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Neue Nationale Front Neue Nationale Front: "Gemeinsame Erklärung" von Künstlern und Intellektuellen

Von Andreas Montag 19.03.2018, 08:07
Auf der Buchmesse trafen Linke und Rechte aufeinander.
Auf der Buchmesse trafen Linke und Rechte aufeinander. picture alliance / Sebastian Wil

Halle/Leipzig - Es ist noch einmal kalt geworden im Lande. Von der „russischen Kältepeitsche“ schreiben Wetterberichts-Lyriker. Vor 75 Jahren ist vom „General Winter“ die Rede gewesen, der den Wehrmachtsverbänden im Osten zusetzte. Komisch, was einem so einfällt...

Die mehr gefühlte als tatsächliche Kälte und der real existierende Schnee in Mitteldeutschland haben es der Leipziger Buchmesse und ihren Besuchern nicht leicht gemacht. Züge und Bahnen fuhren gar nicht oder stark verspätet, Weichen verweigerten den Dienst, weil sie eingefroren oder zugeweht waren.

Dem wohnt eine gewisse Symbolik inne. In klarer Kälte treten auch die politischen Dinge nun schärfer hervor, wobei sich mancher lieber frierend wegduckt, als sich dem, was da gerade (und endlich) Gestalt annimmt, mit seiner Meinung zu stellen. Vielleicht leistet er sich auch gar keine, das hat noch immer geholfen, wie schon die Alten sungen.

Zumindest in den beiden deutschen Diktaturen des 20. Jahrhunderts hat das Prinzip Opportunismus funktioniert und den jeweiligen Laden am Laufen gehalten. Jetzt aber ist Demokratie angesagt. Man darf alles sagen und soll es sogar, wenn das Gemeinwohl einen erwartbaren Nutzen davon hat. Oder wenn Schaden von ihm abgewendet werden muss.

Erklärung ist mit einem Bild des „Frauenmarsches“ illustriert

In diesem Sinne wollen die Unterstützer der jetzt im Internet kursierenden „Gemeinsamen Erklärung“ wohl verstanden werden. Man ist gut beraten, sich den knappen Text (und auch die Liste der Unterzeichner) anzusehen, damit man weiß, woran man ist.

Mit einer im Internet verbreiteten „Gemeinsamen Erklärung“ wenden sich rechtskonservative Autoren, Künstler und Intellektuelle an die Öffentlichkeit. Der Text lautet: „Mit wachsendem Befremden beobachten wir, wie Deutschland durch die illegale Masseneinwanderung beschädigt wird. Wir solidarisieren uns mit denjenigen, die friedlich dafür demonstrieren, dass die rechtsstaatliche Ordnung an den Grenzen unseres Landes wiederhergestellt wird.“

Zu den als Erstunterzeichner Genannten gehören die Schriftsteller Ulrich Schacht und Uwe Tellkamp sowie die frühere Bürgerrechtlerin Vera Lengsfeld und der Publizist Henryk M. Broder.

Und es ist für die eigene Positionsbestimmung (pro oder kontra) auch hilfreich zu bemerken, worüber in diesem knappen Text nichts zu lesen ist, der nicht zufällig mit einem Bild des rechten, von Gegendemonstrantinnen und -demonstranten gestoppten „Frauenmarsches“ vom 17. Februar 2018 in Berlin illustriert ist, der aus dem Umfeld der AfD unterstützt worden war. „Es reicht! Wir sind kein Freiwild! Nirgendwo!“ - stand auf einem Transparent der Rechten.

Das kann man eigentlich unterschreiben. Aber der Grundton ist klar, die Marschrichtung auch: Es geht hier nicht gegen Täter schlechthin, sondern gegen Fremde, die als Bedrohung empfunden werden. „Mit wachsendem Befremden beobachten wir, wie Deutschland durch die illegale Masseneinwanderung beschädigt wird.“

Vera Lengsfeld und auch Thilo Sarrazin unterzeichnen

So lautet der erste Satz der Erklärung, zu deren Unterzeichnern neben dem Autor Uwe Tellkamp auch die frühere Bürgerrechtlerin Vera Lengsfeld als Initiatorin sowie der Publizist Henryk M. Broder, der Journalist Matthias Mattussek, der Ex-Politiker Thilo Sarrazin, die ehemalige „Tagesschau“-Sprecherin Eva Herman, der Schriftsteller Ulrich Schacht und der Kabarettist Uwe Steimle gehören.

Der jüngst durch seine in Dresden geführte Auseinandersetzung mit seinem Schriftstellerkollegen Durs Grünbein wieder ins Bewusstsein gerückte Tellkamp („Der Turm“) ist dabei im Begriff, zum propagandistischen Angelpunkt eines rechtskonservativen Diskurses zu werden. Der wird allerdings einstweilen in der Hauptsache nicht von Argumenten und Gegenargumenten bewegt, sondern dreht sich vielmehr darum, ob man Thesen der AfD und der identitären Bewegung diskutieren dürfe oder nicht.

Natürlich darf man das, es trägt ja schließlich zur jeweiligen Kenntlichkeit bei. Anders gesagt: Man weiß dann, wes Geistes Kind einer ist. Auch anhand dessen, was er nur raunt. Und was er, aus welchem Grund auch immer, nicht für nennenswert hält.

Eine Debatte ist überfällig

Der Solidarität oder schlicht Mitmenschlichkeit mit jenen etwa, die gute - nein schlimmste Fluchtgründe haben, wird in der Erklärung keine Erwähnung getan. Auch der längst überfälligen Debatte darüber nicht, inwieweit die quasi neokolonialistische, interessengesteuerte Militär- und Wirtschaftspolitik des Westens, aber auch Russlands und Chinas wesentlich dazu beiträgt, die Lebensbedingungen in den Ländern der sogenannten Dritten Welt eben nicht zu verbessern und Menschen den gefährlichen Weg in eine ungewisse Zukunft als Flüchtling hoffnungsreich erscheinen zu lassen.

Keine Spur von einer „illegalen Masseneinwanderung“

Interessant an der „Gemeinsamen Erklärung“ ist aber neben der raunenden Unterstellung, nichts als Kriminelle überschwemmten unser Land, auch die Tatsachenbehauptung, es fände eine „illegale Masseneinwanderung“ statt. Wo, bitte, ist das der Fall? Die jüngsten Zahlen der eingereisten Geflüchteten sprechen eine andere Sprache.

Es hat schon mit Kälte zu tun, was hier geschieht. Und mit Kalkül. Selten nach dem Ende des Zweiten Weltkrieges waren die Bedingungen für eine „Nationale Front“ so günstig wie heute: Eine CDU, die eher unfroh in die Mitte gerutscht ist und deren Vorsitzende Angela Merkel nur noch mit Mühe die widerstrebenden Strömungen ihres alarmierten Parteivolks zusammenhalten kann. Eine SPD, die mangels Ideen, Klientel und Führung den Platz in der Mitte freigemacht hat. Und eine AfD, die auf dem Feuer lodernder Bürger-Angst ihr völkisches Süppchen köcheln lässt. Irgendwie riecht es, trotz guter Konjunktur, nach Weimarer Republik. (mz)

Die frühere Bürgerrechtlerin Vera Lengsfeld
Die frühere Bürgerrechtlerin Vera Lengsfeld
dpa