaßfaktor des Radeln überflüssig erscheint: Er sollte nach Worten von Günter Zienterra nicht vergessen werden. «Beim Diskutieren kommt es auch darauf an, Gemeinsamkeiten zu betonen.» Geben die Schüler ihrem Lehrer also zu verstehen, dass sie seine Planungen nachvollziehen können, wird er eher bereit sein, sich ihre Argumente anzuhören und auf sie einzugehen.

«Argumente sollten immer gestützt werden und glaubwürdig sein», sagt Stephan Gora. Wer den Lehrer mit Hilfe des Kulturangebots für eine Fahrt nach Berlin begeistern will, sollte zum Beispiel einen ausgedruckten Theaterplan mitbringen und tatsächlich Interesse daran haben, sich eines der Stücke anzusehen. Anderenfalls wird der Lehrer dies schnell als «faulen Trick» entlarven.

Jungen und Mädchen, die ihr Diskutier-Geschick unabhängig von Auseinandersetzungen mit Lehrern oder Eltern unter Beweis stellen wollen, können das bei «Jugend debattiert». Rund 40 000 Schüler von 400 Schulen beteiligten sich zuletzt daran - zunächst mit Debatten im Unterricht. Die vier besten schaffen es jedes Jahr über mehrere Wettbewerbsstufen bis ins Bundesfinale in Berlin.

«Sollten in Deutschland gesetzliche Mindestlöhne eingeführt werden?», hieß dort das Thema der Debatte, erzählt Maria Brier. «Ein bisschen Talent fürs Diskutieren hatte ich wohl schon», lautet ihre Einschätzung. Das Übrige habe sie nach und nach gelernt - mit Erfolg. «Wir belohnen im Finale nicht den, der sich als Biertischredner durchsetzt», erläutert Ansgar Kemmann, Leiter des Projekts bei der Gemeinnützigen Hertie-Stiftung. «Gewertet werden Gesprächsfähigkeit, Ausdrucksvermögen, Sachkenntnis und Überzeugungskraft.»

Weniger als manche denken, kommt es beim Debattieren dagegen auf Schlagfertigkeit an. Daher warnen die Experten davor, mit betont lockeren Sprüchen glänzen zu wollen. Denn was der eine schlagfertig findet, kommt beim anderen häufig als Beleidigung an. Zieht ein Schüler seinen Lehrer damit auf, er sei für Radtouren zu unsportlich, mag er die Lacher auf seiner Seite haben. Überzeugen lässt sich der Lehrer damit aber wohl nicht. Laut Gora funktioniert es auch ohne Lacheffekte: «Schlagfertigkeit ist das Sahnehäubchen auf dem Argumentationskuchen, aber der Kuchen schmeckt auch ohne Sahne.»

Informationen: «Jugend debattiert», Gemeinnützige Hertie-Stiftung, Grüneburgweg 105, 60323 Frankfurt (Tel.: 069/660 75 61 46, E-Mail: [email protected]).