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Villa Tugendhat Villa Tugendhat: Der Duft der Moderne

Von günter kowa 22.05.2012, 17:35

BRNO/MZ. - Als Mies van der Rohe 1930 ins Direktorenhaus in der Dessauer Meisterhaussiedlung gezogen ist, dessen Erbauer Walter Gropius seine Zukunft längst anderswo gesucht hatte, könnte dies mit einiger Verachtung geschehen sein. Es gibt Aufnahmen vom Inneren des kriegszerstörten Kubus, die zeigen, wie Mies den Räumen seinen Purismus aufzwingt. Aus dem Wohnzimmer wirft er die Schreibtisch-Regal-Garnitur, aus dem Esszimmer den runden Tisch. Raumhohe Vorhänge und Gardinen geben dem Raum feierliche Ruhe, das Mobiliar aus Ess- und Glastisch nebst Stahlrohr-Stühlen und -Sesseln Eleganz.

Was er nicht ändern kann, ist die Beengtheit der Zimmer. Die große Geste der Sessel kann sich nicht entfalten - jedenfalls nicht so wie in der Villa, nach der sie benannt sind: Haus Tugendhat im tschechischen Brünn, wo der Architekt zwei Jahre zuvor seine Ideen vom "fließenden Raum" ungehindert verwirklichen konnte.

Seit 2001 trägt die Villa Tugendhat in Brno (Brünn) den Unesco- Welterbe-Status, seit kurzem ist sie nach gründlicher Restaurierung wieder öffentlich zugänglich. Die Besucher, die nur mit Überziehern an den Sohlen eingelassen werden, erleben die Moderne als eine Offenbarung. Eine Moderne, die nach raffinierter Eleganz und der Überwindung räumlicher Grenzen strebt, wie es Mies im "Barcelona Pavillon" idealtypisch verwirklichen sollte.

Auch Brünn bot ihm ein Ideal: die rückhaltlose Übereinstimmung zwischen Bauherr und Architekt. Es hat fast etwas Erheiterndes, wie Grete Tugendhat, Erbin einer Fabrikantendynastie, sich daran erinnert, was sie und ihr Mann Fritz, aus einer Familie von Tuchhändlern, von ihm wollten: "Ich hatte mir immer ein modernes, weiträumiges Haus mit klaren, einfachen Formen gewünscht und mein Mann hatte geradezu einen Horror vor den mit unzähligen Nippsachen und Deckchen vollgestopften Zimmern seiner Kindheit."

Und in Berlin, wo Grete verkehrte, lernten sie Mies und seine bereits gebauten Villen kennen. Auf Anhieb "waren wir von seiner Persönlichkeit beeindruckt", im Gefühl, "einem wirklichen Künstler gegenüber zu stehen." Das, was sie sich "trotz fünf Schlafzimmern" als ein "viel kleineres und bescheideneres Haus" vorgestellt hatten, wuchs unter der Hand des "wirklichen Künstlers" zu einer Ikone der Moderne, gebaut für alles andere als das Existenzminimum. Das architektonische Kunstwerk mit unbegrenztem Budget ist schon vom Anschauen her überwältigend. Von der Terrasse fällt der Blick auf die Silhouette von Brünn. Die Lage des Grundstücks am Hang hoch über der Stadt nutzt Mies zur terrassenförmigen Anlage und der atemberaubenden Wirkung der Fensterfront im mittleren Geschoss.

Von der Straße nicht einsehbar, findet da jenes "Fließen" des Raumes statt, das Wände entweder abschafft oder zur Skulptur aus Onyx macht, das im Abendlicht aufglüht. Die versenkbaren Fenster öffnen das Haus zur Natur, ein Gebläse im Keller trieb den Duft von Sandelholz in die Raumluft.

Das Haus als räumliche Wirkung ist heute allerdings auch das Ergebnis eines beispiellosen restauratorischen Aufwands. Man ahnt schon beim Blick von der Straße auf die glatten weißen Wände und den berühmten abgerundeten Milchglasflügel des Treppenhauses, dass so viel Reinheit und Frische unmöglich 80 Jahre alt sein kann. Erst recht begegnet man drinnen keiner "gelebten" Spur, dafür perfekten Kopien von Ausstattung und Mobiliar. Anderes wäre auch kaum denkbar, da die Tugendhats ihren Familiensitz schon 1938 verließen, als Hitler mit dem "Anschluss" Österreichs ein ähnliches Schicksal für Böhmen anbahnte.

Tatsächlich durchlitt Haus Tugendhat Entstellungen und Verschleiß ähnlich wie die Dessauer Meisterhäuser. Die Gestapo, die Bombardierung der Stadt, die Sowjetarmee hinterließen Verwüstung, Nachkriegsnutzer waren eine Tanzschule und eine Kinderklinik. Aber die Verbindung zu den Bauherren lebte auf, als Grete Tugendhat 1969 in Brünn einen Aufsehen erregenden Vortrag über das Haus hielt, "ohne Bitterkeit", wie sich ihre Tochter Daniela erinnert.

1946 in Caracas geboren, kannte sie das Haus nicht, doch als ihre Mutter 1970 bei einem Verkehrsunfall starb, "fühlte ich mich verantwortlich", wie sie in München am Telefon erzählt. Bis zum Fall des Eisernen Vorhangs konnte sie wenig tun, während der tschechische Staat 1981-1985 eine erste Restaurierung unternahm, um ein Gästehaus einzurichten. Nach 1989 hemmten ungeklärte Rückgabefragen jede Entwicklung. Dorothea und ihre Geschwister erkannten, dass "die Energien nicht reichten", das Haus selbst zu übernehmen. Jetzt gehört es der Stadt. Stets jedoch, sagt Frau Tugendhat, kämpfte sie darum, dass das Haus würdevoll wiederhergestellt und sinnvoll genutzt wird.

Wie mühsam der Kampf war, ergänzt ihr Mann Ivo Hammer, passenderweise eine Koryphäe in der Gebäuderestaurierung, und zudem ein Spezialist für die Moderne. Ein Expertenteam und mehrere Universitäten führten unter seiner Ägide die gründlichste Untersuchung aus, die je ein Bau dieser Epoche erlebt hat, ist er überzeugt.

In Brünn arbeiteten zeitweise 60 Studenten daran, Farben, Oberflächen, Befunde und Schadensursachen zu erkunden und entsprechend der Erkenntnisse zum Beispiel die Putze wiederzugewinnen und das (komplett verlorene) Glas nachzubilden. Auch dadurch, glaubt Hammer, ist die Wirkung des Hauses wieder die, die sie war.

Am Beispiel des Putzes: eine Mischung aus Zellulose, Marmormehl und Sand, aufgetragen, glatt geschliffen und mit dünnem Leim zum Glänzen gebracht. Ob man dieses "Eigenleben des Materials" würdigen kann, sei dahin gestellt - der Perfektionist Mies van der Rohe aber hat es sicher so gewollt.

Villa Tugendhat ist täglich außer montags 10-18 Uhr für stündliche Führungen geöffnet. Die Besucherzahl ist strikt begrenzt.