Arbeitsmarkt im Harz Erfolgreich mit Autismus: Die bewegende Geschichte einer Werkstudentin in Wernigerode
Der Weg zur Diagnose Autismus war für eine junge Wernigeröderin lang und schwer, der zu einer geeigneten Arbeitsstelle ebenso. Doch nun startet sie bei einem bekannten Maschinenbau-Unternehmen im Harz durch - als Werkstudentin.
Wernigerode. - Schwerbehinderte Arbeitnehmer haben immer noch Probleme, in Harzer Unternehmen Fuß zu fassen: Der Arbeitsagentur zufolge stünden ihnen im Landkreis rein rechnerisch 1.809 Stellen zu - tatsächlich sind nicht mal zwei Drittel davon entsprechend besetzt. Wie Integration funktionieren kann, zeigt eine Asperger-Autistin bei einem Maschinenbauer in Wernigerode.
Alexandra Preiß ist seit Oktober Werkstudentin bei der Krebs & Aulich GmbH: Sie unterstützt am Firmensitz und aus dem Homeoffice als Mitarbeiterin im Bereich Forschung und Entwicklung bei der Stammdatenpflege in der Konstruktionssoftware und darüber hinaus, überprüft Maße in Zeichnungen und kümmert sich um Standardisierung. Parallel lernt die 29-Jährige für ihren Bachelor-Abschluss als Wirtschaftsingenieurin. „Wir haben eine Hochschule in Hessen für das Fernstudium gefunden“, berichtet die alleinerziehende Mutter.
Zunächst lautete die Diagnose für Wernigeröderin „Bauchschmerzen“
Für diesen Traum habe die Wernigeröderin lange kämpfen müssen. Ursprünglich wollte sie Meeresbiologin werden. Der Wunsch platzte, als sie die Schule in der elften Klasse abbrechen musste - damals habe die Diagnose Bauchschmerzen gelautet, es folgten Krankenhausaufenthalte. „Dann habe ich versucht, arbeiten zu gehen - drei Tage die Woche, jeweils vier Stunden. Es ging einfach nicht“, erinnert sich Preiß.
Wegen ihrer Schulverweigerung wurde 2015 ein Mitarbeiter vom Gesundheitsamt hinzugezogen, der den Verdacht Autismus äußerte und sie zum Verband „Kleine Wege“ schickte. Dort erhärtete sich der Verdacht, ein Psychiater in Quedlinburg stellte die Diagnose: „Ich war erleichtert: Endlich Klarheit, warum meine Wahrnehmung so sensibel ist, ich schnell gestresst bin und ermüde.“ Fortan bekam die junge Frau Autismustherapie.
Die Lage von Schwerbehinderten am Arbeitsmarkt im Landkreis Harz
- Unternehmen mit durchschnittlich mindestens 20 Arbeitsplätzen sind gesetzlich verpflichtet, wenigstens fünf Prozent davon mit Schwerbehinderten zu besetzen. Im Landkreis Harz ist das nach Angaben der Agentur für Arbeit aber nur bei 1.133 der vorgegebenen 1.809 Stellen der Fall.
- Arbeitgeber, die ihre Pflichtarbeitsplätze nicht oder nur zum Teil besetzen, müssen eine monatliche Ausgleichsabgabe zahlen. Mit Fragen können sie sich an den Arbeitgeber-Service unter Telefon 0800/ 4 55 55 20 wenden.
- Die Zahl der Arbeitslosen mit Schwerbehinderung in der Region stieg in den vergangenen fünf Jahren: Im Monatsdurchschnitt suchen rund 240 eine Beschäftigung. Ihr Anteil an den Arbeitslosen insgesamt lag zwischen Januar und Oktober bei 4,3 Prozent.
- Besonders betroffen sind Schwerbehinderte ab 55 Jahren: Inzwischen macht diese Altersgruppe 54 Prozent aller Arbeitslosen mit Schwerbehinderung aus. Dieser Anstieg ist laut der Behörde unter anderem der demografischen Entwicklung geschuldet.
- Arbeitslose schwerbehinderte Menschen sind demnach gut qualifiziert: Drei Viertel von ihnen haben eine abgeschlossene Ausbildung oder einen akademischen Abschluss. In der Gruppe der Arbeitslosen insgesamt ist das nur bei 60 Prozent der Fall.
Über die Beratung Innovation Betreuung GmbH in Halberstadt startete sie 2021 eine virtuelle Ausbildung zur Industriekauffrau am SRH-Berufsbildungswerk Neckargemünd (Baden-Württemberg). „Ich brauchte einen Plan B, kann mit Zahlen hantieren“, erklärt sie. Preiß schickte zudem eine Initiativbewerbung an Krebs & Aulich, wo sie 2022 parallel ein Teilzeit-Praktikum begann - und überzeugte, sodass sie diesen Herbst im Unternehmen blieb.
Autistin erfüllt wichtige Aufgaben bei Krebs & Aulich in Wernigerode
„Wir können Alexandra ihren Stärken entsprechend einsetzen“, ergänzt Josef Schmieder. Der Personalmanager der Firma mit 100 Mitarbeitern in Wernigerode betont: „Sie erfüllt wichtige Aufgaben, die weniger Zeitdruck unterliegen.“
Das Konstruktionsbüro, wo vor allem Prüfstandsmotoren für Test-Anwendungen in der Autoindustrie entwickelt werden, sei ein ruhiger Arbeitsplatz mit jungen Kollegen – ganz im Sinne von Preiß. „Wenn es Probleme geben sollte, gehen wir mit Alexandra offen in die Kommunikation und versuchen Lösungen zu finden“, fügt er hinzu.
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„Menschen mit Behinderung wollen arbeiten und sie können es“, schlussfolgert Anja Huth. Laut der Chefin der Agentur für Arbeit Sachsen-Anhalt-West komme es auf die Unternehmen an, ihnen eine Chance zu geben. Das sei vor dem Hintergrund des Fachkräftemangels „eine Frage der wirtschaftlichen Vernunft“.