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Album ohne Titel Rammstein Album 2019: Das neue Machwerk trägt keinen Titel

Von Steffen Könau 17.05.2019, 08:00
Im 25. Jahr nach Gründung der Band legen die sechs Musiker von Rammstein heute ihr siebtes Album vor, das keinen Namen hat.
Im 25. Jahr nach Gründung der Band legen die sechs Musiker von Rammstein heute ihr siebtes Album vor, das keinen Namen hat. Jes Larsen

Halle (Saale) - Es ist das Jahr des großen Zusammenbruchs, als Till Lindemann sich in die Brust wirft und zu Marschgitarren orgelt „ich werde nie satt / es ist besser, wenn man mehr hat“. 2009, Finanzkrise, Weltuntergang, Barack Obama als Hoffnungsträger. Der Bitcoin wird erfunden und Michael Jackson stirbt. Rammstein sind im zweiten Jahrzehnt einer Karriere, die die aus den Resten mehrerer DDR-Untergrundbands zusammengeschraubte Kapelle zu Deutschlands erfolgreichstem Rockexportartikel gemacht hat.

Die Tour zum Album „Liebe ist für alle da“ wird damals zu einem Triumphzug um die Welt. Anschließend aber verstummen Sänger Lindemann, die Gitarristen Richard Kruspe und Paul Landers, Bassist Oliver Riedel, Schlagzeuger Christoph Schneider und Keyboarder Christian „Flake“ Lorenz für zehn Jahre.

Rammsteins neues Album trägt keinen Namen

Eine Leidenszeit für Millionen Fans, die heute endet, wenn Rammstein-Album Nummer 7 erscheint; ein Werk ohne Namen, dessen Cover nicht einmal den Vermerk Rammstein trägt. Wo früher Totenmasken, Eisbrecher und abstruse Menschmaschinen von neuer deutscher Härte kündeten - dem Stil, den Rammstein 1994 selbst erfunden hatten -, muss jetzt das Foto eines einsamen Streichholzes reichen.

Minimalismus tritt an die Stelle der bei Lindemann und Co. traditionell bevorzugten monströsen Inszenierungen aus rabiatem Rock, provokanten Themen und Texten voll brachialer Poesie.

Band zieht alle Register

Die sich in den - wie stets - elf neuen Stücken auf dem Album dann aber umso virtuoser zelebriert finden. Vom Start mit dem vorab veröffentlichten Stück „Deutschland“, mit dem es die bekennend linke Band einmal mehr geschafft hatte, die uralte Kontroverse um ihre mutmaßliche politische Verortung am rechten Rand wiederzubeleben, bis zum finalen Abgesang „Hallomann“ ziehen Rammstein alle Register ihrer Kunst.

Da ist das doppeldeutige Pathos von „Deutschland“, ein Land aus „Du, ich, wir sind ihr“, dessen „Liebe Fluch und Segen“ ist, weshalb Till Lindemann nicht nur aus reimtechnischen Gründen singt „Deutschland, meine Liebe / kann ich dir nicht geben“. Danach die Kraftwerk-Hommage „Radio“, angefüllt mit Erinnerungen an die DDR, deren Funktionäre Popmusik noch weltverändernde Bedeutung beimaßen.

Rammsteins neues Album dreht sich um Sex, Gewalt und Politik

„Wir durften nicht dazugehören, nichts sehen, reden oder stören“, reimt Till Lindemann, „jedes Liedgut war verboten, so gefährlich fremde Noten“. Ein Echo einer Zeit, die im Wort „Weltempfänger“ nachklingt, das der 56 Jahre alte frühere Leistungssportler ebenso selbstverständlich verwendet wie die Schlagerzeile „Wir lieben das Leben“, eine Synthesizermelodie von Anne Clark oder das Abba-Zitat „take a chance on me“.

Es geht um Sex, um Gewalt und Politik, hochgeblasen in einem Wirbel aus Gleichnissen. Angetrieben wird das Album von Flake Lorenz’ Keyboards, ehe später Richard Kruspes und Paul Landers E-Gitarren übernehmen. Darunter rollen Oliver Riedel und Christoph Schneider einen Rhythmusteppich aus Panzerstahl aus, auf dem Stücke wie „Was ich liebe“ so präzise dahinschnurren, dass ein Schweizer Uhrwerk dagegen wirken würde, als hoppele es zügellos anarchisch dahin.

Rammstein setzen neue Nuancen

Rammstein sind eine Maschine mit begrenztem Funktionsumfang. Die sechs Herren, ehemals bei weniger taktsicheren Formationen wie Feeling B, First Arsch und Die Firma tätig, schaffen es dennoch auch nach fast einem Vierteljahrhundert, dem patentierten Rammstein-Sound neue Nuancen hinzuzufügen.

„Diamant“ etwa ist eine leise Ballade, instrumentiert mit einer klassischen Konzertgitarre, in der Lindemann mit ganz ungeballter Stimme singt „was nicht lieben kann / muss hassen“. Auch das folgende „Weit weg“ ruht auf einem trägen Beat und zeigt Lindemann als Romantiker: „Der Raum wird sich mit Mondlicht füllen / lässt sie fallen alle Hüllen“. Dann kommt ein Gitarrensolo. Für Rammstein-Verhältnisse ist das fast schon ein Blues.

Tausend Nadeln stechen

Am liebsten aber geht Lindemann in seinen Texten immer noch dorthin, wo es richtig wehtut. Sado-Maso, dralles Fleisch. In „Ausländer“ singt ein Sextourist, in „Sex“ stechen tausend Nadeln, „besser liederlich / als wieder nicht“. Bei „Zeig Dich“, eingeleitet mit gregorianischen Gesängen, rechnet Lindemann mit der Kirche ab. „Aus Versehen sich an Kindern vergehen“, röhrt er, „verbreiten und vermehren / im Namen des Herren“.

Deutsche Wertarbeit. All das Primitive, das demonstrative Reiben an Tabus und das ewige Werben um Aufmerksamkeit sind nur Nebeneffekte des Hochtechnologie-Rock’n’Rolls, mit dem Rammstein ab Ende Mai knapp drei Dutzend längst ausverkaufter Stadionkonzerte zwischen Gelsenkirchen, Riga und St. Petersburg spielen werden.

Das ist Pop voller Poesie, Pathos mit Selbstironie und Leiden voller Leidenschaft. Die wahre Kunst blitzt aus der vermeintlich unspektakulären Moritat „Puppe“. Brüderlein und Schwesterlein, nur durch einen Vorhang getrennt, sie prostituiert sich, er nimmt seine Medizin, das Licht im Fenster ist rot und die Vögel singen. Ein Alptraum in drei Strophen, mit einem Refrain ohne Musik, in dem Till Lindemann entsetzlich schreit: „Jetzt reiß’ ich der Puppe den Kopf ab.“

››Rammstein live: 12./13.6. Dresden, 16.6. Rostock, 22.6. Berlin (alle Konzerte ausverkauft)

Infos zu Tour und CD: www.rammstein.de

(mz)

Minimalistisch statt bombastisch: Cover des Rammstein-Albums.
Minimalistisch statt bombastisch: Cover des Rammstein-Albums.
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