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Freifall - Eine Liebesgeschichte

04.03.2016, 03:00
Mirjam von Arx im Gespräch mit Andreas Dachtler an der Absprungstelle Yellow Ocean, wo sie gerade ein Memorial für den verstorbenen Springer Herbert Weißmann errichtet haben. Foto: BR/ican films
Mirjam von Arx im Gespräch mit Andreas Dachtler an der Absprungstelle Yellow Ocean, wo sie gerade ein Memorial für den verstorbenen Springer Herbert Weißmann errichtet haben. Foto: BR/ican films dpa

Berlin - Gedanken lesen kann vermutlich niemand, aber ein bisschen in sich selbst hineinhorchen oder gar in andere Menschen einfühlen, das wäre doch schon eine ganze Menge.

Meistens macht man das aber erst, wenn man eine traurige Nachricht oder gar eine schlimme Diagnose erhält. So passiert es in dem Film «Freifall - Eine Liebesgeschichte», der an diesem Freitag (22.30 Uhr, Arte) zu sehen ist. Es handelt sich um die gekürzte Fassung eines Dokumentarfilms, der 2014 in die Kinos gekommen ist.

Die Schweizer Regisseurin Mirjam von Arx erhält im Frühjahr 2010 (da war sie Mitte 40) eine furchtbare Diagnose: Brustkrebs. Es folgen Operation, Chemotherapie und Bestrahlung - ein ganzes Jahr kann sie «dafür abschreiben», wie sie selber im Film sagt. In derselben Woche, in der sie von ihrem Krebs erfährt, lernt sie Herbert Weissmann kennen, auf einer Dating-Plattform im Internet. Beide verlieben sich blitzartig ineinander, sie wollen heiraten und ihr Leben gemeinsam verbringen. Doch drei Monate später ist Herbert tot, und erst bei der Beerdigung lernt Mirjam seine Eltern kennen. Sie alle fragen sich, warum Herbert ihrer Meinung nach am 4. August 2010 leichtfertig sein Leben aufs Spiel gesetzt hat - Herbert war Basejumper und kam bei einem Sprung von einem 350 Meter hohen Felsen ums Leben.

Genau dort - im Lauterbrunnental des Berner Oberlandes mit seinen steilen, fast senkrechten Felswänden -, trifft sich alljährlich eine verschworene Gemeinschaft aus ganz verschiedenen Menschen, um mit ihrem ausgefallenen Hobby einer wahren Leidenschaft zu frönen. Fallschirmspringer lassen sich für gewöhnlich aus dem Flugzeug fallen; Basejumper springen von den denkwürdigsten Plattformen herunter: Von Felsspitzen, Brücken, Sendemasten oder Gebäuden. Das ist in vielen Ländern verboten, in der Schweiz jedoch nicht. Um die 20.000 Sprünge werden hier pro Jahr gemacht, einige davon enden tödlich. Man könnte nun meinen, dass diese waghalsigen Extremsportler sämtlich von einer Todessehnsucht getrieben sind, aber vielmehr ist das Gegenteil der Fall: Sie springen in die Tiefe, weil sie das Leben im freien Fall spüren wollen.

«Während ich um mein Leben kämpfe, hat er seines einfach weggeworfen», hört man sie im Film sagen, und man sieht, wie sie behutsam seine Sportkleidung und seinen Helm in die Hand nimmt. Der eigenwillige, teilweise therapeutische Film zeigt zunächst eine Frau, die erst völlig verzweifelt ist, sich an ein einziges Foto mit ihrem Freund, unzählige SMS und eine Kühlschranknotiz von ihm klammert. Immer wieder überwältigt sie die Erinnerung an eine große Liebe, die gar nicht wirklich gelebt werden konnte. Zwei Jahre lang braucht sie für eine Aufarbeitung: Sie reist mehrfach an den Unglücksort, spricht mit Herberts Eltern und der Polizei und vor allem mit seinem Begleiter Andi, der ihn vermutlich als Einziger von seinem Sprung hätte abhalten können.

Doch zunehmend findet Mirjam von Arx zurück ins Leben, sie besiegt den Krebs, gründet mit einem anderen Mann eine Familie und hat mittlerweile zwei Kinder. Sicher hat ihr dabei auch ein Videotagebuch geholfen, aus dem dann dieser Film entstand. Den versieht sie mit allerlei kitschigen Szenen: Liebesgeplänkel aus alten Filmschinken, blühenden Obstbaumzweigen und zu Herzen gehenden Kommentaren wie «Herbert hatte den Mut, sich in eine krebskranke Frau zu verlieben». Das mag seltsam anmuten, doch sie lernt dabei sehr viel über sich selbst. Und sie beginnt zu verstehen - und mit ihr der Zuschauer -, was ihren Freund offenbar angetrieben hat: Nichts zu verschieben, was einem wichtig ist, sondern es möglichst sofort zu machen - weil es später einfach schon zu spät sein kann. (dpa)